Der Humanistische Verband Rheinland-Pfalz/Saarland e. V. (HVD RLP/Saar) macht auf die nach wie vor unbefriedigende Lage zu Fragen des selbstbestimmten Sterbens in Deutschland aufmerksam. Die aktuelle Berichterstattung zum selbstbestimmten Tod der belgischen Spitzensportlerin Marieke Vervoort führt wieder einmal vor Augen, dass ein fundamentales Menschenrecht in Deutschland nicht gewährleistet ist. Anders als in Deutschland durfte die Schwerkranke in Belgien professionelle Sterbehilfe in Anspruch nehmen und in Würde aus dem Leben scheiden.
In Deutschland wurde die Hilfe zur Selbsttötung mit Inkrafttreten des § 217 StGB am 10. Dezember 2015 zur Straftat erklärt, sofern sie wiederholt geschieht. Bis dahin war diese Hilfe straffrei – genau wie die straffreie Handlung der Selbsttötung selbst. Ärzte verunsichert die Regelung, Angehörige überfordert sie. Für Menschen, die ihr Leben wegen Schmerzen oder Leiden als nicht mehr erträglich und damit als würdelos empfinden, entspricht das einem Zwang, weiterleben zu müssen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als Hilfe im Ausland zu suchen oder für nicht absehbare Zeit weiter zu leiden.
Das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. März 2017, noch einmal bestätigt am 28. Mai 2019, schien Abhilfe zu bringen. Dieses Urteil sieht vor, dass suizidwilligen Personen in Ausnahmefällen eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital nicht verweigert werden dürfe. Allerdings wird das Urteil bis zum heutigen Tag durch den amtierenden Gesundheitsminister Jens Spahn nicht umgesetzt – ein Rechtsbruch, da das Ministerium für Gesundheit als Exekutive an das richterliche Urteil gebunden ist.
Diese Entwicklung innerhalb von Gesetzgebung und Exekutive beobachtet der Humanistische Verband mit großer Besorgnis. Eine Korrektur kann durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen, dessen Urteil nach der Verhandlung der Klagen gegen den neu eingeführten § 217 StGB in den nächsten Monaten erwartet wird.
Die öffentliche Diskussion um ein selbstbestimmtes Sterben als eine Entscheidung, die nur der betroffene Mensch selbst treffen kann, ist zwar nach wie vor in Gang. Sie scheint aber angesichts der Verletzlichkeit der Betroffenen nicht laut genug, um Gesetzgebung und Regierung zu beeinflussen. Auch das Recht auf seiner Seite zu haben, hilft anscheinend nicht.
"In einer freiheitlichen Gesellschaft brauchen wir keine neuen Tabus", so Hedwig Toth-Schmitz, Vorsitzende des HVD RLP/Saar. "Wir brauchen Mündigkeit statt bevormundender Fürsorge durch die Obrigkeit. Wir brauchen den Schutz der Rechte des Einzelnen statt einer Kriminalisierung derjenigen, die sich für die Rechte von Menschen einsetzen. Denn Rechte, die ausgehöhlt werden, verkommen zur leeren, wirkungslosen Hülse. Freiheiten, die dadurch verloren gehen, können nur mühsam wieder errungen werden."
Es sei ein Skandal, dass politische Entscheidungsträger sich in ihrer Amtsführung stärker von der eigenen Weltanschauung als von rechtsstaatlichen Prinzipien leiten lassen. Der HVD setzt sich ein für Regelungen, die ein selbstbestimmtes Sterben ermöglichen, statt die Betroffenen in die Illegalität zu drängen.
18 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dieser sehr gute Artikel zeigt deutlich, wie Legislative und Exekutive in den Händen der Kirchen sind und damit ein großer Teil von Selbstbestimmung den Menschen im Lande genommen wird, nur damit das Leiden bis zum bi
Einen nützlichen Sinn kann man da nicht erkennen, sondern nur das Machtbestreben der Kirchen über die Menschen.
Stefan Räbiger am Permanenter Link
Nicht mein erster Brief an Frau Griese, damals MdB, die sich ja für das Verbot der Sterbehilfe besonders stark gemacht hat.
Hallo Frau Griese,
angehängt an meine Nachricht ein Link zu einem Beitrag auf N-TV über die belgische Paralympicssiegerin Marieke Vervoort, die vor einigen Tagen freiwillig aus dem Leben scheiden durfte.
Wenn ich das lese kommt mir immer wieder die Empörung über die Beschliessung des §217 hoch. Woher nehmen Sie sich die moralische Autorität dieses Recht auf Sterbehilfe einem so schwer erkrankten und leidenden Menschen zu verweigern. Sie schmücken sich mit einem Sitz im Rat der evangelischen Kirche und haben immer noch nicht begriffen wie gnadenlos und unmenschlich Ihre Haltung ist.
Da meine Schwester seit Jahren in einem Hospiz als Sterbebegleiterin ehrenamtlich tätig ist weiß ich aus erster Hand wieviele Menschen Ihr Leiden gerne verkürzen wollen. Was nicht heißt, diese Menschen wollen ihr Leben wegwerfen, sondern auch die Paliativmedizin kann ihr Leiden nicht mehr lindern.
