Was ist der "Heilige Krieg"?

Der protestantische Reformator Martin Luther (1483 bis 1546) hat mit seiner Zwei-Reiche-Lehre dieser mittelalterlichen Kriegstheorie und -praxis keineswegs widersprochen, sondern sie für den einzelnen Kriegsmann, der im Dienste der Obrigkeit steht, gewissermaßen seelsorgerlich aufbereitet. “… weil mein (militärischer Dienst-)Herr mich fordert und mein begehrt, so komme ich in Gottes Namen und weiß, dass ich Gott damit diene, und will meinen Sold verdienen oder nehmen, was mir dafür gegeben wird. Denn es soll ja ein Kriegsmann solch Gewissen und Trost mit sich und bei sich haben, dass er es schuldig sei und es tun müsse, damit er gewiss sei, dass er Gott drinnen diene und sagen könne: Hier schlägt, sticht, würgt nicht ich, sondern Gott und mein Fürst, deren Diener meine Hand und mein Leib jetzt ist.” Luther bringt es 1526 - ein Jahr nach der Niederwerfung der Bauern - in dem Büchlein “Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können” (1526) drastisch auf den Punkt: Der Soldat im Einsatz soll wissen: “Gott henkt, rädert, enthauptet, tötet und führt den Krieg.”

“Heiliger Krieg” - ein Begriff des 19. Jahrhunderts

Im 18. Jahrhundert - der Zeit der Aufklärung - wird das deutsche Wort “heilig zu aus dem genuin religiösen Bezug herausgefiltert und mehr und mehr für die absolut und allgemein gültige Verbindlichkeit im säkularen Bereich verwendet. Der Begriff des ”Heiligen" wird im übertragenen Sinne zum absoluten sittlichen Prädikat einer Sache, zum vollendet Guten. Immanuel Kant nennt einen heiligen Willen den Willen, der aus Antrieb der Pflicht ohne Wanken dem moralischen Gesetz gehorcht. Nur dies ist der vollkommene moralische Wille und damit gut.

Nun dauert es nicht mehr lange, bis “endlich” der Begriff vom “Heiligen Krieg” auftaucht, erstmalig verwendet bei Friedrich von Schiller, 1790. In seiner “Universalhistorischen Übersicht der merkwürdigen Staatsbegebenheiten zu den Zeiten Kaiser Friedrichs” blickt er auf dessen mittelalterliche Kriege als auf “Heilige Kriege” zurück. Wenig später schreibt der Theologe Friedrich Daniel Schleiermacher in seiner Schrift “Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern” (1799) vom “Heiligen Krieg”. Er setzt sich dabei mit der bereits oben angeführten Bibelstelle auseinander: “Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert” (Matthäus 10,34) und behauptet nun: “… diese heiligen Kriege, die aus dem Wesen seiner Lehre (nämlich Jesus als Religionsstifter) notwendig entstehen, hat er voraus gesehen, und indem er sie voraussah, befohlen.”

Nach der in Europa erfolgreich durchgeführten Französischen Revolution von 1789, der Zerschlagung des “Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation” 1803 und dem Beginn der Napoleonischen Kriege erwächst unter deutschen Dichtern und Denkern die Hoffnung auf die Gründung einer deutschen Nation. Jetzt bekommt der Gedanke des “Heiligen Krieges” durch Ernst Moritz Arndt (1769–1860) und Theodor Körner (1791–1813) Rückenwind. Diese zwei maßgeblichen Protagonisten der Anti-Napoleonischen Kriege schreiben Ermunterungslieder vor der Schlacht. Körner reimt in seiner Gedichtsammlung “Leier und Schwert”:
“… Das höchste Heil, das letzte, liegt im Schwerte!
Drück’ dir den Speer ins treue Herz hinein! –
Der Freiheit eine Gasse! - Wasch’ die Erde,
dein deutsches Land, mit deinem Blute rein!
Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen;
Es ist ein Kreuzzug ’s ist ein heil’ger Krieg! …”

Friedrich Friesen, Ludwig Jahn, Theodor Körner reichen sich die Hand vor einer Eiche. Postkarte aus dem Jahre 1903.

