BERLIN/WARSCHAU. (hpd) Polen gilt immer noch als ein erzkatholisches Land. Nach Angaben der römisch-katholischen Kirche sind 95 Prozent der Bevölkerung katholisch. Diese Zahl stützen die kirchlichen Statistiker auf den Anteil der getauften Bevölkerung. Die Realität sieht jedoch anders aus.
Selbst die Kirche geht davon aus, dass nur etwa 45 Prozent der Menschen in die Kirche gehen und nur ca. 20 Prozent mindestens einmal im Jahr die Sakramente empfangen. So liegt die Vermutung nahe, dass in einem Land, das in seinem Grundgesetz den Bürgern die Neutralität des Staates bezüglich der religiösen, weltanschaulichen und philosophischen Überzeugungen garantiert sowie die Freiheit, diese in der Öffentlichkeit zu äußern, sich andere weltanschauliche Strömungen entwickelt haben. So ist es tatsächlich.
Am kommenden Wochenende (27.–29.03.2015) veranstaltet die Atheistische Koalition (Koalicja Ateistyczna) zum zweiten Mal Atheismus-Tage in Warschau. Zum Programm der Tage gehören mehrere Podiumsdiskussionen, der Marsch der Atheisten mit einer Rekonstruktion der Hinrichtung von Kazimierz Łyszczyński, einem wegen seiner atheistischen Weltanschauung 1689 zum Tode verurteilten polnischen Edelmann, sowie die Internationale Konferenz für die Freiheit des Gewissens, der Rede, der Kunst und der Wissenschaft, die in Räumen des polnischen Parlaments Sejm stattfindet.
Bereits Wochen vor diesem Ereignis gab es in den insbesondere katholischen Medien ein großes Echo auf das angekündigte Event. Einige der hier im Folgenden zitierten Äußerungen mögen aufgrund der unvermeidbaren Programmänderungen ihre Aktualität, nicht aber ihre Aussagekraft verloren haben. So meldete z.B. der Chefredakteur von Charlie Hebdo, Gérard Biard, seine Teilnahme an den Atheismus-Tagen noch vor den tragischen Ereignissen in Paris an. Wegen der Drohungen gegenüber seiner Person sagte er jedoch seine Teilnahme kurzfristig ab.
In dem Wochenblatt Fronda wurde die Stellungnahme der Abgeordneten Krystyna Pawłowicz abgedruckt:
"Ein Journalist von Charlie Hebdo im polnischen Sejm? Das ist eine Provokation! Gegen die Verfassung!
Im März sollen die Atheismus-Tage stattfinden. Aus diesem Anlass kann ein Journalist von Charlie Hebdo den polnischen Sejm besuchen. Solche Provokation verletzt das Recht und ist wider die Verfassung.
Angeblich Ende März – ich weiß nicht, wer diese Initiative ergriffen hat, aber sicher, wie immer in Sachen des Kampfes gegen den Katholizismus, hat Frau Wanda Nowicka (Vizepräsidentin des Sejm /MN/) die Initiative ergriffen, die ihre Funktion als Parlamentspräsidentin missbraucht – sollten im Sejm irgendwelche Atheismus-Tage stattfinden. Deren Gast soll angeblich irgendein Journalist aus der Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo sein.
Wenn das wahr ist, dann stellen solche Veranstaltungen eine Ohrfeige für die Katholiken und auch für katholische Abgeordnete dar. Eine derartige Provokation verletzt auch das Recht, weil sich der Sejm als öffentliche Institution weder der Förderung noch der Bekämpfung einer Religion und insbesondere der polnischen katholischen Glaubensmehrheit anschließen kann.
Nunmehr ist es wider die Verfassung, die als Fundament des Polentums ein christliches Erbe der Nation aufzeigt. Der Sejm vertritt alle Polen, diesen Ort für solche Provokationen und Happenings zur Verfügung zu stellen, ist unverschämt. Leider geschieht das sicherlich mit Zustimmung des Sejmpräsidenten Sikorski.
