Unser Autor Bernd Kammermeier versucht die Darstellung einer zentralen Frage aller sogenannten Heiligen Schriften: Stammen die alten Texte von einfachen Menschen oder entstanden sie – wie Theologen aller Monotheismen behaupten – dank göttlicher Inspiration? Was bedeutet dies für die heutige Zeit?
Immer wieder stoßen wir auf biblische Stellen, die manche verschrecken und andere zu unethischem Verhalten animieren. Reflexartig wird der apologetische Theologe beide Reaktionen zu entkräften versuchen: Er verweist auf die Entstehungszeit dieser Texte. Früher habe man halt anders gedacht, Erkenntnisse seien nicht so fortschrittlich gewesen. Auf diese Weise werden auch wissenschaftliche und geschichtliche Irrtümer in Bibel und Koran entschuldigt. Ähnlich geht man bei Martin Luther vor, indem sein Antisemitismus zum damals üblichen Antijudaismus marginalisiert wird – unter völliger Verkennung seiner zahlreichen Schriften. Man habe dies eben früher so gesehen. Dafür dürfe niemand Luther oder andere religiöse Autoren verurteilen.
Schauen wir uns ein Beispiel aus dem Neuen Testament näher an: Es ist die Perikope mit der Ehebrecherin, die Jesus vor der Steinigung bewahrt haben soll. Sie steht im Evangelium des Johannes, Kapitel 8,1 bis 11. Dass sie erst Jahrzehnte später in das Evangelium eingeschoben wurde, braucht uns hier nicht weiter zu interessieren. Es geht um deren ethische Aussage:
"[…] Die Schriftgelehrten und die Pharisäer aber bringen eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, und stellen sie in die Mitte und sagen zu ihm: 'Lehrer, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. In dem Gesetz aber hat uns Mose geboten, solche zu steinigen. Du nun, was sagst du?' […] 'Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie." […] Als sie aber dies hörten, gingen sie, einer nach dem anderen, […] Jesus aber sprach zu ihr: 'Auch ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige von jetzt an nicht mehr!'" (Quelle: Elberfelder Bibel)
Ja, er rettet dieser Frau das Leben und missachtet dabei das (für ihn als Jude verbindliche) mosaische Gesetz, das für Ehebruch die Steinigung vorsieht. Doch spricht aus dieser Geschichte eine weise, moderne Ethik, gar eine Rechtsphilosophie, die uns aktuell hilft? Immerhin behaupten Theologen exakt das: Wir könnten die Bibel auch heute noch als Quelle der Weisheit für unser Leben im 21. Jahrhundert nutzen. Eine Betrachtung, die sich christlich- apologetische Tricks verkneift, zeigt jedoch, dass dieser Text eher nicht für unsere Zeit taugt.
Der Jesus, der uns in dieser Perikope entgegentritt, argumentiert nämlich keineswegs gegen die Todesstrafe. Er bezeichnet auch Ehebruch nicht als Privatsache, die nur die beteiligten Menschen etwas angehe. Im Gegenteil: Er erklärt die anklagenden Pharisäer zu geborenen Sündern und versagt ihnen so das Recht zur Steinigung. Das ist jedoch kein ethischer, sondern ein christlicher Ansatz, um Menschen mittels Angst zu missionieren, denn "Sünde" bedeutet "Gottesferne", sprich: die Hölle. Im Judentum indes ist das Prinzip des "geborenen Sünders" unbekannt. Also auch einem Jesus. Sünden sind dort zu Lebzeiten begangene Untaten, die – bis auf zum Beispiel Mord – mit aufrichtiger Reue verziehen werden können. Ein Säugling ist also unmöglich ein Sünder und auch ein anständiger Pharisäer könnte sündenfrei sein. Sei es dadurch, dass er nie eine Sünde beging oder dass er sie bereute und sie ihm verziehen wurde.
Hätten also gemäß halachischem Recht sündenfreie Pharisäer den "ersten Stein" werfen dürfen? Nach Meinung dieses Jesus gewiss. "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie." Allerdings ist er – ganz der vorauseilende christliche Theologe – eben von der Sündhaftigkeit des Menschen an sich überzeugt. Von einem Konzept also, das der Jude Jesus unmöglich kennen konnte. Entstanden durch Verbiegung des Alten Testaments, führte dieses zu abenteuerlichen Verrenkungen, denn Jesus musste nun irgendwie als 'reiner sündenfreier Mensch' konstruiert werden. Die Vergewaltigung Marias durch die Trinität war die erste resultierende Untat. Nach Erfindung des Mikroskops folgte eine weitere Verrenkung:
Ab 1827 musste dank wissenschaftlicher Erkenntnis eines Karl Ernst von Baer die natürliche Reinheit Marias (die zum Beispiel Luther noch angenommen hatte) infrage gestellt werden. Die bis dahin geltende Annahme, der Mann ejakuliere einen fertigen Minimenschen in die Frau, die diesen wie ein Blumentopf austrage (in der Präformationstheorie beschrieben), erwies sich als falsch. Frauen haben Eizellen, die fünfzig Prozent zum Entstehen des Kindes beitragen. Deshalb wäre Jesus ein zu fünfzig Prozent unreiner Mensch gewesen. Nicht zu glauben! Also wurde auch Maria mindestens in der katholischen Kirche nach jahrhundertelangen Diskussionen ab 1854 unbefleckt empfangen – diesmal sogar ohne jeden Beleg in der Bibel. Es ist halt kompliziert, das Dogma des geborenen Sünders aufrechtzuerhalten. Aber was tut man nicht alles fürs Geschäft?
