Die deutsche Armee wird nicht mehr zur Verteidigung, sondern zur “Krisenbewältigung” eingesetzt. Ziel militärischer Einsätze im Ausland ist es, Rohstoffinteressen und Handelswege weltweit zu sichern. Dies hat der Bundespräsident Köhler 2010 explizit so geäußert. Die deutsche “Sicherheit” wird nach den verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 überall in der Welt “verteidigt”. Humanitäre Rechtfertigungsversuche, die am Anfang zur Gewöhnung der Öffentlichkeit an diese neue Lage von der Politik propagiert wurden, spart man sich inzwischen. Damit ist die deutsche Außenpolitik einer Militarisierung unterworfen worden.[16] Die 34 Militäreinsätze, an denen sich die Bundeswehr zwischen 1990 und 2010 beteiligt hat, haben in keinem Fall zu einer Verbesserung der humanitären Lage vor Ort geführt, zumeist hat sich die Lage verschlechtert.[17] Die Einsätze wurden daher offensichtlich auch nicht aus humanitären Gründen, sondern aus eigenen politischen Interessen der deutschen Politik durchgeführt.
Allerdings ist durch die Umstellung der Bundeswehr von einer Wehrpflichtigen-Armee zu Verteidigungszwecken zu einer Freiwilligen-Armee zu Interventionszwecken nicht nur eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik erfolgt. Auch im Inneren findet mit der Normalisierung des Militärs als Mittel der Politik eine schleichende Militarisierung statt. Dies ist zwangsläufig so. Die Bundeswehr muss sich als “normaler” Arbeitgeber darstellen, um ausreichend Freiwillige zu rekrutieren.
Werbemaßnahmen der Bundeswehr in Schulen und Hochschulen sind inzwischen selbstverständlich. Die Bundeswehr kooperiert bereits mit der Stiftung “Bildung für Thüringen” im Bereich der frühkindlichen Erziehung zu sicherheitspolitischen Fragen. Die “Jugendoffiziere” erreichten 2012 in Schulen, bei Truppenbesuchen, jugendrelevanten Messen und Events 140.000 Schülerinnen und Schüler, mit steigender Tendenz. Die Karriereberater sprachen mit 254.000 Schülerinnen und Schülern. Im vergangenen Jahr gab die Bundeswehr für Personalwerbung über 20 Millionen Euro aus. Auch die militärische Forschung an den Hochschulen nimmt zu.[18] Die Politik fördert mit allen Mitteln diese Normalisierung des Krieges. Die Bevölkerung soll an den Einsatz des Militärs als Mittel der Politik gewöhnt, ihre derzeit noch ganz überwiegend bestehende ablehnende Haltung überwunden werden. Die Beteiligung des humanistischen Verbandes an der Bundeswehr wäre ein weiterer Schritt zu einer solchen Normalisierung von Militär und Krieg und stünde damit in klarem Gegensatz zu seinen humanistischen Prinzipien.
I.b Humanistische Hilfe für Soldaten
Wer wie ich dagegen ist, humanistische Soldatenberater als Angestellte der Bundeswehr zu stellen, will nicht Berufssoldaten, die sich freiwillig zur Bundeswehr verpflichtet haben, mit ihren Problemen alleine lassen. Selbstverständlich sollte der Verband für solche Soldaten eine humanistische Beratungsoption anbieten, die wie jede humanistische Beratung nicht inhaltlich unbestimmt sein kann, sondern humanistischen Zielen verpflichtet sein muss und daher nicht darauf abzielen kann, den Soldaten für seinen Beruf des Tötens und Getötet-Werdens fit zu machen, sondern darauf abzielen muss, ihm eine Ausstiegsoption zu eröffnen. Wenn der Soldat diese Option nutzen will, muss es Aufgabe des Beraters sein, ihn dabei zu unterstützen.
Eine solche Beratung ist praktikabel. Sofern es überhaupt einen Bedarf gib könnte sowohl außerhalb der Bundeswehr wie auch in den Einrichtungen der Bundeswehr ein für die Soldaten wahrnehmbares und leicht erreichbares Angebot gemacht werden.
Außerhalb der Bundeswehr könnte der Verband ein entsprechendes Angebot im Internet machen, wo auf einer Webseite das Beratungsprogramm vorgestellt werden könnte und sowohl eine Online-Beratung wie auch nach Absprache eine persönliche Beratung angeboten würde.