Journalisten des Blattes, das schwer und drastisch, höhnisch die Rechte und Religionsfreiheiten anderer bricht, hauptsächlich übrigens der Katholiken, sollte man eher mit Missbilligung begegnen. Diesen Personen, deren Tätigkeit in Polen strafrechtrelevant wäre, mit der Ehre eines Auftrittes im Sejm zu begegnen, stellt einen provokativen Missbrauch der Rechte durch eine unverschämte Minderheit dar.
Als Abgeordnete der Republik Polen protestiere ich gegen solche Einfälle. Ich hoffe, dass es nur Gerüchte sind, dass es nur um die Ablenkung Ihrer Aufmerksamkeit von der sehr guten Kampagne von Andrzej Duda (Präsidentschaftskandidat der rechts-konservativen Parteien /MN/) geht. Ich hoffe, dass es nicht zu dieser Demonstration der Verachtung für Polen und seine Bürger, Traditionen, die Verfassung sowie zur Verspottung des Sejm kommt.
Prof. Krystyna Pawłowicz"
Dabei übersieht die Abgeordnete Krystyna Pawłowicz, dass die weltanschauliche Neutralität im Sejm längst abhanden gekommen ist. Die Arbeit des Sejms wird unter anderen in folgenden Ausschüssen geführt:
- Parlamentarischer Ausschuss "Stop der Gender-Ideologie!"
- Parlamentarischer Ausschuss für Katholische Soziallehre
- Parlamentarischer Ausschuss gegen die Atheisierung Polens
- Parlamentarischer Ausschuss der Mitglieder und Sympathisanten der Bewegung Licht-Leben, der Katholischen Aktion sowie der Gesellschaft Katholischer Familien
- Parlamentarischer Ausschuss zum Schutz der Christen in der Welt
Nicht minder interessant ist ein Kommentar in der an sich neutralen Zeitschrift Polityka, der unter der Überschrift "Werden die Freimaurer den Sejm erobern?" schreibt:
"Über die Schädlichkeit des Atheismus ist viel bekannt, bis zum Überdruss spricht man darüber im Religionsunterricht, in Predigten, Homilien und bei Radio Maryja. Es ist bekannt, dass der Atheismus dem gesunden Menschenverstand widerspricht, weil er den Sinn der Existenzberechtigung der Priester, Bischöfe und Kardinäle in Frage stellt und sich auf einen Glauben stützt, der den Erkenntnissen der modernen kirchlichen Wissenschaften trotzt. Dabei verbreitet er einen primitiven Glauben an die Nichtexistenz Gottes, obwohl er sie nicht beweisen kann. Es ist also nicht verwunderlich, dass die sich nähernden Atheismus-Tage in Warschau in einigen Gläubigenkreisen eine ernste Unruhe wecken, die in ungebremste verbale Aggressionen mündet."
Der katholische Sender Radio Maryja fasst einige Aussagen aus der Tagespresse zusammen:
"Linkische Kreise organisieren im Sejm die Atheismus-Tage. Darüber schrieb Nasz Dziennik: "Wie wir in dem Blatt lesen, sieht das Programm der Konferenz viele Auftritte von Vertretern atheistischer und Freimaurerschlägertrupps aus dem Ausland vor. Unter dem Mantel des Kampfes um die Freiheit der Meinungsäußerung und des Gewissens schmuggelt man Sitzungen mit dem Titel Religiöser Fundamentalismus und Demokratie ein."
"Die Abgeordnete Elżbieta Rafalska, Mitglied des Parlamentarischen Ausschusses gegen Atheisierung Polens, betont, dass der Sejm keine Plattform für solche Treffen bieten darf: Es ist eine nicht annehmbare Situation. Das ist eine wahre Sprache der Feindschaft und Abneigung. Das sagen die gleichen linkischen Kreise, die von Offenheit sprechen, aber nur die Offenheit für ihre eigenen Anschauungen ohne Respekt, ohne Anerkennung, ohne ein Gefühl der Verantwortung für die Tatsache des Verspottens der Religiosität der Katholiken, ihrer Wertschätzung für die Tradition, für die Religion, für unser Wertesystem. Das regt mich auf, das ist nicht zu akzeptieren, nicht anzunehmen – sagte die Abgeordnete Elżbieta Rafalska."
