KRAKAU. (hpd) Unter dem Motto “Keine Freiheit ohne Laizismus” fanden vom 25. bis zum 28. September 2014 zum dritten Mal die Laizismus-Tage (Dni Świeckości) in Krakau statt. Dabei handelte es sich um einen Beitrag der polnischen Humanisten zur laufenden Debatte zum Thema 25 Jahre freie Wahlen im Nachkriegspolen.
Die Organisatorin der Laizismus-Tage, die Koalition Fortschritt und Laizismus (Koalicja Postęp i Świeckość – KPiŚ), hatte ein umfangreiches und intensives Programm vorgesehen. Zu den einzelnen Veranstaltungen waren prominente Vertreter aus Politik, Verwaltung, Medien und weit gefächerten humanistischen Verbänden eingeladen. Teilnehmer der einzelnen Podiumsdiskussionen sind im Programm der Laizismus-Tage namentlich genannt.
Bereits am Donnerstag, den 25.09.2014, wurde nachmittags die erste Podiumsdiskussion unter dem Titel Klopft an, und es wird Euch geöffnet? (Pukajcie, a otworzą Wam?) über die den Bürgern verschlossenen Gärten der Kirchen und Klöster in Krakau geführt. Etwa 1.000 Hektar auf dem bebauten Gebiet Krakaus befinden sich im Besitz der römisch-katholischen Kirche, was dem 22-fachen der Fläche des Vatikanstaates entspricht. Nicht umsonst wird Krakau Klein-Rom genannt.
Die Fläche der mit hohen Mauern vor den Blicken der Passanten geschützten Viridarien alleine beträgt mehr als 30 Hektar. Versuche der Veranstalterin, die Gärten zu besichtigen, sind bis auf einen Fall gescheitert. Die Empörung der Bevölkerung über den Entzug der schönsten Flächen der Altstadt durch die Kirche ist verständlich. “Wir werden alle Möglichkeiten prüfen, den Krakauern den Zutritt zu den verschlossenen Gärten der Kirche zu ermöglichen”, sagte Ewa Olszowska-Dej, Direktorin des Amtes für Umweltgestaltung in Krakau.
In der nächsten Debatte, Gewissensklausel und Recht (Klauzula sumienia a prawo) am Freitag ging es um die Verweigerung einer Leistung im Lichte des geltenden Rechts. Ursprünglich handelte es sich bei der Gewissensklausel um eine klassische Kriegsdienstverweigerung. Schon im Mittelalter wurde sie von den Katharern und Waldensern gegenüber den jeweiligen Landesfürsten geübt. Bis in das 19. Jahrhundert wurde die Kriegsdienstverweigerung nur von unbedeutenden christlichen Sekten praktiziert.
Heute wird die Gewissensklausel missbraucht, um bestimmte religiös motivierte Pflichten “im Dienste der Lebenserhaltung” durchzusetzen. Die Schlagworte sind bekannt; es geht insbesondere um Abtreibung, In-vitro-Befruchtung, Stammzellenforschung und weitere von der Kirche besetzte Themen.
Ärzte und sogar ganze Anstalten des Gesundheitswesens verweigern den PatientInnen die ihnen zustehende Hilfe und begründen dies mit ihrem Gewissen. So entsteht ein Konflikt zwischen dem Gewissen einer Person und dem einer andern.
Geht es aber wirklich um das Gewissen? Der ausgeübte Druck im Gesundheitswesen überlagert das wirkliche Gewissen. Bei allen Beteiligten entsteht ein moralisches Unbehagen. Durch glaubhaft gemachte Fehlinformation wird die Verweigerung einer Leistung bei den Angehörigen des Gesundheitswesens herbeigeführt und somit das Verhalten dieser Menschen manipuliert.
Der Staat soll gemäß der Verfassung die Freiheit der Anschauung, aber gleichzeitig auch die Freiheit von jeglicher Indoktrination für alle Bürger und Bürgerinnen gewährleisten. Es kann nicht hingenommen werden, dass die Kirche ihre zweifelhafte Moral der gesamten Gesellschaft aufzwingen und sie im weltlichen Recht verankern will. Denn das Gewissen kommt aus dem Inneren des Menschen. Die Patientin oder der Patient ist das moralische Subjekt des eigenen Gewissens. In akuten Fällen aber darf sich der Arzt nicht auf die Gewissensklausel berufen.
Wenn es einer Person aus Gewissensgründen unmöglich ist, medizinisch begründete Eingriffe vorzunehmen, soll sie keinen Beruf in diesem Fach ergreifen – ebenso wie ein Pazifist nicht Berufssoldat werden sollte.
Prof. Chazan, ein in die Schlagzeilen geratener Frauenarzt, der bei einer Patientin die Abtreibung eines nachweislich nicht lebensfähigen Fötus verweigert hat, beraubt die Frauen des Rechtes auf ihre eigene Gewissensentscheidung. Eine derartige paternalistische Bevormundung von PatientInnen ist unerträglich und anmaßend. Jedem Individuum muss das Recht eingeräumt werden, ethisch autonom zu bleiben.
Am Abend desselben Tages wurde eine Diskussion über Die verloren gegangene weltanschauliche Neutralität der öffentlichen Medien (Zaginiona neutralność światopoglądowa mediów publicznych) geführt. “Medien stellen eine sogenannte vierte Gewalt im Staat dar. Tatsächlich haben sie bereits die erste Position eingenommen. Die Medien sind von religiösen Nachrichten dominiert.” “In den öffentlich geführten Diskussionen weiß man vorher schon, welche Ansicht sich durchsetzen wird.” So fing Wanda Nowicka, Vizepräsidentin des polnischen Parlaments (Sejm), diese Runde an.