Friedrich Friesen, Ludwig Jahn, Theodor Körner reichen sich die Hand vor einer Eiche. Postkarte aus dem Jahre 1903.

In den Bewegungen des 19. Jahrhunderts um die Herausbildung einer deutschen Nation wird in der Rückschau der Begriff vom “Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation” bedeutungsvoll aufgeblasen. Jetzt erst, nachdem es nicht mehr existiert und damit die religiöse ideologische Kuppel zerbricht, die seit dem Mittelalter alle gesellschaftlichen Bereich überspannt hatte, wird bewusst eine politische Diktion übernommen, in der das “Heilige” nun zur Heiligung profaner gesellschaftlicher Vorgänge zur Verfügung steht und genutzt werden kann. Religion und Politik, Klerus, Bauern, Bürger, Adelige und die entstehende Arbeiterschaft finden sich in dieser neuen Ordnung jäh wieder: nebeneinander und als getrennt handelnde Akteure. Nun werden sie aufgerufen, sich doch neu zu vereinen. Jetzt, im “Heiligen Krieg” um die sich bildende neue deutsche Nation.

“Dschihad” und “Heiliger Krieg” im kulturellen Austausch

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts versuchen die europäischen Kolonialmächte neben den militärischen und wirtschaftlichen Sanktionen ihre Herrschaft auch durch Mission und zivilisatorische Maßnahmen zu festigen. Dabei ist es strategisch klug, wenn sie auch die Kultur der von ihnen unterworfenen z.B. muslimischen Völker kennen lernen und deren Religionen verstehen. In dieser Zeit kommt es zu einer gewissen Rückübertragung bestimmter nach ihrer Meinung “passender” Begriffe. Davon berichtet Rudolph Peters in seinem Buch “Islam and Colonialism”. Als britische Militärs 1860 in Indien mit aufständischen Moslems konfrontiert werden, bezeichnen sie deren rebellisches Verhalten als “Holy War”. Die Folge war, dass nun auch muslimische Intellektuelle Elemente der lateinisch-christlichen Überlieferung auf den Dschihad anwendeten, um dadurch zu signalisieren, dass sie einen legitimen Verteidigungskrieg führen.

Friedrich Wilhelm Graf stellt in seinem Buch “Götter Global” fest: “Die Wortverbindung ‘Heiliger Krieg’ ist europäischen Ursprungs; es gibt dazu in den Islamsprachen keine genaue Entsprechung. … In ideenpolitisch äußerst interessanten Austauschprozessen … nahmen muslimische Religionsintellektuelle nun Elemente der lateinisch-christlichen bellum-iustum-Überlieferung (d.h. vom gerechten Krieg) auf und verstanden den Dschihad in diesem begrifflichen Rahmen als einen legitimen Verteidigungskrieg.” So wird der Westen rückwirkend - “in dem als Heiliger Krieg legitimierten gewalttätigen Dschihad radikaler Islamisten … mit seiner eigenen Religions- und speziell auch Glaubensideengeschichte konfrontiert.”

Die Heiligung der Politik

Die große Versuchung der Heiligung von Politik bleibt vor allem in der westlichen Welt bis heute präsent. Auch in den gegenwärtigen bundesdeutschen Politikerreden lauert noch immer solch ein Heiligsprechen von politischem Handeln. Ist etwas “heilig”, so bedeutet das immer: Schluss der Debatte. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Das “Heilige” ist nicht verhandelbar. “Gefallene” deutsche Soldaten werden neuerdings wieder in Kirchen aufgebahrt und profan-sakral verabschiedet. So inszenierte der damalige Minister von Guttenberg sich 2010 als zivil-religiöser Priester der politischen “Gemeinschaft des deutschen Vol­kes”: “Soldaten, wir werden Euch vermissen. Und wer vermisst, vergisst nicht. … Soldaten! Seid in Gottes Segen geborgen.”

Und ausgerechnet in diesem scheinbar säkularisierten Westen wirft man den Moslems vor, ihren religiösen “Heiligen Krieg” zu führen.