Der Verband könnte, sofern ein relevanter Bedarf besteht, zudem verlangen, dass in den Einrichtungen der Bundeswehr eine regelmäßige Sprechstunde durchgeführt wird, die in einen bestimmten Raum und zu feststehenden Sprechzeiten stattfinden würde. Bei Bedarf müsste die Bundeswehr auch auf ihre Kosten humanistischen Beratern den persönlichen Kontakt mit Soldaten im “Auslandseinsatz” ermöglichen. Eine Zusammenarbeit mit der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerung, der ökumenischen Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge und ähnlichen Organisationen wäre sinnvoll und leicht herzustellen.
Was man allerdings für eine solche Tätigkeit nicht bekommt, ist Geld. Eine staatliche Förderung für den Aufbau einer unabhängigen humanistischen Soldatenberatung, die im wesentlichen darauf abzielt, den Soldaten eine humanistische Weltanschauung zu vermitteln, die Krieg als Mittel der Politik ablehnt, wird man nicht bekommen.
Es ist dem HVD nicht gelungen, ein klares und auf dem Markt der Lebensberatung erfolgreiches Profil einer humanistischen Beratung zu entwickeln. Ich halte es für die Außendarstellung eines humanistischen Verbandes für verheerend, wenn die von ihm angebotene humanistische Beratung statt dessen unmittelbar und nur mit dem Militär assoziiert wird.
Es ist die traditionelle Aufgabe des Militärseelsorgers, den Soldaten für seinen Beruf des Tötens und Getötet-Werdens fit zu machen. Die christlichen Kirchen, die schon immer die eigenen Kanonen gesegnet haben, üben diese Tätigkeit mit großer Hingabe an den Dienst aus, schließlich ist der Krieg “eine von Gott gesetzte Ordnung”.[19] Die Humanisten sollten ihnen hier keine Konkurrenz machen.
I.c Die rechtliche Stellung des Soldaten und des Militärseelsorgers/humanistischen Soldatenberaters
Was wollen wir der HVD in der Armee? Worum geht es inhaltlich? Was sollen die Ziele einer humanistischen Soldatenberatung sein?
Wenn man die obige Auffassung vertritt, dass, außer von extremen Ausnahmefällen abgesehen, Krieg als Mittel der Politik mit einer humanistischen Weltanschauung unvereinbar ist und dass es bei den derzeitigen politischen Verhältnissen keine Perspektive gibt, dass militärische Mittel tatsächlich aus humanitären Gründen eingesetzt würden, dann wäre es die Aufgabe des humanistische Soldatenberaters, die Soldaten zur Verweigerung des Kriegsdienstes und damit zum Ausstieg aus der Bundeswehr zu bewegen. Ein von der Bundeswehr angestellter humanistischer Berater, der Soldaten generell mit dem Ziel berät, aus der Armee auszusteigen, würde sich jedoch strafbar machen. Die Vorstellung, humanistische Soldatenberater könnten in der Bundeswehr eine humanistische, antimilitaristische Weltanschauung vertreten, ist bestenfalls als politisch naiv zu bezeichnen, schlimmstenfalls ist es geheuchelt und der untaugliche Versuch, sich um die eigene, positive Stellungnahme zum Krieg als Mittel der Politik zu drücken.
Selbstverständlich erwartet die Bundeswehr von ihren Militärseelsorgern eine grundsätzlich positive Einstellung zum “Dienst an der Waffe”. Sie würde dies ebenso und aus ihrer Perspektive auch völlig zu Recht von humanistischen Soldatenberatern erwarten, nicht zuletzt, weil sie diese Leute bezahlt. Jedem Militärseelsorger und auch jedem potentiellen humanistischen Soldatenberater wäre dies völlig klar. Ohne dass dies extra thematisiert werden müsste, wüsste man, dass man nicht nur für den einzelnen Soldaten, sondern auch für die Armee als ganze im “Einsatz” ist.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wer sich von der Bundeswehr bezahlen lässt, lässt sich von ihr kaufen. Er kann seine humanistische Weltanschauung nicht mehr frei vertreten, sondern muss innerhalb des vorgegebenen Auftrags der Bundeswehr handeln. Tut er das nicht, sondern handelt er nach humanistischen Prinzipien, so würde er sich, abgesehen davon, dass er sofort entlassen würde, sehr wahrscheinlich auch strafbar machen.
Ralf Schöppner hat in “diesseits” geschrieben, es gehe darum, die Soldaten dafür zu schulen, dass “sie […] selbst verantworten, ob wirklich alle Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösung ausgeschöpft wurden”.[20] Die Schulung von Soldaten mit diesem Ziel ist strafbar.
Auch eine Beratung oder Schulung der Soldaten mit dem Ziel, dass diese lernen sollen, selber zu entscheiden, “wann angesichts der Wahl zwischen zwei Übeln dasjenige der unterlassenen Hilfeleistung das Schlimmere ist gegenüber der gewalttätigen Aktion” (ebd.) wäre strafbar.
