Interdisziplinäres Symposium

"Ein halbes Jahrhundert Zickzack mit Darwin"

Freigeistig und undogmatisch

Erfrischend offen und wissenschaftlich stellte insofern der Vortrag der Philosophin Dr. Witt die vorläufigen wissenschaftstheoretischen Modelle zur Abiogenese vor. Die Frage wie sich aus organischen Molekülen lebendige Organismen entwickeln konnten, ist noch längst nicht hinreichend erklärbar. Grundsätzlich wird zwischen zwei Erklärungsmustern unterschieden: dem sog. “Metabolismus-zuerst-Konzept” und dem “Information-zuerst-Konzept”. Ersteres geht dabei vom Stoffwechsel als einem Emergenzphänomen aus, das durch die Selbstorganisation der Materie hervorgebracht wird, während letzteres vermutet, dass eine Art Informationsmolekül, das sich bei der Selbstorganisation der Materie herausformt, die weiteren notwendigen Stoffwechselfunktionen strukturiert. Beide Konzepte zusammen zu bringen, schlösse sich jedoch bisher experimentell aus, erklärte Dr. Witt.

Spannende Fragestellungen also. Gerade auch wegen der so erfrischend offen und daher wissenschaftlich belassen Darstellung des Forschungsstandes fühlte man sich hier “gut aufgehoben”. Dies ist nicht immer so. Es scheint leider keine Selbstverständlichkeit zu sein, Rednerinnen oder Rednern lauschen zu dürfen, die bescheiden und selbstbewusst zugleich eingestehen können: “Soweit ist der aktuelle Forschungsstand, mehr wissen wir einfach noch nicht!”

Dem Kreationisten Prof. Imming zum Beispiel ging dieses bescheidene Selbstbewusstsein völlig ab. Er verfolgte grandiose Pläne und schloss dereinst in den Räumen der Universität Jena und mit Segen des Oberbürgermeisters aus der soweit ja richtigen Feststellung, dass beide Modelle zur Abiogenese sich bisher experimentell ausschließen, die seiner Meinung nach zwingende Annahme, dass es ohne Zutun eines Schöpfergottes auch niemals zur Entstehung von lebendigen Organismen gekommen sein könnte. So versuchten nicht nur politisch-ideologisch motivierte “Betonköpfe” in Jena wissenschaftliche Forschung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, sondern jüngst gerade auch religiös motivierte Kreationisten. - Ein Skandal. Damals wie heute!

Evolution als Inspiration

Weltanschaulich neutraler hingegen fielen die Vorträge zur Anwendung evolutionärer Strategien in der Informatik und Technik aus. Hierzu reisten unter anderem eigens für das Symposium Wissenschaftler aus Sheffield und Brüssel an. Die thematische Einführung erfolgte durch den Pionier Prof. Rechenberg, dem eine Podiumsdiskussion zusammen mit seinem damaligen Kollegen Prof. Schwefel folgte. Es war allen eine besondere Ehre, beiden auf dem Podium zu zuhören. Im weiteren wurden aktuelle Forschungsfelder wie Schwarm-Intelligenz, Artificial Life, Optimierungs- und Designverfahren durch evolutionäre Algorithmen oder die gegenwärtige Entwicklung von “Droplet Computern” vorgestellt - Computer, die rein auf molekularer Ebene arbeiten und in ferner Zukunft beispielsweise für intelligente Medikamente genutzt werden könnten.

Natürlich wurde der Technikblock durch einen Vortrag über die ethischen Implikationen technischer Möglichkeiten abgerundet. Nicht alles was dem Menschen möglich wird, sollte auch unreflektiert in die Tat umgesetzt werden! Auch hier wurde sensibel über die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse diskutiert.