Krzysztof Luft, Mitglied der Regulierungsbehörde für Radio und Fernsehen (KRRiT), erwiderte: “KRRiT bekommt so viele Beschwerden darüber, dass christliche Werte in der Programmausgestaltung der öffentlichen Medien nicht ausreichend beachtet werden”. Weitere an der Diskussion beteiligte Journalisten und Medienwissenschaftler vertraten die Auffassung, dass das Dilemma in der Verflachung der geführten Debatten liege. Durch die Wahl der Diskussionsteilnehmer werde gezielt das Gleichgewicht in den Gesprächsrunden gestört, rationale Anschauungen würden als radikal dargestellt. Ein Journalist habe immer weniger zu sagen und führe nur Anweisungen von oben aus, die von der Wirtschaftlichkeit des Mediums diktiert würden. Die Narration werde somit wichtiger als ihr Inhalt.
Sztuczne Fiołki zakwitają w Krakowie jesienią heißt: Kunstveilchen erblühen in Krakau im Herbst. Zum Ausklang des zweiten Tages der Veranstaltung wurden die Teilnehmer in das Szene-Lokal BAL im Krakauer Viertel Pogórze eingeladen. Dort wurden im Rahmen einer Mini-Ausstellung neun Werke vom ART.eria-Festival in Tschenstochau präsentiert.
Das Künstlerpaar Marta Frej und Tomasz Kosiński hatte die Idee, bekannte, zum großen Teil historische Gemälde mit prägnanten Memen zu ergänzen und Kunstveilchen zu nennen. Während der Ausstellung in den Straßen von Tschenstochau sind vier dieser mit religiösen Motiven, jedoch nicht religiösen Memen versehenen “Kunstveilchen” entwendet worden. Die Organisatoren waren auf dieses Szenario vorbereitet und haben gelassen (nicht-) reagiert. Sie haben keine Anzeige erstattet.
Nach dem Ende der Ausstellung meldete sich bei den Veranstaltern die örtliche Kurie der katholischen Kirche mit der Nachricht, dass sich die vier verlorengeglaubten Bilder aus unerfindlichen Gründen in ihren Abstellräumen befänden. Die Reaktion der Künstler in der Presse war ergreifend: Wir verzeihen!
Runder Tisch zur weltanschaulichen Selbstbestimmung – Fortsetzung (Okrągły Stół na rzecz wolności światopoglądowej – kontynuacja) Die bereits im März des Jahres während der Atheismus-Tage in Warschau begonnene Diskussion über die Struktur der laizistischen Organisationen wurde fortgesetzt. Eine überregionale Dachorganisation soll den vielen, oft kleinen regionalen humanistischen Organisationen Zusammenarbeit und Hilfe bei der Bewältigung ihrer Probleme anbieten, ohne in ihre rechtliche Autonomie einzugreifen. Diese Ebene soll auch zum Instrument werden, um gegen die Verletzungen der Gewissens- und Konfessionsfreiheit vorzugehen.
Als oberstes Ziel soll die Befreiung des Schulwesens von den Einflüssen der Religionen gesetzt werden. Die Atheistische Koalition hat sich bereiterklärt, eine Online-Plattform zu erstellen und zur Verfügung zu stellen, um allen gegen die Klerikalisierung des Landes engagierten Kräften einen ständigen Austausch zu ermöglichen. Diese Plattform soll auch zu einem Ort werden, an dem alle Verstöße gegen das Recht auf freies Gewissen und religionsfreien öffentlichen Raum dokumentiert werden.
Am Samstag startete um 14 Uhr der Höhepunkt der Laizismus-Tage, der Marsch für den Laizismus (Marsz Świeckości), an dem schätzungsweise 300 Personen teilnahmen.
Ziel dieser öffentlichen Veranstaltung im Herzen von Krakau war, die Missbilligung einer schwindenden Trennung zwischen Staat und katholischer Kirche durch die teilnehmenden humanistischen Organisationen zu manifestieren. “Wir protestieren gegen die voranschreitende Klerikalisierung des öffentlichen Lebens. Unsere Politiker führen kirchliches Recht ein, um die Unterstützung der Gläubigen bei den Wahlen zu gewinnen. Eine Umschreibung des geltenden Rechts gemäß der Erwartungen der Kirche ist gesellschaftlich verheerend”, sagte Mateusz Burzawa von der Koalition Fortschritt und Laizismus.
Vor dem Denkmal des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz auf dem zentralen Marktplatz fragte Prof. Jan Hartman, ein angesehener Philosoph und Bioethiker von der Krakauer Jagiellonen-Universität: “Warum fällt der Kampf um die Freiheit der Weltanschauung und Neutralität des Staates auf die Schulter der Atheisten?”
Vor der Päpstlichen Universität Johannes Paul II skandierten die Teilnehmer: “Johanes Paul II – heiliger Patron der Pädophilen.” Der Marsch endete vor dem Denkmal für Tadeusz Boy-Żeleński, einen polnischen Dichter, Übersetzer und Literaturkritiker sowie erklärten Feind der Kirche, der von ihr als “Bote des Satans” angeprangert wurde.