Internationale Demo zum Worldwide Day of Genital Autonomy in Köln

Die Forderung nach der Unteilbarkeit von Kinderrechten verbindet

Mit Irmingard Schewe-Gerigk von TERRES DES FEMMES sprach danach eine bekannte Feministin und Vorreiterin im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Sie verwehrte sich gegen den Vorwurf, weibliche Genitalverstümmelung von Mädchen mit Beschneidung von Jungen gleichzusetzen. Da etwa die Entfernung der Klitorisvorhaut, die in Indonesien jährlich etwa 2 Mio. Mädchen beträfe, in Deutschland nun endlich zurecht verboten sei, müsse dies bei der Vorhaut-Amputation an Jungen nun auch geschehen. Sie kritisierte darüber hinaus, dass im 2012 verabschiedeten Gesetz noch nicht einmal eine religiöse Motivation der Eltern für die Einwilligung in die Beschneidung des Sohnes verlangt werde. Sie sei nun auch als Bestrafung für bzw. vorbeugende Maßnahme gegen Masturbation möglich. Dem Vorwurf von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit setzte sie zudem entgegen, dass es die Aufgabe der Gesellschaft sei, die kritischen Stimmen innerhalb der betreffenden Religionsgemeinschaften zu unterstützen.

Der jüdische US-Amerikaner Shemuel Garber begann seine Rede mit einem persönlichen Blick auf seine eigene Geschichte, mit der er den Brauch der Routine-Beschneidung von männlichen Säuglingen in den USA kritisierte. Noch immer werde in Amerika seitens ärztlicher Vereinigungen die falsche Behauptung aufrechterhalten, Beschneidung habe gesundheitliche Vorteile. Besonders in einem Land wie den USA, wo ein Großteil der Bevölkerung nur den beschnittenen Penis kenne, sei Aufklärung über die Vorhaut und deren (sexuelle) Funktion besonders wichtig. Daraus resultierte seine Forderung an Ärzte und Krankenhäuser, nicht-therapeutische Beschneidungen zu unterlassen. Zuletzt richtete er das Wort an jüdische und muslimische Religionsführer und bat um Respekt vor ihren Gemeinde-Mitgliedern und deren eigenen Entscheidungen und darum, die Debatte nicht weiter durch die Gleichsetzung von Beschneidungskritik mit Volksverhetzung zu unterdrücken.

Mina Ahadi, die Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, nahm in ihrer Rede Stellung zur Jungenbeschneidung in den sog. "Islamischen Ländern", in denen neben der Mädchenbeschneidung über 90 Prozent der Jungenbeschneidungen weltweit durchgeführt werden. Die Verharmlosung dieser enormen Kinderrechtsverletzung ginge soweit, dass sogar Eltern, die aus Sorge um die Gesundheit der Kinder den Brauch kritisch zu hinterfragen begännen, die Beschneidung durch Ärzte als sinnvoll und gut empfohlen bekämen. Über das "Kölner Urteil" wurde auch in den Islamischen Ländern viel berichtet. Gerade auch in Richtung dieser Länder sei es wichtig, dass die Menschen in den westlichen Ländern gegen diese Kinderrechtsverletzung auf die Straße gingen. Der Zentralrat der Ex-Muslime habe inzwischen mit Veranstaltungen zum Thema eine Anlaufstelle geschaffen, die vor allem auch betroffenen Männern die Möglichkeit eröffnet habe, das Tabu-behaftete Thema zur Sprache zu bringen. Dem Deutschen Bundestag warf sie vor, mit reaktionären Kräften zusammengearbeitet zu haben, um das Beschneidungsgesetz zu schaffen.

Der aus der Türkei angereiste Journalist und Buchautor ("Oldu da Bitte Masallah", erschienen Anfang dieses Jahres), Kaan Göktas, nannte die Pflicht zur Beschneidung im Islam eine "große historische Lüge2, für die es keine Rechtfertigung im Koran gäbe. Im Zuge der Recherche für sein Buch stellte sich heraus, dass viele nicht-islamische und säkulare Eltern ihre Söhne auf Grund von sozialem Druck und der Angst vor der heutigen neo-islamischen Regierung beschnitten, jedoch nicht aus religiösen Gründen.

