Ein persönlicher Erfahrungsbericht

Humanismus und Bundeswehr – Geht das überhaupt?

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Der Autor in Marineuniform
Der Autor in Marineuniform

Ein Grüner, ein Pazifist und ein Humanist gingen zur Bundeswehr. Was wie der Anfang eines schlechten Witzes in konservativen Kreisen klingt, ist eigentlich eine Beschreibung von mir. Aber kann eine so linke, so friedensbedürftige und humanistische Person wie ich überhaupt zur Bundeswehr? Habe ich da überhaupt reingepasst? Fragen, die man sich vielleicht am Anfang, vor der Dienstzeit, hätte stellen müssen, stelle ich jetzt am Ende.

Der Bund hat ja keinen sonderlich guten Ruf. Somit ist die Frage sicherlich berechtigt, was ich da eigentlich wollte. Und wenn ich ehrlich bin – bis zum Krieg in der Ukraine hätte man wahrscheinlich keine so wirklich aufrichtige Antwort von mir bekommen können.

Aber von vorn.

Warum geht einer wie ich nach dem Abitur erstmal zur Bundeswehr, statt gleich mit dem Studium anzufangen? Gerade beim Ruf dieser Institution werden einige Fragezeichen auftauchen, ob ich da überhaupt hinpasse. Es heißt, es gibt rechte Tendenzen, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Transfeindlichkeit etc. Und ja – das gibt es. Zuhauf.

Natürlich habe ich vergleichsweise offen Rechte und rassistische Ausbilder erlebt. Trans- und Frauenfeindlichkeit sowieso. Auch Homophobie ist mir durchaus begegnet. Die Leugnung des anthropogenen Klimawandels genauso wie eher kindisch anmutendes Gejammer übers ach so böse Gendern.

Aber ganz ehrlich? Vieles davon ist mir auch schon innerhalb des säkular-humanistischen Spektrums begegnet. Ich habe in Coronazeiten Menschen aus diesem Umfeld ins Reich der rechten Verschwörungen abdriften sehen, eine – um es mal vorsichtig auszudrücken – "kritische" Haltung zu transgeschlechtlichen Menschen ist leider nicht selten und die Haltung zum menschengemachten Klimawandel bei einigen hinterlässt bei mir mindestens Stirnrunzeln. Und ich bin ja trotzdem noch dabei.

Was will ich damit sagen? Ist der Ruf der Bundeswehr berechtigt?

Ja und nein. Ja, weil es diese Tendenzen durchaus gibt, aber auch nein, denn ich glaube, das hat weniger mit der Bundeswehr selbst zu tun.

Fragwürdiges Gedankengut findet man eben überall. Selbst unter Agnostikern und Humanisten und eben auch bei der Bundeswehr. Aber in meiner alten Dienststelle war es für keinen ein Problem, dass ich im NDR mit Lippenstift und Regenbogenfahne ein Interview auf dem CSD gegeben habe. Dass ich ein eher Linksgrüner bin, war da auch ein offenes Geheimnis. Und ich habe diesbezüglich nie Probleme gehabt. Gut, die Marine, bei der ich meinen Dienst verbracht habe, ist innerhalb der Bundeswehr nochmal was anderes und meine Dienststelle war nochmal eine ganz besondere – aber dennoch glaube ich, mir einen guten Eindruck verschafft haben zu können.

Ich glaube, der Ruf der Bundeswehr ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn es heißt, beim Bund sind nur Rechte, dann gehen keine Linken dorthin. Mit dem Resultat, dass beim Bund vermehrt Rechte sind.

Das alles ist natürlich noch keine Antwort darauf, was ich da gemacht habe und ob das gepasst hat.

Frieden und Humanismus sind Ideale, für die es sich zu kämpfen lohnt

Zu Beginn war ich beim Bund, weil ich neugierig war, es war einfach und vor allem gab es gutes Geld. Da habe ich mich nicht sonderlich damit beschäftigt, inwieweit das mit meinen Werten zu vereinbaren war, und musste es auch nicht.

Das hat sich durch den Krieg aber grundlegend geändert. Ich war vorher nie dafür, Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Auch das hat sich geändert. Aber meine Werte sind dieselben geblieben. Ich verabscheue Krieg. Ich verabscheue Waffenlieferungen.

Aber ich bin auch realistisch. Frieden und Humanismus sind wunderbare Werte. Ideale, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und Ideale, für die man leider auch kämpfen muss. Mit Waffen. Einigen mag das wie eine banale Feststellung vorkommen, aber ich glaube, ich bin nicht der einzige in Deutschland, der bis zu diesem Krieg naiv war.

