Kein Platz für einen Schöpfergott

DEIDESHEIM. (hpd) Ulrich Kutscheras "Evolutionsbiologie" erschien in der 4. vollständig überarbeiteten und erweiterten Auflage zum 10. Todestag des bedeutenden Evolutionsforschers Ernst Mayr. Ihm gelang ein hervorragendes großformatiges Uni-Taschenbuch, das sich nicht nur an Biologiestudenten und alle an unserer biologischen Herkunft Interessierten wendet, sondern auch an Theologen und Gläubige, die noch immer das Wirken eines Schöpfergottes für glaubhaft halten.

Frei heraus: Mich hat dieses Buch begeistert!

Aber ich gebe zu, ich bin voreingenommen. Naturwissenschaften, insbesondere Paläontologie sowie Evolutionsbiologie haben mich schon immer fasziniert. Aber welches Kind interessiert sich nicht irgendwann für Dinosaurier? Projekte wie Evokids sind auf dem richtigen Weg, Evolution bereits in Grundschulen zu tragen, denn Kinder sind neugierig und wollen alles über die Riesen der Vergangenheit wissen. Damit erfahren sie fast beiläufig Kindgerechtes über die natürlichen Mechanismen, die letztlich sie selbst hervorbrachten - durch Mutation und Selektion. Kutscheras Buch wendet sich natürlich an den erwachsenen Leser mit Fachinteresse; allerdings wurden auch diese sicher in frühen Jahren für Naturwissenschaft begeistert und an echte Geheimnisse unserer Welt herangeführt.

Mir erging es nicht anders und dank der Initiative meiner Mutter war ich ab meinem elften Lebensjahr Mitglied der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft. Mit Stolz zeigte ich an der Pforte meinen Mitgliedsausweis, um in "mein" Museum zu stolzieren. Wem diese faszinierende Welt der Natur, der Entstehung des Lebens und seiner evolutionären Fortentwicklung nicht vorenthalten wird, kann unmöglich auf absurde Abwege einer biblischen "Schöpfungsgeschichte" geraten, auf die mich mein Religionslehrer schicken wollte.

Wer einmal mit eigenen Augen die Verwandtschaft der Tiere und Pflanzen anhand akkurat restaurierter Fossilien erkennen durfte, wird die dürftige, kleinkarierte Genesis der Bibel als das entlarven, was sie ist: ein untauglicher Versuch einfacher Hirtenvölker, sich vor 2.600 Jahren die Entstehung der Welt zu erklären.

Leider haben monotheistische Religionen – und hier zeigt sich Ulrich Kutschera als kämpferischer Aufklärer - dieses hoffnungslos veraltete Weltbild bis in unsere Tage tradiert. Auch wenn "moderne" Theologen den halbherzigen Versuch unternommen haben, eine Art Frieden zwischen ihrer Schöpfungslehre und der Evolution zu schließen, durchdringt deren kreationistisches Gedankengut noch immer unsere Gesellschaften. Nicht nur bildungsferne.

Auch in Europa und vor allem in den USA, so Kutschera, tummeln sich viele, die sich als Geschöpfe Gottes und das gesamte Universum als dessen Werk verstehen – bis hin zu den "junge Erde-Extremisten". Wer kennt nicht das aufwändig gestaltete Creation Museum in Kentucky. Seine Macher gaukeln seinen Besuchern z.B. vor, der Mensch habe zeitgleich mit Dinosauriern gelebt. Hier wird mit beeindruckender Technik eine Weltentstehung suggeriert, die so nie stattgefunden haben kann, weil sie allen wissenschaftlichen Forschungen widerspricht. Nicht nur, dass hier Besucher für dumm verkauft werden – es werden auch alle seriösen Naturwissenschaftler beleidigt, denn die Schlussfolgerung der Kreationisten negiert praktisch alle empirischen Erkenntnisse seit Charles Darwin.

Diese Aktivitäten haben weitreichende Folgen. Dazu schreibt U. Kutschera: "Die amerikanischen Kreationisten hatten Anfang der 1980er-Jahre in zwei US-Bundesstaaten vorrübergehend erreicht, dass der von ihnen sogenannte ‘wissenschaftliche Kreationismus’ in Schulen als gleichberechtigte Alternative zur Evolutionstheorie vorgetragen werden durfte." (S. 297) Erst 1987 hat der Oberste Gerichtshof der USA diesem Spuk ein Ende bereitet.

Wegen dieser fortdauernden Einwirkung des Kreationismus, die jeder Pfarrer unbewusst bestärkt, wenn er von "Gottes Geschöpfen oder Schöpfung" spricht, ist U. Kutscheras "Evolutionsbiologie" ein wichtiges, unverzichtbares Werk. Auch in Deutschland flackert hin und wieder eine Debatte auf, ob im Biologieunterricht nicht auch die Schöpfungsgeschichte der Bibel gelehrt werden soll. Auch Veröffentlichungen der finanziell gut ausgestatteten evangelikalen "Studiengemeinschaft Wort und Wissen" (W+W) zum Thema brauchen ein seriöses Gegengewicht.

Ich kenne viele Bücher über die Entstehung des Lebens. Hin und wieder wird auch dort über die biblische "Alternative" berichtet, aber eher als Randnotiz. In "Evolutionsbiologie" gelingt es dem Autor eindrucksvoll, die "Schöpfungslehre" als haltlos zu entlarven. Man spürt in jeder Zeile seines Buches den beherzten Forscher, der seine Disziplin mit Haut und Haaren vertritt – dabei stets an der Sache orientiert und nicht an Ideologien.