Eine problematische Studie zum Linksextremismus

20 Prozent wollen die Revolution?

BONN. (hpd) Die beiden Politikwissenschaftler Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder legen mit "Gegen Staat und Kapital – für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland" eine empirische Studie sowohl zur Entwicklung des organisierten Linksextremismus wie zur Verbreitung einschlägiger Einstellungen vor. Während der erste Teil eine Fülle von Informationen mit vielen Zitaten enthält, irritiert die danach präsentierte Studie im zweiten Teil durch Angaben, welche auf Basis einer Verwechslung von Einstellungen und Handlungsfeldern zustande kamen.

Gewalttätige Ausschreitungen von Autonomen, die wie zuletzt bei den ansonsten friedlichen Demonstrationen gegen die EZB auszumachen sind, machen mitunter dramatisch auf die Existenz eines linksextremistischen Gefahrenpotentials aufmerksam. An sozialwissenschaftlicher Forschung dazu mangelt es indessen. Insofern greift man interessiert zu der Arbeit "'Gegen Staat und Kapital – für die Revolution!'. Linksextremismus in Deutschland – eine empirische Studie", welche die beiden Politikwissenschaftler Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder vom "Forschungsverbund SED-Staat" an der Freien Universität Berlin vorgelegt haben.

Deren Ziel ist es nach eigenen Worten "herausarbeiten, welche Einstellungsmuster sowie Gesellschafts- und Menschenbilder die linksextremistische Szene prägen und wie hoch deren Akzeptanz in der Bevölkerung ist" (S. XIII). Die hier artikulierten beiden unterschiedlichen Fragestellungen prägen auch die inhaltliche Struktur, denn die 15 Kapitel lassen sich in diese zwei Schwerpunkte teilen.

Nach einleitenden Ausführungen zu Begriffsdefinitionen, welche etwa eine extreme von einer radikalen Linken über die reformerische und revolutionäre Strategie unterscheiden, geht es zunächst um eine Gesamtdarstellung zu den empirischen Studien zum Thema. Dem folgt eine Geschichte des Linksextremismus in Deutschland und eine Präsentation von Selbstdarstellungen linkextremistischer Gruppen, Organisationen und Parteien. Anschließend stehen die Autonomen, der Streit um den Begriff "Extremismus", die Kampagne "Ich bin linksextrem", Linksextremismus und Gewalt, die Unterscheidung von "linker" und "linksextremistischer" Gewalt, der "revolutionäre 1. Mai" in Berlin, die Feindbilder von Linksextremisten und die Irrungen und Wirrungen ehemaliger Linksextremisten im Fokus.

Bereits diese Auflistung von Kapitel-Themen in der Reihenfolge der Präsentation macht deutlich, dass es ein wenig durcheinander geht. Gleichwohl liefern die erwähnten Textteile im Sinne einer Forschungsbilanz interessante Informationen mit vielen Zitaten.

Erst danach folgen zwei empirische Kapitel, wobei es um politische Einstellungen linksaffiner Jugendlicher und die Ergebnisse einer Repräsentativbefragung zu linksextremistischen Einstellungen geht. Dazu heißt es bilanzierend: "Auf Basis unserer Linksextremismusskala stufen wir 4 % der Befragten als Personen mit einem nahezu geschlossenen und weitere 13 % mit einem überwiegend linksextremen Welt- und Menschenbild ein. Insgesamt liegt das Potential für linksextreme Einstellungen derzeit bei 17 % der Bevölkerung der Bundesrepublik" (S. 588). Im Westen rechne man 14 Prozent dazu, im Osten gar 28 Prozent. 13 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen gelten als linksextremistisch. Je höher der Bildungsgrad ausfalle, desto niedriger sei der Anteil derartiger Einstellungen.

Außerdem heißt es über die Befragten mit einem geschlossen bzw. einem überwiegend linksextremistischen Weltbild: "Die Forderung nach einer Revolution zur Verbesserung der Lebensbedingungen unterstützen 65 % bzw. 54 % von ihnen gegenüber 20 % insgesamt" (S. 589).

Derart hohe Angaben erstaunen! Hier stellt sich die Frage: Kann das Potential in der Bundesrepublik Deutschland wirklich so hoch verortet werden?

Bei der kritischen Prüfung dieser Ergebnisse fällt zunächst der Blick auf die erwähnte Linksextremismus-Skala. Sie nennt folgende Dimensionen: Anti-Kapitalismus, Anti-Faschismus, Anti-Rassismus, Demokratiefeindlichkeit, kommunismusnahes Geschichtsbild und Anti-Repression (vgl. S. 558f.). In vier von sechs Fällen (alle "Anti"-Themen) geht es aber nicht um Einstellungen, sondern um Handlungsfelder. Dort betreiben Linksextremisten zwar Bündnispolitik, aber nicht alle vorhandenen Positionen sind linksextremistisch im Sinne der Definition.

Diese Fehldeutung erklärt nicht allein, aber mit warum die hohen Zahlen zustande kamen. Andere Teilresultate hätten darüber hinaus noch selbstkritische Reflexionen motivieren können: 20 Prozent der Bevölkerung fordern demnach eine Revolution zur Verbesserung von Lebenslagen, aber zwei Drittel bzw. die Hälfte der Linksextremisten sollen dagegen sein?

 


Klaus Schroeder/Monika Deutz-Schroeder, Gegen Staat und Kapital – für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland – eine empirische Studie, (Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Bd. 22), Frankfurt/M. 2015 (Peter Lang-Verlag), 653 S., 29,95 Euro