Soldaten sind Befehlsempfänger: “Der Soldat muss seinem Vorgesetzten gehorchen” § 11 SoldatenG. Verweigert der Soldat den Gehorsam, so macht er sich nach § 19, 20 WehrStrG strafbar. Dabei reicht es für die Strafbarkeit schon aus, wenn der Soldat sich mit Worten gegen den Befehl auflehnt – also mit seinem Vorgesetzten darüber diskutiert – oder wenn er den Befehl nach einmaliger Wiederholung immer noch nicht befolgt (§ 20 WehrStrG Gehorsamsverweigerung). Wie man an diesen Normen sieht, ist die Bundeswehr keine Männergruppe, in der Probleme diskutiert werden, sondern selbstverständlich für eine Armee hat der Soldat den Mund zu halten und zu gehorchen!
Weiterhin ist als Meuterei strafbar, wenn der Soldat sich mit anderen zusammentut, um den Gehorsam zu verweigern (§ 27 WehrStrG), also genau das tun würde, was Ralf Schöppner als Ziel des humanistischen Lebenskundeunterrichts in der Bundeswehr definiert hat, nämlich mit seinen “Kameraden” darüber zu diskutieren, ob denn alle nichtmilitärischen Mittel ausgeschöpft seien und der Befehl, Waffen einzusetzen, daher jetzt gerechtfertigt sei.
Für einen “reflektierenden Soldaten” ist hier kein Raum.
Wie sieht es mit der rechtlichen Position des humanistischen Soldatenberaters aus? Der humanistische Soldatenberater würde in der Bundeswehr grundsätzlich das Gleiche tun, wie die Militärseelsorger, er wäre, wie dies Horst Groschopp schon 2007 formuliert hat, ein “atheistischer Politoffizier”.[21] Die Militärseelsorger sind Bundesbeamte und nicht Kirchenbeamte. Sie haben jedoch rechtlich eine Sonderstellung; sie unterstehen in kirchlichen Angelegenheiten dem Militärbischof, der nicht Bundesbeamter ist, und in “Dienstangelegenheiten” der Dienstaufsicht des Militärdekans, der selber wiederum in staatlichen Angelegenheiten dem Bundesminister der Verteidigung untersteht.
Nach § 36 Soldatengesetz hat der Soldat Anspruch auf Seelsorge. Wenn der humanistische Soldatenberater entsprechend den Militärseelsorgern in der Bundeswehr beschäftigt wäre, würde er in der Regel Beamter sein. Die Bundeswehr legt auf diesen Beamtenstatus auch Wert, weil der Militärseelsorger oder humanistische Berater als Beamter Dienstpflichten hat, die ihn stärker disziplinarisch einbinden, als dies bei einem Angestellten der Fall wäre. Der Soldatenberater hätte primär die Aufgabe, seelsorgerisch tätig zu sein, also Soldaten, die sich der humanistischen Weltanschauung zugehörig fühlen, bei psychischen Problemen, Sinnkrisen und anderen Lebensproblemen zu beraten.
Wenn unser Berater den Soldaten im Sinne einer humanistischen Weltanschauung beraten würde und ihm klar machen würde, dass das, was er als Soldat macht, mit einer solchen Weltanschauung nicht vereinbar ist, dann geht er ein erhebliches Risiko ein, dass er sich der Anstiftung oder Beihilfe zur Befehls- oder Gehorsamsverweigerung strafbar macht.
Zwar kann sich der humanistische Soldatenberater ebenso wie ein Militärseelsorger in einem gewissen Umfang auf sein Weltanschauungsprivileg und seine Gewissensfreiheit berufen, so dass es im Einzelfall durchaus möglich ist, einem Soldaten, bei dem auch ein vom Militär grundsätzlich überzeugter Militärseelsorger den Eindruck hat, er sei für die Tätigkeit als Soldat generell nicht geeignet, zu raten, den “Dienst” zu quittieren und notfalls auch zu verweigern. Täte er dies jedoch als Beamter oder Angestellter der Bundeswehr systematisch, so wäre dies nicht mehr durch sein Weltanschauungsprivileg gedeckt. Jemand, der eine solche Position vertritt, kann nicht Angestellter oder Beamter der Bundeswehr sein.
Verletzt der Militärseelsorger seine dienstlichen Pflichten, so kann er jederzeit durch Einleitung eines Disziplinarverfahrens entlassen werden. Würde er systematisch Soldaten dahingehend beraten, die Arbeit bei der Armee zu beenden, so würde er gegen seine Beamtenpflichten verstoßen und damit ein Dienstvergehen begehen, welches mit Sicherheit zur Eröffnung eines Disziplinarverfahrens und zur Entfernung aus dem Dienst führen würde. Die Situation wäre für einen auf Honorarbasis oder in einem Angestelltenverhältnis beschäftigten humanistischen Soldatenberater nicht anders.
