Wandel der Trauerrituale bei der Bundeswehr

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Foto: Siegfried Houben/Bundeswehr

BERLIN. (hpd) Immer mehr Angehörige der Bundeswehr kehren als menschliche Wracks oder in Särgen von ihren Auslandseinsätzen zurück. Auch wenn sie sich freiwillig dorthin gemeldet haben, geraten sie zunehmend in Widerspruch zu den ihnen befohlenen militärischen Aufgaben. Schließlich tragen sie ganz persönlich das Risiko des eigenen Todes.

In der Öffentlichkeit ist Afghanistan beim besten Willen nicht mehr als Verteidigungskrieg zu vermitteln. Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an diesem Krieg ist von imperialistischen Interessen getriebene Politik, es geht um globale Strategien und um Rohstoffe. Die in der Bundesrepublik Deutschland politisch Herrschenden geraten immer öfter unter Rechtfertigungsdruck und versuchen, darauf zu reagieren. Sie setzen dabei auf zivil-religiöse Rituale, die sich an tief im kollektiven Unterbewussten der Gesellschaft verankerte Empfindungen richten. Angesichts ständig wachsender Zahlen toter deutscher Soldaten sollen sie das Gefühl vermitteln, dass es Sinn macht, sich für die mörderischen Auftraggeber zu opfern.

"Zivilreligion" steht für das Bündnis Staat–Kirche

Zivilreligion ist ein System, an die kollektiv, oft unbewusst in der Gesellschaft verwurzelten Gefühle und Werte mit religiösen Mitteln heranzukommen. Der Soziologe Niklas Luhmann sagt, es handle sich um "jene Elemente eines religiösen Glaubens, für die man bei allen Mitgliedern der Gesellschaft Konsens unterstellen kann". Ihre Affinität zum religiösen System beruht darauf, dass der weltliche Staat Werte wie "Menschenwürde", "Freiheit", "Gleichheit" oder "Gerechtigkeit" selbst nicht hervorbringen und garantieren könne. Besonders wenn es um den Tod geht, ist Religion bei ihrem zentralen Thema: Die prinzipiell unaufhebbare Ungesichertheit des menschlichen Daseins. Warum geschieht gerade dies mir? Warum muss ich sterben? Warum gerade jetzt?

Die Führung der Bundeswehr reagiert seit einiger Zeit auf "durch Fremdeinwirkung getötete Soldaten" mit ständig großartiger inszenierten Trauerriten, die diesem zivil-religiösen Bedürfnis nachkommen sollen. Was lassen sich die Bundeswehr und deren Führung dazu einfallen, dass immer mehr Särge zurückkommen?

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung sprach am Ende seiner Trauerrede für zwei in Afghanistan getötete Bundeswehrsoldaten am 24. Oktober 2008 in Zweibrücken erstmals das entscheidende Wort aus: "Ich verneige mich in Dankbarkeit und Anerkennung vor den Toten, die für unser Land im Einsatz für den Frieden gefallen sind."

Bis zu diesem Tag waren im Kriegseinsatz umgekommene Bundeswehrangehörige nach der offiziellen Sprachregelung stets als "Getötete" bezeichnet worden. Mit dem Gebrauch der psychologisch und geschichtlich hoch aufgeladenen Bezeichnung "gefallen" stellte Jung die Bundeswehr bewusst in die Tradition der Heldenverehrung bei allen seit 1870 von Deutschland geführten Kriegen. Weder das Soldatengesetz der BRD noch dessen einschlägige Kommentare kannten bis 2008 den Ausdruck des "gefallenen Soldaten". Bis 2005 war die gängige Formulierung am Sarg des Betroffenen, er sei in Ausübung seines Dienstes für die Bundesrepublik Deutschland durch einen "hinterhältigen und verbrecherischen Mordanschlag" ums Leben gekommen (Minister Struck am 10 Juni 2003) und einen Tod gestorben, "in dem man keinen Sinn sehen" könne (Strucks Nachfolger Jung am 23. Mai 2007).

Gefallene "Helden" hatten in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit der alten BRD seit den frühen 50er Jahren kein großes Ansehen. Dies bewirkte vor allem die "Ohne-mich-Bewegung" gegen die Wiederbewaffnung. Man glaubt es kaum, sogar Franz Josef Strauß sagte 1949: "Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfaulen." Der Ideologe der Wiederbewaffnung und Mann der "Inneren Führung" Graf Baudissin definierte in seinen öffentlichen Auftritten bis in die 60er Jahre die Bundeswehr ganz unheroisch als "notwendiges Übel".