Letztlich zeigte sich die Evolution auch als Inspirationsquelle für die Philosophie, die Populärkultur und selbst für die Literaturwissenschaft. Durch die philosophische Betrachtung der Evolution konnte die “Spielstruktur des Seins” herausgearbeitet werden. Die blinde und ungerichtet verlaufende Evolution könne sich als spielerischer Prozess vorgestellt werden. Ziel des Spiels sei nichts Höheres als das Spiel selbst zu erhalten. Statische Spielregeln wurden daher nicht formuliert, dagegen das Spiel als dynamische Regelmäßigkeit begriffen.

Eine medienwissenschaftliche Perspektive zeichnete alsdann die Popularisierung des Kultspiels “Game of Life” nach. Der Mathematiker Conway programmierte 1970 das einfache wie beeindruckende Computerspiel eines zweidimensionalen zellulären Automaten. Die Ästhetik des daraus entstehenden Formenspiels begeisterte Generationen von Bastlern und Hackern. Interessant dabei: In dem ästhetischen Formenspiel manifestiere sich natürlich immer auch ein ihm zu Grunde liegender Algorithmus. Das Spiel sei eine Art “Versinnbildlichung von Evolution”. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Breites Erstaunen riefen jedoch die Ergebnisse hervor, die der Einzug evolutionären Denkens in die Literaturwissenschaft bewirkte. Wenn es auch ein noch junger und kontroverser Ansatz sein mag, so konnten doch interessante Zusammenhänge aufgedeckt werden. Nach der Frage, welche evolutionär nützlichen Funktionen Dichtung und Literatur bedienen und weshalb sie sich daher vermutlich als Kulturpraktiken durchsetzt haben, wurde die Frage umgedreht. Was sagt uns der literarische Schatz über unsere evolutionäre Entwicklung und Vergangenheit? Es wurden die Klassiker der Welt- und Populärliteratur, angefangen von den antiken mythischen Epen bis hin zur gegenwärtigen Science-Fiction-Literatur verglichen. Auch Kultur übergreifende Vergleiche wurden angestellt. Das Resultat war verblüffend. Die Plots ähnelten sich so stark, dass die Frage geradezu gestellt werden musste: Welche Bedeutung haben die erfolgreich gewordenen Narrative für die Mitglieder einer jeweiligen Gruppe? Sind Erzählungen und Literatur bloß negligierbares Nebenprodukt oder viel mehr nützliches Hilfsmittel innerhalb der menschlichen Evolution?

Angesichts der hohen Frequenz wiederkehrender Merkmale innerhalb der Plots (“Junger Sprössling verlässt angestammte Gruppe – Muss sich in fremder Umgebung beweisen – Erobert ranghohe Frau – Wird selbst zum Anführer”) mag man eher zu letzterem tendieren. Auch wenn wir ob diesem heroisch-kriegerischen Männerbild vielleicht ironisch schmunzeln mögen, eine evolutionäre Erfolgsstrategie beschreiben die Plots allemal. Wie auch immer, man hätte die Untersuchung gewiss falsch verstanden, wenn man aus den Plots eine Handlungsanweisung für das “gute Leben” ableiten wollte. Aus dem Sein darf bekanntlich kein Sollen abgeleitet werden! Nicht alles was war, soll auch in Zukunft so bleiben! Alles fließt, nichts bleibt gleich!

Das Symposium vereinte Natur- und Geisteswissenschaften. Es ist zu hoffen, dass der Graben zwischen beiden Wissenschaftstraditionen weiterhin aufgearbeitet und vielleicht in nicht allzu langer Zukunft überwunden sein wird. Neues wurde zumindest für und von allen Disziplinen aufgeworfen. Betrachten wir die Tagung somit als Erneuerung sowie als Ausgangspunkt für weitere Vernetzung innerhalb der Wissenschaften.

 


Details zum Symposium “Ein halbes Jahrhundert Zickzack mit Darwin” sowie Genaueres zu den Vorträgen findet sich hier.
Die Beiträge stehen bald bei gbs-jena.blogspot.de zu Verfügung.