I.d Der sogenannte “lebenskundliche Unterricht”
Neben seiner individuellen Beratungstätigkeit würde der humanistische Soldatenberater, wenn er denn genau so eingesetzt würde wie die Militärseelsorger, den sogenannten “lebenskundlichen Unterricht” erteilen.
Während die Aufgabe der weltanschaulichen Beratung von Mitgliedern seiner Konfession eine genuin weltanschauliche Aufgabe ist, auf die ein humanistisch orientierter Soldat einen Anspruch hat, ist der “lebenskundliche Unterricht”, nach der erneuerten Dienstvorschrift dazu, keine irgendwie geartete seelsorgerische Tätigkeit, sondern ein allgemeiner politisch- moralischer Bildungsunterricht (Abs. 104, 105 ZDv 10/4), der nur in der Regel von Pfarrern unterrichtet wird und ausnahmsweise von anderen, dafür qualifizierten und die Gewähr der Qualität bietenden Lehrkräften (Abs. 104 Fußnote ZDv 10/4).
Der humanistische Soldatenberater darf also seine spezielle humanistische Weltanschauung in diesen Unterricht gar nicht einbringen, sondern muss sich an den Zielen, die die Bundeswehr vorgibt, orientieren. Der humanistische Soldatenberater als Lehrer des lebenskundlichen Unterrichts untersteht der Dienstaufsicht und kann sich nicht auf das Privileg seiner Weltanschauungsfreiheit berufen. Wenn man sich die Themenhefte, die das Amt für katholische Militärseelsorge herausgibt,[22] – und den entsprechenden Themenkatalog bei der evangelischen Militärseelsorge[23] – ansieht, so kann man erkennen, dass der Unterricht zum einen eine Art Sozialkunde ist und zum anderen eine Art Gruppentherapie. Informative Einheiten z.B. zum Islam, zur Demokratie und zur Menschenwürde wechseln mit Themen wie Schuld, Partnerschaft und ähnlichen, die Soldaten persönlich betreffenden Problemen.
Was ist das Ziel dieses Unterrichts nach der neuen Dienstvorschrift? Er soll die Entwicklung einer berufsethischen Kompetenz fördern, also die Ausbildung einer speziellen Soldatenethik. Er soll dem soldatischen Tun einen “Sinn” (Abs. 106 ZDv) vermitteln und das “Pflichtbewußtsein” der Soldaten (Abs. 108 ZDv) stärken. Er soll die staatliche Gemeinschaft in den Vordergrund stellen und den Soldaten klar machen, dass diese zu verteidigen ist.
Mit dem Umbau des lebenskundlichen Unterrichts und mit der reformierten Dienstvorschrift reagiert die Bundeswehr auf die neuen Anforderungen, die an sie als Einsatzarmee gestellt werden. Hier ergeben sich zwei Probleme. Zum einen sollen sich die Soldaten im Einsatz in fremden, besetzten Ländern angemessen verhalten. Es ist den Einsatzzielen nicht förderlich, wenn christliche Soldaten in islamischen Ländern Koranverbrennungen vornehmen[24] oder mit auf verlassenen Friedhöfen vorgefundenen Totenschädeln Fußball spielen.[25] Ein gewisser Respekt vor der Kultur der unterworfenen Bevölkerung wird erwartet. Dies soll der lebenskundliche Unterricht den Soldaten beibringen. Andererseits aber wird auch die Überlegenheit des westlichen Wertesystems und damit eine Sinnstiftung für die Auslandseinsätze vermittelt. Es gelte dieses Wertesystem zu schützen. Zum anderen leiden immer mehr deutsche Soldaten, die im Auslandseinsatz waren, danach an posttraumatischen Belastungsstörungen.[26] Daher ist eine bessere, psychisch stabilisierende Vorbereitung von Bedeutung. Der neu gefasste lebenskundliche Unterricht gehört zu diesem Vorbereitungsprogramm.
Für den »reflektierenden Soldaten« oder gar eine humanistische Friedenspolitik ist hier nirgendwo Platz. Es ist daher aus humanistischer Perspektive inakzeptabel, nur weil der Humanistische Verband im Rahmen der schulischen Lebenskunde über Erfahrung in einem Werteunterricht verfügt, sich als Anbieter eines militärischen Ausbildungsunterrichtes bei der Bundeswehr anzupreisen. Es kann nicht Aufgabe von Humanisten sein, Soldaten für ihr mörderisches Handwerk zu schulen.