Kein Buchtipp

Der Thilo Sarrazin der Alphabetisierten

Der Philosoph als Kunstexperte

Das merkt man an seiner Einschätzung zur modernen Kunst: “An die Stelle des selbstverstärkenden Könnens-Kreises tritt ein System selbstverstärkender Regelverletzungen, ja eine Meta-Regel der selbstverstärkenden Abweichungen vom Erwarteten, bis hin zur mutwilligen Unterbietung aller Erwartungen an das artistische Wesen der Kunst. Seither operiert das Pop-Segment des modernen Kunstbetriebs offensiv auf der Abfall-Stufe, als sollte die Doktrin eingehalten werden, nur das, was weniger als Kunst ist, könne noch wirkliche Kunst, ja mehr als Kunst sein.” (S 218)

Seien wir froh, dass der Bildungsbürger Peter Sloterdijk weiß, was Kunst ist.

Rassisten lieben Sloterdijk

Problematisch wird es, wenn er auf dem Generationenkonflikt als der eigentlichen und einzigen treibenden Kraft der Geschichte herumreitet. Nicht nur ist es eine Banalisierung der Geschichte, die in ihrer Schlichtheit eines ernstzunehmenden Denkers unwürdig ist. Hier landet er auch unvermeidlich bei der Genealogie. Und bei einer blütenreichen Sprache wie der seinen unweigerlich bei mitunter durchaus auch abschätzig gebrauchten Begriffen wie “Bastard” und “Hybrid” und “Kreolisierung”. Der explizite Vorwurf an moderne Gesellschaften, ihre Genealogie vergessen zu haben, ist auch nicht ohne.

Das macht das Buch anschlussfähig an rassistische Diskurse. Auch wenn Sloterdijk hier keine rassistischen Thesen vertritt, mit einer gewissen Prädisposition kann man sie ohne großen Aufwand hineinlesen. Die Logik ist die gleiche. Nur die moralischen Schlüsse sind unterschiedlich.

Argumentativ ist Sloterdijk auch nicht weit weg vom neurechten Ethnopluralismus, wenn er die Zerstörung von Zivilisationen und ihrer Genealogien durch die Moderne beweint. Es ist nur ein kleiner Schritt. Wer, wie Sloterdijk, Abstammung als das bestimmende Element in der Geschichte sieht, darf sich nicht wundern, wenn das auf völkische Weise aufgefasst wird.

Applaus von Neurechten

In seiner offenkundigen Abneigung gegen die Errungenschaften der Moderne und in seinem Versuch, die Ressentiments zu rationalisieren, wird Sloterdijk auch anschlussfähig an (neo-)faschistische Diskurse. Anders als der klassische Reaktionär weiß er: Die moderne Welt ist eine Zumutung. Die Uhr zurückdrehen geht nicht, die alte, vermeintlich bessere Welt kommt nicht wieder.

Der Faschismus teilt diese Erkenntnis. Er offeriert über dieses Grundgefühl hinaus eine Lösung: Die Moderne mit den Werkzeugen zu schlagen, die die Moderne geschaffen hat – vorzugsweise mit ihren technologischen Errungenschaften und ihrer Psychologie. Anstelle der verlorenen alten Ordnung eine neue setzen, die die modernen “Irrtümer” wie Liberalität und Gleichberechtigung beseitigt.

Diesen Schritt macht Sloterdijk nicht und es sei ihm hier nicht unterstellt, dass er ihn machen wollte. Am Ende des Buches freilich sind seine Zukunftsvisionen derart düster, dass ihn ein einschlägig Vorbelasteter von selbst macht. Es überrascht nicht, dass neurechte und identitäre Blogs “Die schrecklichen Kinder der Neuzeit” äußerst freundlich rezensieren.

Dass das dem nach Eigeneinschätzung wahrscheinlich größten deutschen Philosophen zumindest der Gegenwart nicht bewusst war, ist eher nicht anzunehmen.

Hauptzielgruppe: Der elitäre Stammtisch

Hauptzielgruppe sind die ressentimentgeladenen Bildungsbürger. Die immer schon wussten, dass das mit Gleichberechtigung und Liberalismus Blödsinn ist. Die verzweifeln, dass der Pöbel auch wählen darf. Ihre dumpfen Gefühle gießt er in gelahrte Worte, gibt ihnen eine nach außen rationale Erscheinung, erklärt sie kraft seiner Autorität für legitim, ja für die einzig richtige Einstellung, die ein intelligenter Mensch haben kann.

Das macht ihn zum Thilo Sarrazin der Alphabetisierten. Thesen mit Löchern groß wie Scheunentore selbstgefällig zu präsentieren als wären es ewige Wahrheiten, die sich nur keiner auszusprechen traute. Dumpfen Gefühlen gesellschaftlich akzeptierten Ausdruck verleihen und dabei so tun, als sei das auf dem eigenen Mist gewachsen. Mit der plumpen, wenn auch wirkungsvollen, Provokation einen kleinen Skandal auslösen und ordentlich abcashen.

Und willentlich in Kauf nehmen, dass Gruppen gestärkt werden, die die liberale Demokratie und Menschenrechte ablehnen. Im Fall Sarrazins mit dem Gefühl, er habe den Mut eines Löwen bewiesen und verdiene mindestens den Maria-Theresien-Orden für die eigenhändige Rettung des Abendlandes. Bei Sloterdijk mit der Gewissheit, dass wer ihn kritisiert, ohnehin nicht über den nötigen Verstand verfügen kann, ihn zu verstehen.