So sind auch die bei Auslandseinsätzen seit 1991 ums Leben gekommenen Soldaten "durch Fremdeinwirkung", d. h. bei Kampfhandlungen oder Anschlägen, getötet worden. Inzwischen kamen im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan insgesamt 54 Bundeswehrangehörige zu Tode. Dies verlangte nach Würdigung. Ab 2008 sind sie deshalb zu "Gefallenen" erklärt geworden.

Religiöses Ritual bei militärischem Staatsakt

Fester Bestandteil aller militärischen Trauerfeiern war und ist bis heute nach der zentralen Dienstvorschrift folgendes Ritual: Sechs bis acht Soldaten stehen als Totenwachen am Sarg. Dieser ist mit der Flagge der Bundesrepublik bedeckt, darauf liegt ein Gefechtshelm. Das Foto des Soldaten - meist als Porträtaufnahme in Uniform – gehört zum Dekor. Als Abschluss wird die Melodie des Liedes "Ich hatt' einen Kameraden" gespielt.

Bis 2008 fanden die Gedenkfeiern für getötete Angehörige der Bundeswehr am Ort ihrer Rückkehr auf deutschen Boden, auf dem Gelände des Fliegerhorsts Wunstorf oder auf dem Flughafengelände in Köln-Wahn – also an einem nicht-öffentlichen Ort – statt. Damit wurde der bundeswehrinterne Charakter der Trauerfeier unterstrichen. Man wollte die zivile Öffentlichkeit von einer Teilnahme an den Zeremonien fernhalten. Die Begründung lautete: Die Soldaten nähmen sich selbst zwar als solche wahr, welche sich für die kollektiven Werte und Interessen Deutschlands mit ihrem Leben einsetzten, wüssten aber darum, dass die deutsche Öffentlichkeit ihnen bestenfalls "ein freundliches Desinteresse" entgegenbrächte. So formulierte es Bundespräsident Köhler am 10. Oktober 2005. Deshalb habe man allen Feiern den Charakter einer "Verabschiedung unter Kollegen" gegeben.

Diese Exklusivität spiegelte sich auch in der Rhetorik bei Trauerfeiern wider. In ihren Ansprachen bezogen sich die anwesenden Verteidigungsminister auf den Gemeinsinn der Berufsgruppe der Soldaten. Das "starke Band der Kameradschaft", so Struck am 10. Juni 2003, habe den Dienst der Soldaten "in gegenseitiger Treue" geprägt. Darauf könnten sich auch die Hinterbliebenen in dieser "Stunde der Not" verlassen. Die in den Trauerreden benutzte Sprache stellte die getöteten Soldaten so dar, als ob sie sich im Dienste humanitärer Hilfsorganisationen für Menschenwürde, Frieden und Recht in die Bresche geworfen hätten. Struck sprach von Männern, "die in Kabul ihre Gesundheit und ihr Leben für eine bessere und friedliche Zukunft des Landes eingesetzt haben".

Militärisches Zeremoniell in Kirchen

Nun aber kehrten immer mehr Soldaten tot von ihren Einsätzen zurück. Dieser Situation versuchte man sich durch eine neue Sprachregelung anzupassen. Im Juni 2003 betonte Minister Struck, die vier in Afghanistan getöteten Soldaten seien nicht nur humanitär für die Menschen "vor Ort", sondern auch "für uns alle", "für unsere Sicherheit" und somit letztlich "für unser Land" gestorben. Damit nahm er vorweg, was er am 11. März 2004 dann im Bundestag erklärte: "Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt."

Wie veränderte sich nun seit Beginn der Auslandseinsätze die Inszenierungspraxis bei Trauerfeiern der Bundeswehr? Ab August 2008 findet ein Ortswechsel statt. Nun werden die Zeremonien nicht mehr versteckt in der Kaserne, sondern öffentlich in Kirchen abgehalten. Und zugleich werden alle toten Soldaten, egal ob christlich oder religionsfrei, von den Kirchen für sich vereinnahmt. Jetzt geht es um die große Öffentlichkeit, wobei die Elemente sakraler Repräsentationskultur wichtig werden. In würdevoller Atmosphäre und vor religiöser Kulisse sind die Spitzen der deutschen Politik zugegen.