Die Abgeordnete Elżbieta Rafalska zeigt in ihrer Aussage übernatürliche Fähigkeiten und sagt die Inhalte der Atheismus-Tage sowie den Charakter der verwendeten Sprache voraus. Eine wahre Hellseherin!
In wPolityce.pl werden die Organisation und Urheberschaft der Atheismus-Tage der Vizepräsidentin des Sejm Wanda Nowicka zugeschrieben. Frau Nowicka ist zwar die Gastgeberin der Internationalen Konferenz für die Freiheit des Gewissens, der Rede, der Kunst und der Wissenschaft; die Atheismus-Tage wurden jedoch von der Atheistischen Koalition organisiert:
"Sternfahrt der Gotteslästerer unter der Schirmherrschaft des Staates? Nowicka organisiert im Sejm einen Hexensabbat.
Vizepräsidentin Wanda Nowicka organisiert im Sejm die Atheismus-Tage. An einer blasphemischen Konferenz soll der Chefredakteur der linkischen Zeitschrift Charlie Hebdo teilnehmen, bekannt durch die Verspottung der Heiligen Dreifaltigkeit.
Pater Prof. Paweł Bortkiewicz, ein Ethiker an der Hochschule für Gesellschafts- und Medienkultur, betont in Nasz Dziennik, dass alle von dem Attentat auf die Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo erschüttert seien. Das ändere aber nichts an der Tatsache, dass diese Zeitschrift Gläubige aller Religionen, auch Christen verhöhnt, indem sie abscheuliche Karikaturen der Gottesmutter oder auch des Jesus Christus veröffentlicht.
Während des atheistischen Treffens am Sitz des polnischen Parlamenarismus sollen neben Gérard Biard von Charlie Hebdo auch andere Skandalisten auftreten, wie zum Beispiel Prof. Sławomir Wołczyński, der in einem Blatt sogar der biblischen Sarah eine künstliche Befruchtung angeboten haben soll.
Schon alleine die Titel der Podiumsdiskussionen zeigen, dass die Veranstaltung gegen die Religion gerichtet ist. Im Programm sind viele Auftritte atheistischer und Freimaurerschlägertrupps aus dem Ausland vorgesehen.
Es ist unzulässig, dass im polnischen Sejm solche Events organisiert werden. Die polnische Verfassung fußt auf christlichen Werten, die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten deklarierte den Gottesbezug in ihrer Vereidigung – protestiert die Abgeordnete Małgorzata Sadurska."
Eine der besonnenen Stellungnahmen kommt von der Tageszeitung Wyborcza: "Eine Ohrfeige für die katholischen Angeordneten
Das geplante Treffen der Atheisten in der Wiejska-Straße (Sejm) hat doch zu einer Empörung bei den Rechtsgerichteten geführt. Nasz Dziennik schreibt über eine Invasion von Freimaurerschlägertrupps aus dem Ausland, das Portal wPolityce.pl über einen atheistischen Hexensabbat und Krystyna Pawłowicz über eine Ohrfeige für die katholischen Abgeordneten.
Pater Prof. Paweł Bortkiewicz behauptet in Nasz Dziennik, dass die Visite der Atheisten im Sejm eine Verletzung der weltanschaulichen Neutralität des Staates darstelle: Ein Signal zur Verletzung dieses Raumes wurde durch die Annahme des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch den Sejm gegeben, eines Dokuments auf der Grundlage der atheistischen Gender-Ideologie – empört sich Pater Bortkiewicz. Zur Erinnerung – als im Juli vergangenen Jahres eine Diskussion über das Glaubensbekenntnis der Lehrer geführt wurde, schrieb der Vorsitzende der Bischofskonferenz Erzbischof Stanisław Gądecki einen Brief an Bildungsministerin Joanna Kluzik-Rostkowska. Darin schrieb er: Der Staat darf … nicht weltanschaulich neutral sein."
