Schule als Raum für gleichberechtigtes Lernen

Bundesweite Umfrage unter Lehrkräften zum sogenannten Kinderkopftuch

In einer neuen bundesweiten Umfrage zum sogenannten Kinderkopftuch hat Terre des Femmes (TdF) pädagogischem Fachpersonal 16 Fragen zu ihrer täglichen Arbeit im Umgang mit SchülerInnen gestellt, die ein Kopftuch tragen. Deutlich wurde: Es gibt dringenden Handlungsbedarf – für ein gleichberechtigtes Klassenzimmer, in dem Mädchen nicht durch Anpassung an patriarchale Normen in ihrer Entwicklung gehemmt werden. Schule sollte einen Raum bieten, in dem Gleichberechtigung und Vielfalt gelebt und gelernt werden können.

Die anonyme Umfrage zum Thema "Schule als Raum für gleichberechtigtes Lernen – frei von patriarchaler Kontrolle" wurde von TdF zum zweiten Mal bundesweit durchgeführt. Bisher gibt es keine weiteren vergleichbaren Umfragen zu diesem Thema.

Mitte April 2024 erfolgte ein Mailing an öffentliche Bildungseinrichtungen, mit der Bitte, an der Umfrage anonym teilzunehmen. Bis Ende Mai 2024 haben 784 Personen aus allen Bundesländern an der Umfrage teilgenommen, die mit Hilfe der Software LamaPoll erfasst und ausgewertet wurde.

Die 16 Fragen der Umfrage beinhalteten sowohl geschlossene Fragen wie auch die Möglichkeit, freie Antworten zu geben. Aus den geschlossenen Fragen lassen sich Rückschlüsse ableiten, wie viele Mädchen ab welchem Alter und mit welcher Begründung ein "Kinderkopftuch" tragen und ob die Befragten Verhaltensänderungen bei den Mädchen mit "Kinderkopftuch" feststellen konnten. Die offenen Antwortmöglichkeiten wurden von einer Vielzahl der Teilnehmenden genutzt, um ihre Eindrücke und Perspektiven einzubringen.

Erschreckend sind für TdF die Zitate der Befragten zur sexuellen Nötigung und der vermeintlichen Sicherheit durch das "Kinderkopftuch". Lehrkräfte berichten, dass Mädchen sich mit dem "Kinderkopftuch" vor den Blicken von Jungen und Männern geschützt fühlen und eher respektiert werden als Mädchen ohne "Kinderkopftuch".

Die tief verankerte patriarchale Vorstellung, dass bestimmte Kleidung vor Übergriffen schützt oder sie im anderen Fall begünstigt, muss aufgebrochen werden. Es ist nie die Kleidung von Mädchen oder Frauen, sondern immer das misogyne Bild des Täters, welches zu Übergriffen führt. Die Frage nach der Kleidung ist immer eine Täter-Opfer-Umkehr.

Dementsprechend weist Terre des Femmes darauf hin, dass der Mythos "Kleidung schützt vor Gewalt" immer für eine Frühsexualisierung von Mädchen steht. In vielen Religionen, so auch im Christentum, Judentum und im Islam, steht die Bedeckung des Haars für sexuelle Nichtverfügbarkeit. Diese wird nicht vorausgesetzt, sondern muss äußerlich sichtbar gemacht werden. Daher ist das "Kinderkopftuch" kein harmloses Stück Stoff, sondern eine frühe Sexualisierung von Mädchen.

Das Klassenzimmer muss frei von religiösen Symbolen und patriarchaler Kontrolle sein

In der Umfrage ging es auch um die Frage der Freiwilligkeit. Wird das "Kinderkopftuch" nicht freiwillig getragen, ist dies ein starker Indikator für eine patriarchal-autoritäre Erziehung. Aus den Ergebnissen der Umfrage wird ersichtlich, dass es sich nicht um Einzelfälle oder um ein Randphänom handelt, sondern dass zehntausende Mädchen in Deutschland betroffen sind.

In vielen Religionen, so auch im Christentum, Judentum und im Islam, steht die Bedeckung des Haars für sexuelle Nichtverfügbarkeit. Diese wird nicht vorausgesetzt, sondern muss äußerlich sichtbar gemacht werden. Daher ist das "Kinderkopftuch" kein harmloses Stück Stoff, sondern eine frühe Sexualisierung von Mädchen.

Dabei müssen Schulen für alle Mädchen, unabhängig ihres Elternhauses, ein geschützter Raum sein. "Alle Mädchen sollten bestärkt werden, im Unterricht traditionelle Rollenvorstellungen und Familienkonstellationen zu hinterfragen sowie eigene Entscheidungen hinsichtlich PartnerInnen- und Berufswahl zu treffen", so TdF in der Auswertung der Umfrage.

Die Umfrage 2024 zeigt einen signifikanten Anstieg der Nichtteilnahme von Mädchen mit "Kinderkopftuch" am Sexualkundeunterricht. Ein Unterricht, in dem es auch um Themen wie Einvernehmlichkeit sexueller Handlungen, sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit geht. Dabei fordert das Grundgesetz die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern (Art. 3 Abs. 2 GG) und sichert allen das Recht zu religiös zu sein oder nicht und über den eigenen Körper und die eigene Sexualität selbst zu bestimmen.

Die Ergebnisse der Umfrage machen den Handlungsbedarf sehr deutlich. In den letzten fünf Jahren hat sich die Situation für betroffene Mädchen weiter verschlechtert. Ihre Selbstbestimmung ist stark gefährdet. Mit dem "Kinderkopftuch" wird ihr Recht auf gleiche Bildungschancen bereits sehr früh einschränkt. Eingeschränkt werden auch die Lehrkräfte, die die Mädchen nicht erreichen und hinnehmen müssen, dass ihre Schülerinnen durch Religion ausgegrenzt werden. Das muss sich ändern. Das Klassenzimmer muss frei von religiösen Symbolen und patriarchaler Kontrolle sein. Das heißt: Der öffentliche Bildungsraum muss ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Aufwachsen von Mädchen sicherstellen.

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