Ich dachte, religiöse Kriege irgendwo anders auf der Welt, mögliche kommende Ressourcenkriege durch den menschengemachten Klimawandel oder auch amerikanisches "Weltpolizei-Spielen" wären die Kriege, die ich zu meinen Lebzeiten mitbekomme. Ich habe es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr für möglich gehalten, dass ein so offener, imperialistischer Angriffskrieg auf europäischem Boden stattfindet. Ich war wirklich der Meinung, Hitler hätte ganz Europa ein für alle Mal die Sinnlosigkeit eines solchen Krieges gezeigt. Andere Kriege auf der Welt waren immer so schön weit weg. So einfach auszublenden. Denn das können wir Menschen gut. Auch ich als Humanist konnte das gut. Denn bei allen Idealen will man nicht immer an Gewalt und Tod denken. Etwas Dissonanz ist ja in unser aller Alltag.

Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Nun herrscht Krieg in Europa. Ein sinnloser Angriffskrieg, von Russlands Diktator vom Zaun gebrochen. Und Putin lässt sich nicht mit gutem Willen stoppen. Er ist auch niemand, mit dem man verhandeln kann, wie es einige Pseudointellektuelle gern fordern. Denn man kann mit einem Tiger nicht vernünftig reden, mit dem Kopf in seinem Maul. Wobei er weniger ein Tiger und mehr ein bissiger Hund ist. Und ein Hund, der seine Probleme mit den Zähnen löst, wird seine Probleme so lange mit den Zähnen lösen, bis man ihm Grenzen aufzeigt oder ihn einschläfert. Das mag hart klingen, und es ist auch hart, das so zu schreiben, aber es ist die Wahrheit. Und als Humanist bin ich nicht nur meinen Werten, sondern auch der Wahrheit verpflichtet. Frieden und Freiheit kann man bis zu einem bestimmten Punkt verhandeln. Danach kann man sie nur erkämpfen beziehungsweise verteidigen.

Und da kommen wir zu dem Punkt, an dem mir bewusst wurde, dass Militär und Humanismus sehr gut zusammenpassen.

Als der Krieg in der Ukraine begann, wurde mir klar, dass ich nicht nur "einfach so" bei der Bundeswehr bin, sondern, dass es einen Sinn hat. Einen Sinn, der sich mit meinen Werten vereinen lässt.

Der Bundeswehr eine Chance geben

Die Bundeswehr hat ihre Probleme. Und es muss sich viel verändern. Ohne Frage. Natürlich hadere ich auch mit vielem bei der Bundeswehr. Allein die Existenz der Militärseelsorge ist mir zutiefst zuwider. Oder, dass ich in der Grundausbildung genötigt wurde, eine – wie sich im Nachhinein herausstellte – freiwillige Veranstaltung mit einem Militärpfarrer zu besuchen. Oder, dass die Bundeswehr-Postkästen und -Dienststellen überschwemmt werden mit dem JS-Magazin und dem Kompass, welche von den beiden Kirchen kommen und teilweise in der Aufmachung einer Bravo daherkommen. Wie viel Steuergelder alleine darin versenkt werden, ist mir leider nicht bekannt.

Aber trotzdem werde ich jetzt in meinem Studium gerne zu Reserveübungen zurückkehren. Und zwar nicht mehr nur, weil es einfach ist und gut bezahlt wird. Sondern auch aus Überzeugung.

Und ich möchte Humanisten, Linke, Grüne, ja, auch Pazifisten ermutigen, der Bundeswehr eine Chance zu geben. Sie ist nicht perfekt. Und man wird vielleicht auch mit einer gewissen kognitiven Dissonanz leben müssen. Aber das tun wir alle bereits jeden Tag. Irgendwo bleiben unsere Handlungen immer hinter unseren Ansprüchen zurück.

Die Bundeswehr ist eben wie ihre Soldaten. Und das könnte ihr Vorteil werden. Wenn etwas stört, sollte man überlegen, ob man nicht Teil der Lösung sein möchte. Es ist sicherlich nicht mein Traum, zur Grundbeorderung herangezogen zu werden und tatsächlich mit einer Waffe kämpfen zu müssen. Aber ich glaube, genau das braucht es auch. Ich glaube, hinter jede Waffe gehört ein Humanist. Ein Mensch, der sich den Werten der Menschenrechte verpflichtet fühlt. Jemand, der einerseits weiß, dass man im Zweifelsfall für etwas Besseres als "Königreich und Vaterland" kämpft und andererseits immer alles daran setzen würde, seine Waffe nicht benutzen zu müssen. Denn Frieden, Freiheit und Humanismus sind meines Erachtens genauso wichtig wie die Bereitschaft, für diese Dinge einzustehen und für sie zu kämpfen.

Ich glaube, Militär und Humanismus sind unter einen Hut zu bekommen, wenn man sich immer an eine einfache Maßgabe hält: So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Ich glaube, nur das kann langfristig Frieden bringen. Und hey – wenn es schon Militärgeistliche gibt, warum nicht einen rationalen Ausgleich durch Militärhumanisten schaffen?

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