Der HVD in der Bundeswehr?

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Dr. Thomas Heinrichs
Dr. Thomas Heinrichs, Foto: © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Dr. Thomas Heinrichs plädiert dafür, dass der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) Soldaten der Bundeswehr humanistisch beraten sollte. Dafür sollte sich der HVD aber nicht von der Bundeswehr bezahlen lassen.

I Die politische Frage

Die Frage, ob der Humanistische Verband humanistische Soldatenberater als Mitarbeiter der Bundeswehr stellen soll, ist eine politische Frage, denn es geht bei dieser Frage nicht darum, ob man für Soldaten, die einen Bedarf an einer humanistischen Beratung haben, eine solche anbietet, sondern es geht um die Frage, ob Berater des Verbandes sich von der Institution Bundeswehr anstellen lassen. Die zentrale Frage lautet: Wie halten es die Humanisten mit dem Krieg? Wie sieht eine humanistische Friedenspolitik aus?

Wenn man den Einsatz militärischer Mittel und damit den Krieg für ein normales Mittel der Politik hält – wie es inzwischen seit der Regierung Schröder/Fischer die offizielle Position der BRD ist –, welches mit einer humanistischen Weltanschauung, die den Menschen und seine Würde und seine psychische und physische Integrität in das Zentrum stellt, vereinbar ist, dann kann man auch humanistische Soldatenberater von der Bundeswehr als Mitarbeiter anstellen lassen.

Wenn man den Einsatz militärischer Mittel und damit den Krieg nicht für ein Mittel der Politik hält, welches, von extremen Ausnahmesituationen abgesehen, mit einer humanistischen Weltanschauung vereinbar ist, dann kann man keine humanistischen Soldatenberater von der Bundeswehr als Mitarbeiter anstellen lassen.

Ich gehe davon aus, dass es mit einer humanistischen Weltanschauung unvereinbar ist, den Einsatz des Militärs und damit den Krieg für ein normales Mittel der Politik zu halten. Damit ist klar, dass auch Soldatenberater als Mitarbeiter der Bundeswehr keine Handlungsoption für einen humanistischen Verband sind.

I.a Wie halten es die Humanisten mit dem Krieg?

Der Humanistische Verband hat sich in dem von ihm verfassten, humanistischen Selbstverständnis auch zur Frage des Kriegs positioniert. Unter Nummer 9 der praktischen Orientierungen heißt es: “Krieg, Produktion von Massenvernichtungsmitteln und Handel mit Kriegsmaterial sind inhuman bzw. immer ein Ergebnis inhumaner Verhältnisse und Verhaltensweisen. Humanistinnen und Humanisten setzen sich weltweit dafür ein, auf allen gesellschaftlichen Ebenen friedliche Konfliktlösungen zu finden. Die Verwirklichung einer menschlichen Gesellschaft setzt eine Politik voraus, die den Frieden sichert. Humanistinnen und Humanisten unterstützen aktiv eine Politik, welche jede Kriegswaffenproduktion beendet, Abrüstung verwirklicht und einen dauerhaften Frieden zwischen den Völkern der Welt schafft. Der Humanistische Verband Deutschlands unterstützt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und fordert zugleich das Recht ein, konfessionsfreie Soldaten in Lebensfragen zu beraten.”

Damit formuliert der Verband, auch unter Rückbezug auf die Weltkriegskatastrophen des 20. Jh’s, eine klar antimilitaristische Politik. Wenn man unter Pazifismus die Ablehnung bewaffneter Konfliktlösungen versteht, ist auch der Humanismus ein Pazifismus (Vgl. Horst Groschopp, Humanismus und Pazifismus. Facetten einer Kontinuität, in: fowid textarchiv 2007). Mit dieser Position ist die Stellung von Verbandsfunktionären als angestellte Mitarbeiter der Bundeswehr nicht vereinbar.

Den Ausführungen im humanistischen Selbstverständnis zur Beratung von Soldaten liegt aber ein Missverständnis zugrunde. Es ist nicht erkannt worden, dass der Verband bereits das Recht hat, Soldaten zu beraten, die sich seiner humanistischen Weltanschauung verbunden fühlen. Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV gewährt Funktionären von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften das Recht, Einrichtungen der Armee jederzeit und überall zu betreten, um ihre Mitglieder zu betreuen (s.u.). Daraus ergibt sich, dass humanistische Berater schon immer jederzeit Soldaten in und außerhalb militärischer Einrichtungen beraten konnten und können, sofern ein humanistisch orientierter Soldat eine solche Beratung wünscht. Es geht also nicht um die Frage, will, kann, darf der HVD Soldaten beraten – eindeutig kann und darf er das –, sondern es geht nur um die Frage, lässt der HVD seine humanistischen Berater von der Bundeswehr anstellen und sich damit von der Bundeswehr für die Beratung ihrer Soldaten bezahlen.