Kein Mensch, ausser er ist psychisch krank, wirft sein Leben leichtfertig weg, das möchte man nur wenn das Leid unerträglich wird.
Auch ihr Argument, es bestände die Gefahr das alten Menschen eingeredet wird sie sollten ihr Leben zu gunsten von Erben verkürzen, entbehrt nicht einer gewissen Lächerlichkeit.
Der berechtigte Zweifel vieler Menschen das es überhaupt einen Allmächtigen gibt und Sie immer noch mit antiquierten christlichen Argumenten versuchen Ihre Haltung zu rechtfertigen ist armselig. Dieser Allmächtige der schon bei der Sündflut angeblich die ganze Menschheit und alle lebenden Wesen mit eienem Massenmord ausgelöscht hat, bis auf die paar Exemplare, hat sich, gäbe es ihn denn, schon damals disqualifiziert uns irgendwelche Regel vorschreiben zu dürfen.
Ich nehme mir mit 71 Jahren und als Kind einer Familie die seit 3 Generationen jeden Glauben an Religion abgelegt hat und dennoch gottlos glücklich dieses Leben mit allen seinen Heruasforderungen angenommen hat, Menschen wie Sie in Frage zustellen. Besonders auch auf Grund des Mutes meines Großvater der seinen jüdischen Freund und dessen Frau für einige Jahre bis 1945 versteckt hat, die Zeit in der christliche Bischöfe Hitlers Waffen gesegnet haben, Sie feiern die Reformation des Antisemiten Martin Luther der ein Freund der Hexenverbrennung war und Mitteleuropa Krieg und Pest gebracht hat, neben einer sauertöpfischen Religion, hätte er Religion mal besser in Frage gestellt.
Ich hoffe für Sie, dass Sie eines Tages aus der Illusion des Glaubens aufwachen und die Welt so wahrnehmen können wie sie wirklich ist.
Es grüßt Sie ein Bürger der Mitleid und Nächstenliebe praktiziert ohne irgendwelche religiösen Illusionen, das steckt in unseren Genen und ist älter als die Bibel.
Stefan Räbiger
Jürgen Becker am Permanenter Link
Vielen Dank Herr Räbiger für diesen Brief. Sie sollten ihn allen MdB zugänglich machen, auch wenn viele dies aus ihrer Verbohrtheit heraus nicht lesen werden.
Mit freundlichen Grüßen
J. Becker
Thomas R. am Permanenter Link
"Kein Mensch, ausser er ist psychisch krank, wirft sein Leben leichtfertig weg,"
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Stefan Räbiger am Permanenter Link
Das mag ja sein, ich habe bisher noch keine Erfahrung mit der Not psychisch kranker Menschen gemacht, die den Freitod gesucht haben. Muß ich mir das vorstellen?
Gabriele Wruck am Permanenter Link
"besser Sie würden sachlich aufklären, mit Fallbeispielen."
Wie soll denn so ein Fallbeispiel aussehen?
Auch Sachlichkeit hat ihre Grenzen.
Nicht alles ist so abbildbar, dass es für andere nachvollziehbar ist. Ich sehe auch gar nicht den Bedarf.
Es ist eine einzige Zumutung und Anmaßung, jemanden, der um letzte Hilfe bittet, am ausgestreckten Arm zappeln und leiden zu lassen, bis Stefan Räbiger (oder wer auch immer) sein Leiden endlich nachvollziehen kann.
Sie (oder wer auch immer) sind NICHT der Maßstab, an dem das Leiden eines Menschen gemessen werden darf. Es gibt hier schlicht keinen Maßstab und kann auch keinen geben.
Jedweder caritativer Entmündigungsversuch widerspricht meinem Empfinden von Würde.
Und jedes Gebieten, Leid zu ertragen, IST Entmündigung, so die leidende Person um letzte Hilfe gebeten hat.
Stefan Räbiger am Permanenter Link
Ich lasse niemanden am ausgestreckten Arm zappeln, jeder kann sein Leben gestalten oder beenden wie er es möchte solange er anderen damit keinen Schaden zufügt. Sie antworten auf eine unangemessene Art und Weise.
Gabriele Wruck am Permanenter Link
"bin aber auch der Meinung das jeder der die Hilfe eines Arzt in anspruch nimmt, ... diesen Anspruch überprüfen lassen muß."
Aber das IST doch die Entmündigung!
Die Überprüfung eines Anspruchs kann nur auf der Basis von Maßstäben geschehen und ist im Hinblick auf individuelles Leid NICHT MÖGLICH.
Deshalb ist der Leidende als EINZIG auskunftskräftige Person unwidersprochen ernst zu nehme und von jedem, der das Wort "Ethik" buchstabieren kann, durch Handeln zu würdigen. Wer sich hierbei von wie auch immer begründeten inneren Widerständen geschüttelt sieht, hat zumindest die Pflicht, diese Verantwortung wirksam und unverzüglich an eine hilfsbereite Person zu delegieren.