Unter den Vorzeichen der weltanschaulichen Neutralität in Polen und der Nächstenliebe beginnen am 27.03.2015 die Atheismus-Tage in Warschau. Über ihren Verlauf wird hpd berichten.
6 Kommentare
Kommentare
W. Buck am Permanenter Link
Bei den angeführten Zitaten läuft es einem eiskalt den Rücken herunter.
Besonders gruselig finde ich den Begriff "Freimaurerschlägertrupps aus dem Ausland". Das hört sich nach der üblichen Propaganda der 30er Jahre an.
Ich hoffe der Artikel gibt nicht die allgemeine Situation in Polen wieder. Ich hätte sonst Sorge um die weitere Entwickung Europas.
Karol Dittel am Permanenter Link
Ich garantiere Ihnen, dass es noch viel schlimmer ist als man es annimmt. Ich bin in Polen geboren und besuche dort oft genug meine Familie.
Unechter Pole am Permanenter Link
Ich muss das auch leider bestätigen, dass es insgesamt die Stimmung in Polen richtig wiedergibt. Seitdem mit den sog.
Dagmar am Permanenter Link
Ich will nicht sagen, grottenschlechte Übersetzung aus dem Polnischen, aber schlechte und somit sinnentstellend. Ich bin selbst Atheist, brauche das Geschriebene also nicht zu verteidigen.
Auch wenn die Zeit knapp ist, sollte doch ein deutsch muttersorachlicher Redakteur die hier veröffentlichten Texte überlesen und über manche in den Polen betreffenden Formulierungen stutzig werden.
Dagmar
Diplom-Sprachmittler Polnisch/Russisch
David am Permanenter Link
"Bei den angeführten Zitaten läuft es einem eiskalt den Rücken herunter."
dito. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich sprachlos, dass dieser inhaltliche Unsinn, zumal mit solcher Formulierungen und Wortwahl, offiziell in einem europäischen Land des 21. Jhd. kommuniziert wird.
Der hetzende Artikel in der Zeitschrift Polityka ist der Hammer ("Über die Schädlichkeit des Atheismus ist viel bekannt...").
Harald Jeitler am Permanenter Link
Atheist ist nicht gleich Atheist
So wie der katholische Glaube in verschiedene Varianten zersplittert ist,darf man auch die sogenannten"Atheisten"NICHT über einen Kamm scheren.
Existenz bedroht fühlen,oder ihre Ehre dadurch verletzt wird,dann darf ich sie beruhigen.Die kath. Kirche hat im Zuge der letzten zweitausend Jahre,(Inquisition,Kreuzzüge,Monopol auf pädagogische Einrichtungen)das christliche
Volk geprägt und geformt.Es ist aber nicht gelungen,daß die vielgepriesenen
zehn Gebote,wohlgemerkt nach Jahrtausenden katholischer Pädagogig,vom
christlichen Volk widerspruchslos angenommen und praktiziert wurden.
Ich will damit nur sagen,daß das Katholikentum nicht der Weisheit letzter Schluss
ist und daß an vielen Stellen dringender Reformbedarf besteht.
Dies ist nicht nur meine Meinung.Auch eine nicht zu verachtende Anzahl an
Katholiken,halten eine tiefgreifende Reform der Kirche für unumgänglich.
Für den streng gläubigen Monotheisten ist ein Atheist der personifizierte teufel.
Aber wie sagte einst der Nazarener Jesus:Liebe deine Feinde.......
Vielleicht sollten sich die katholischen Fundamentalisten in Polen diesen
Spruch zu Herzen nehmen,und konfessionsfreie Menschen nicht als
Gotteslästerer,Volksschädlinge und Feinde stigmatisieren.
Bevor man uns Humanisten zu Gottesfeinden erklärt,sollten die selbsternannten
heiligen Gottesanbeter-und innen prüfen,inwieweit sie sich selbst an die ihnen
auferlegten zehn Gebote halten.
Wegen eines Humanisten-meetings in Polen wird das Christentum keinen Schaden
nehmen.
Viel eher wird das Ansehen der kath.Kirche geschädigt,wenn sie gegen eine kleine
Versammlung Andersdenkender in Rage gerät.