Zu der Frage, ob der HVD in die Bundeswehr gehen soll, gibt es einen alten, noch vor dem Umbau der Bundeswehr in eine Einsatzarmee getroffenen Beschluss, der schon damals sehr umstritten war. Unabhängig von diesem Beschluss gibt es in großen Teilen des Verbandes noch immer kein Verständnis dafür, dass Teile der Verbandsleitung mit humanistischen Beratern in die Bundeswehr gehen wollen. Es erscheint daher wesentlich sinnvoller, über diesen Beschluss zu reden und darüber, ob man unter den inzwischen veränderten Bedingungen weiter daran festhalten kann.

Wie sieht heute eine humanistische Friedenspolitik aus und kann der Einsatz der Bundeswehr ein Mittel einer solchen humanistischen Friedenspolitik sein?

Eine humanistische Friedenspolitik beginnt im Inneren mit einer humanistischen Erziehung. Sie müsste im Äußeren darauf hinarbeiten, Konflikte, die ein Kriegspotential entwickeln können, zu verhindern und dafür die Ursachen von Konflikten bekämpfen. Da Kriege immer nur aus ökonomischen Gründen geführt werden, fängt eine humanistische Friedenspolitik mit einer humanistischen Entwicklungspolitik an, die die bestehenden ökonomischen Differenzen auszugleichen sucht und allen Staaten und Völkern die gleichen Chancen eines Lebens in einem angemessenen Wohlstand gewährt.[1] Hierzu gehört heute auch eine ökologische Politik, die die natürlichen Grundlagen des Lebens überall auf dem Globus zu bewahren sucht.[2] Eine humanistische Friedenspolitik muss Mechanismen der friedlichen Konfliktbeilegung fördern. Sie muss sich für Abrüstung und das Ende der Waffenproduktion einsetzen. Großmachtpolitik und die Durchsetzung politischer/ökonomischer Interessen mit militärischen Mitteln müssen geächtet werden, und in Krisensituationen müssen diplomatische Mittel tatsächlich ausgeschöpft werden.

“Es ist eine gefährliche Illusion, mit Militär dort humanitär helfen zu können, wo Menschen systematisch die Lebensgrundlagen entzogen werden, wo sie ihrer fundamentalen Rechte beraubt werden, wo sie ausgebeutet, aus religiösen, ethnischen oder sozialen Gründen diskriminiert oder politisch verfolgt werden. Alle diese Probleme und Bedrohungen haben ihre Wurzeln und Ursachen in gesellschaftlichen Verhältnissen, sind also im weitesten Sinne ›zivilen‹ Ursprungs. Sie können demnach auch nur mit zivilen, nicht-militärischen Mitteln bearbeitet werden. Jede Prävention, jede Form ziviler Konfliktbearbeitung, jeder Einsatz politischer, ökonomischer, soziale und kultureller Mittel ist besser und nachhaltiger als eine militärische Symptombehandlung.”[3].

Wenn man keine radikal pazifistische Position vertritt, ist die Frage, unter welchen besonderen Umständen militärische Mittel zu politischen Zwecken eingesetzt werden könnten, im Einzelfall schwierig zu entscheiden. Ich bin der Auffassung, dass es mit einer humanistischen Weltanschauung vereinbar ist, in begründeten Ausnahmefällen, wenn eine auch eine konsequente humanistische Friedenspolitik nicht zum Erfolg geführt hat, zum Schutz von Menschenleben auch mit militärischen Mitteln einzugreifen, sofern im Einzelfall realistische Erfolgsaussichten für einen solchen Einsatz gegeben sind. Hier wären Kriterien zu entwickeln, anhand derer eine solche Entscheidung begründet werden kann und anhand derer sie nachvollziehbar wird. Ich verweise zu diesem Problemfeld auf die zwei Aufsätze von Frieder Otto Wolf, die dieser zum Libyenkonflikt geschrieben hat (“Fall Libyen” in: humanismus aktuell, Online-Ausgabe Berlin 2011, 2. [14.] Jg., H. 1, sowie dersb., “Retraktationen zu Libyen”, in: humanismus aktuell, Online-Ausgabe Berlin 2011, 2. [14.] Jg., H. 2.). Grundsätzlich ist dabei immer zu bedenken, dass militärische Interventionen ein hohes Risiko in sich tragen– “Nachkriegsgesellschaften sind hochgradig kriegsträchtig”[4] – und das Einsätze in fremden Ländern kulturell und politisch sehr problematisch sind und schon daher häufig mehr schaden als nutzen.

Von einer humanistischen Friedenspolitik und von einem Konzept nachvollziehbar begründeter humanitärer Einsätze in Ausnahmefällen sind die Bundesrepublik und die westlichen Industriestaaten überhaupt weit entfernt. Selbst wenn man zu einer Klärung der Frage käme, unter welchen besonderen Voraussetzungen militärische Mittel eingesetzt werden könnten, wäre eine solche Debatte in Bezug auf die Bundeswehr rein hypothetisch.