Für pro familia NRW sprach die freie Journalistin Renate Bernhard, die sich seit 1989 mit Themen wie der weiblichen Genitalverstümmelung, Zwangsheirat und Ehrverbrechen beschäftigt, also Themen der sexuellen Selbstbestimmung. Pro famila NRW spricht sich inzwischen dafür aus, Vorhaut-Amputationen an Kindern nur zu erlauben, wenn sie medizinisch unbedingt notwendig sind. Leider werde auch aus angeblich medizinischen Gründen viel zu oft unnötig beschnitten – das Beschneidungsgesetz ignoriere neben Menschenrechten daher leider auch den medizinischen Forschungsstand.

Der seit 39 Jahren als US-Intactivist tätige Martin Novoa betrachtete das Thema der Beschneidung aus seiner Perspektive als Jude, als Jurist und als homosexuell lebender Mann. Er warf einen Blick auf die historische Entwicklung von religiösen Gesetzen hin zu weltlichen und stellte heraus, dass die einen im Laufe der Geschichte durch die anderen abgelöst wurden. Daher können die Vorschriften von Religionsgemeinschaften in der heutigen Gesellschaft nicht über das Grundgesetz oder die Verfassung gestellt werden. Eine Parallele sah er auch zur Haltung der Gesellschaft gegenüber Homosexualität. Auch hier werde versucht, dem Individuum eine bestimmte Lebensweise vorzuschreiben und Selbstbestimmung, gerade auch im genitalen und sexuellen Bereich, zu verweigern. Besonders für Deutschland, das er als seine zweite Heimat bezeichnete, wünschte er sich, dass kein Einfallstor geschaffen werde, religiöse Vorschriften über säkular-rechtliche zu stellen, indem in der Beschneidungsfrage damit begonnen werde. Vielmehr solle Deutschland anderen Ländern ein Vorbild in dieser Debatte sein. Zuletzt sei es nicht hinzunehmen, dass er als Kind jüdischer Herkunft weniger Recht auf einen vollständigen Körper habe als andere.

Eine weitere Facette zum Thema genitale Selbstbestimmung brachte Markus Bauer von Zwischengeschlecht.org. Er erinnerte an das Gerichtsurteil aus dem Jahr 2007, ebenfalls in Köln, bei dem zum ersten Mal eine Intersex-Person das Recht auf Schadensersatz zugesprochen bekam. Christiane Völling verklagte damals ihren Chirurgen und bekam recht. Inzwischen laufen zwei weitere Prozesse in Deutschland und einer in den USA.

Zuletzt sprach Lena Nyhus, Vorsitzende der dänischen Organisationen Intact Denmark. Sie sprach ihre Freude darüber aus, dass der 7. Mai in Köln zeige, wie sich Menschen auf internationaler Ebene weltweit für genitale Selbstbestimmung von Kindern einsetzten. Da alle Eltern für ihre Kinder nur das Beste wollten, sollte es in der Zukunft auch Realität werden, dass jeder Mensch, ob weiblich, männlich oder intersexuell geboren, dasselbe Recht bekäme, über den eigenen Körper selbst entscheiden zu dürfen.

Auch wenn die eher geringe Zahl der Teilnehmenden (geschätzt etwa 60 Personen) zu einem Teil sicherlich dem Bahnstreik anzulasten ist, wäre es diesem engagierten Projekt des Worldwide Day of Genital Autonomy (WWDOGA) zu wünschen, dass sich in den folgenden Jahren noch mehr Menschen anschließen. Im nächsten Jahr wird der 7. Mai auf einen Samstag fallen – vielleicht finden dann noch mehr Bürgerinnen und Bürger den Weg auf die Straße, um für das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und für die Genitale Autonomie aller Kinder, einzustehen.

Das Besondere und Einzigartige dieser Veranstaltung war sicherlich die enorme Vielfalt was Herkunft, Sprache, Hautfarbe, sexuelle Identität und kulturellen Hintergrund der Beteiligten betrifft. Selten sieht man es, dass Menschen, die sich im Alltag in dieser Zusammensetzung wohl nicht einmal begegnen würden, zusammenschließen und gemeinsam an einer Sache arbeiten. Und dass es ausgerechnet die Forderung nach der Unteilbarkeit von Kinderrechten ist, die sie immer wieder zusammen bringt und eine Gemeinschaft aus ihnen macht, ist vermutlich der schönste Grund, den man sich für eine solche Begegnung vorstellen kann.


[1] Die vollständige Liste ist hier einsehbar: http://genitale-selbstbestimmung.de/.