Jede Sekunde der "Überprüfung" IST für einen schwer Leidenden (und niemand anderes bittet um letzte Hilfe) ein elendes Zappeln am ausgestreckten Arm.
Mir ist klar, dass Sie es nicht böse meinen, doch ausschlaggebend ist hier nicht Ihre Motivation, sondern die reale Leidensverlängerung, die der Leidende ertragen muss.
Stefan Räbiger am Permanenter Link
Ihre Vorstellung läßt zuviel Raum für die Möglichkeit, das Menschen die aus psychischen Gründen den Freitod suchen, durch Manipulation anderer der Vorstellung erlegen sind das nichts anderes mehr helfen könnte, daher
Gabriele Wruck am Permanenter Link
Nennen Sie mir die Kriterien, nach denen Sie überprüfen wollen, wie stark jemandes Leiden ist!
Nennen Sie mir die Person, die sich anmaßen dürfen soll zu befinden, dass ein von Schmerzen gequälter Mensch sein brutales Leiden aber gefälligst zu ertragen habe!
Weil ja sonst vielleicht bei jemand anderem jemand anderes vorbeikommt und ihm fies einflüstert, dass er sich umbringen soll.
Sorry, aber das ist krank: Um eine theoretische Möglichkeit zu verhindern, befördern Sie bestialischen Leid, das tatsächlich in jeder Sekunde stattfindet.
Das ist die nackte Arroganz, die, wie bei jeder karitativen Vergewaltigung, im Fürsorglichkeitsmäntelchen daherschleicht.
Stefan Räbiger am Permanenter Link
Sorry Frau Wruck, [Beleidigung von der Redaktion gelöscht], ich will nicht wissen wie stark das Leiden eines Sterbewilligen ist, sondern bin für eine Überprüfung ob es ganz alleine seine Entscheidung ist oder ob die P
Stefan Räbiger am Permanenter Link
Wenn Sie meinen das das was ich schreibe krank ist, dann haben Sie eine ganz schön naive Lebenseinstellung.
Gabriele Wruck am Permanenter Link
Das individuelle Leiden eines Lebewesens betreffend GIBT ES KEINE OBJEKTIVE HALTUNG, denn Leiden ist zwangsläufig subjektiv.
Stefan Räbiger am Permanenter Link
Wenn Sie meinen, werfen Sie ruhig das Geschenk des Lebens weg wenn Ihnen da nach ist, ich werde trotz aller Versuche Ihrerseits meine Meinung nicht ändern, das es besser ist wenn der Entschluß aus dem Leben zu scheide
Gabriele Wruck am Permanenter Link
Und weiter geht's mit dem Paternalismus.
Wer so leidet, dass er sterben will, empfindet sein Leben nicht als Geschenk, sondern als HORROR!
Und in so einer Situation ist es eben nicht besser, zu zögern. Es gibt im Leben keine Garantien, auch keine Gewissenskasko. Sie können nicht alles kontrollieren.
Die Würde des Menschen ist unantastbar... So hätte ich es gern. Und mit Füßen getreten wird sie, wenn ein Mensch eine Grundsatzentscheidung über sein Leben trifft und von den Personen, die er um Hilfe bitten muss, statt der Hilfe eine Erziehungsmaßnahme eingeleitet wird.
Stefan Räbiger am Permanenter Link
Sie tun mir leid Frau Wruck.
Gabriele Wruck am Permanenter Link
Mir tun die Menschen leid, deren Leiden wegen selbsternannter Aufseher (endlos) verlängert wird.
Ich hoffe sehr, dass ich nie zu diesen Menschen gehören werde, und ich hoffe noch mehr dass ich, wenn es doch so kommen sollte, sofort an mindestens einen konsequent in meinem Sinne handelnden Menschen gerate und auf keinen Fall auf jemanden, der sein eigenes Geklammere am Leben auf mich projiziert.
Thomas R. am Permanenter Link
"ich habe bisher noch keine Erfahrung mit der Not psychisch kranker Menschen gemacht, die den Freitod gesucht haben. Muß ich mir das vorstellen?"
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"Sie klagen an in Ihrem letzten Satz, das finde ich nicht akzeptabel,"
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Eine Feststellung verbunden mit einer Vermutung ist keine "Anklage". Gehen Sie doch einfach davon aus, daß die Unterscheidung zwischen psychischen und nicht-psychischen Leiden willkürlich ist und die grausamsten unter ihnen gleichermaßen schwerwiegende Gründe für einen Suizid darstellen können. Das sollte genügen, um sich Bemerkungen wie die von mir beanstandete künftig zu verkneifen.
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"besser Sie würden sachlich aufklären, mit Fallbeispielen."
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Bitte klären Sie sich selbst auf, denn ich habe weder Zeit noch Lust dazu. Überhaupt geht es mir nur darum, Ihren Fokus auf etwas zu lenken, mit dem Sie sich offenbar noch nicht auseinandergesetzt haben, denn diffamierende Meinungen aus mindestens fahrlässiger Unwissenheit finde ICH "nicht akzeptabel".