Seit dem Ende der Abschwächung des Ost-West-Konflikts, seit dem Ende der bipolaren Konfrontation zwischen “Westen” und “Osten” und speziell auf Deutschland bezogen, seit der Vereinigung von BRD und DDR ist die Außenpolitik der westlichen Staaten und der BRD zunehmend militarisiert worden.[5] Kriege und Bürgerkriege werden seit dem in erweitertem Umfang als Mittel der Politik genutzt. Krieg wurde und wird seit Jahrtausenden nie aus humanitären Zwecken geführt, und es ist nicht abzusehen, dass sich daran auch nur in den nächsten Jahrzehnten etwas ändern wird. Kriege werden immer nur wegen Macht und Geld geführt. Es geht um geostrategische Interessen, Macht-, Einflusssphären, ökonomische Interessen, Rohstoffe, Absatzmärkte usw. Wie Egon Bahr bei einem Besuch einer Schule 2013 zutreffend gesagt hat: “In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.”[6] Der Krieg war und ist ein Produktionsmittel.

Es wird in den USA, der derzeit international hauptkriegstreibenden Kraft, offen gesagt, dass Kriege geführt werden, um “freien Zugang zu den Auslandsmärkten und zu ‘den notwendigen Ressourcen für die Bedürfnisse unserer Industrie’” zu gewährleisten.[7] Auch die »verteidigungspolitischen Richtlinien« der Bundeswehr sehen dies seit 1992 so vor.[8]

Dies ist eine geradezu irrsinnige Forderung, da sie willkürlich die dauerhafte Besserstellung der Industrienation USA und der anderen westlichen Industrienationen gegenüber allen anderen Ländern fordert und militärische Mittel zu deren Erhaltung für gerechtfertigt erklärt. Es ist daher auch völlig verständlich, dass sich die USA nicht an das Völkerrecht gebunden sehen,[9] weil solche Kriege völkerrechtswidrig sind.

Die von den USA in letzter Zeit geführten Kriege und Militäreinsätze in Grenada, Panama, Nicaragua, Sudan, Afghanistan, Irak, Ex-Jugoslawien und Libyen war entweder völkerrechtswidrig oder völkerrechtlich sehr bedenklich. Es lag entweder schon kein UN-Mandat vor (Grenada, Panama, Nicaragua, Sudan, Afghanistan, Irak, Ex-Jugoslawien ),[10] bestehende Mandate wurden überschritten (Libyen)[11] oder der UN-Sicherheitsrat wurde von seinen führenden Mitgliedern manipuliert (Libyen, Tschad, Libanon). Der UN-Sicherheitsrat hat sich “inzwischen zu einer Art Selbstbedienungsinstitution für Mandatsvergabe entwickelt.”[12]

Die USA beriefen sich für ihre Kriege weitgehend auf das Argument des völkerrechtlich verbotenen Präventivkriegs und rechtfertigten die Kriegseinsätze mit der angesichts der geostrategischen Situation und der politischen, industriellen und militärischen Kräfteverhältnisse völlig absurden Behauptung, einem militärischen Angriff auf die USA zuvorkommen zu müssen.[13] Auch die Förderung von Bürgerkriegen zur Destabilisierung bestimmter Staaten und Regionen, wie im Kosovo, Syrien und jetzt in der Ukraine, gehören ebenso wie der völkerrechtswidrige Einsatz von Drohnen[14] und die Einrichtung von Foltergefängnissen außerhalb der USA – nicht nur in Guantanamo – zu dieser neu militarisierten Außenpolitik der USA.

Selbstverständlich führen nicht nur die USA Kriege, aber für unsere Frage, ob der Einsatz der Bundeswehr ein Mittel einer humanistischen Friedenspolitik sein kann, sind nur die Kriege der USA von Belang. Die Bundeswehr führt alleine keine Kriege. Sämtliche Kriegseinsätze der Bundeswehr, die seit 1990 stattgefunden haben, sind nur im Rahmen von militärischen Aktionen unter Leitung oder doch wesentlicher Beteiligung der USA erfolgt oder im Rahmen der Nato; neuerdings nehmen allerdings die Versuche zu, dass die EU alleine militärische Interventionen unternimmt.

Die Bundeswehr ist seit 1990 von einer auf Landesverteidigung orientierten Armee, für die ein Einsatz außerhalb des Verteidigungsfalles nicht denkbar und auch grundgesetzlich verboten war (vgl. Art 24, 26 und 87a GG), Schritt für Schritt zu einer Interventionsarmee umgebaut worden, die zur Durchsetzung ökonomischer und politischer Interessen der BRD weltweit eingesetzt wird.[15] Dieser Umbau ist unter dem Schlagwort der “Normalisierung” betrieben worden, so als sei Krieg etwas völlig Normales, was jeder anständige Staat führen müsse, und als sei die BRD, die nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung Deutschlands politisch nicht mehr die Option hatte, außerhalb ihres eigenen Hoheitsgebietes Krieg führen zu können, damit in ihrer staatlichen Souveränität inakzeptabel beschränkt gewesen. Dem liegt eine absolut inhumane und wahnsinnige Vorstellung von staatlicher Souveränität zugrunde. Staatliche Souveränität bedeutet dann, Menschen anderer Staaten und Völker beliebig ermorden zu dürfen, wenn es den eigenen Interessen dient.

Mit dem Normalitätsbegriff korrespondierte in diesem Militarisierungsdiskurs ein Begriff der “Verantwortung”, so als sei Deutschland auch dazu verpflichtet, in anderen Staaten zu morden.