Von alledem ahnte Jesus nichts. Entscheidend ist: Wäre er wirklich Gott, hätte er es Theologen einfacher machen können und nur darauf verweisen müssen, dass es seinem Vater und ihm ein Gräuel sei, wenn Menschen einander töten. Etwa: "Niemand hat das Recht, einen Stein zu werfen." Und schon hätte eine bis heute akzeptable Ächtung der Todesstrafe, von Krieg, Terror und Gewalt als ethischer Wegweiser dienen können.
Aber dieser Jesus weist nur die Pharisäer in ihre Schranken, degradiert sie zu Sündern im Sinne der später erfundenen Christologie. Seine Hybris vollendet der Satz: "Auch ich verurteile dich nicht." Er erhebt sich selbst (bzw. der Autor dieser Verse) durch das Wort "auch" zum reinen Gottessohn. Er verleiht sich ein Alleinstellungsmerkmal: Die anderen dürfen die Ehebrecherin wegen ihrer "angeborenen Sündhaftigkeit" nicht steinigen; er – Jesus – verurteilt sie trotz seiner "göttlichen Reinheit" nicht. Er äußert leider keine Weisheit in dem Sinne, dass Sexualität persönlich sei und dass sich Dritte – wenn sie allein oder einvernehmlich praktiziert werde –, eines Schuldspruchs enthalten müssten. "Niemand darf dich wegen Fremdgehens verurteilen. Geh hin und regele das mit deinem Mann und deiner Affäre!" Wäre dies nicht ein Fingerzeig auf moderne Rechtsprechung gewesen?
Doch diese musste erst gegen christlichen Widerstand errungen werden. Mühsam schleichend war der Prozess. Von der gegen Widerstände aus CDU, FDP und katholischen Verbänden durch Elisabeth Selbert abgetrotzten Gleichstellung von Mann und Frau (Artikel 3 Grundgesetz) über die Abschaffung des Kuppeleiparagraphen für Erwachsene, der Aufgabe des Schuldprinzips bei Ehescheidungen bis zum Verbot der Vergewaltigung in der Ehe. Auch Homosexualität – dem biblischen Gott ein Gräuel – wurde straffrei. Mehr noch: Schwule und Lesben dürfen heute heiraten – dem irdischen Klerus ein Gräuel. Kein ernstzunehmender Mediziner würde heute jemanden wegen Selbstbefriedigung ächten. Von juristischen Anklagen ganz zu schweigen.
Wir sehen also, dass der biblisch vorgestellte Jesus keine zukunftsweisende Ethik propagiert, sondern eine unmenschliche Moral, die auf späterem christlichem Mist gewachsen ist. "Todesstrafe hui, Ehebruch pfui." Das ist die Kurzform, die man aus Joh 8,1 bis 11 ableiten muss. Hinrichtungen gehören jedoch weltweit abgeschafft und Ehebruch geht nur die Beteiligten etwas an. Das sind Positionen moderner Ethik. Religiös geprägte Länder sehen das bis heute anders.
An dieser – und ähnlichen Stellen der Bibel, aber auch des Korans – greift dann die Apologie mittels des Vorwurfs des "Katachronismus" in die Diskussion ein. Diesen Begriff prägte der spanische Religionsphilosoph Raimon Panikkar, um die Bewertung der Vergangenheit aus moderner Perspektive anzugreifen. Es ist richtig, dass wir zum Beispiel das Mittelalter nicht deswegen verurteilen dürfen, weil sein Rechtswesen nicht der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte entspricht. Mit gleichem Argument wollte Prof. Panikkar jedoch auch Angriffe gegen christliche Schriften und Kirchenlehrer abwehren. Dabei gilt zu bedenken, dass gerade die Monotheismen allesamt über ihre Heiligen Schriften und Propheten (bis zu Mohamed und Joseph Smith Jr.) behaupten, diese seien von Gott diktiert oder inspiriert worden. Wäre dies nicht der Fall, wären diese Schriften nichts als Bücher von Menschen der Bronze- oder Eisenzeit, der Antike oder des Mittelalters. Die "Propheten" oder Kirchenlehrer wären dann Kinder ihrer Zeit – mit dem jeweiligen mageren Wissenshorizont und der jeweils gültigen Moral.
Falls also der Vorwurf des Katachronismus gegen Kritiker religiöser Texte greift, würden diese Texte durch logische Konsequenzen entwertet. Nur falls wirklich göttliches Wirken in den Texten steckt – ob wörtlich oder inspiriert –, könnte der Versuch fruchten, Brauchbares für die Gesellschaft heute herauszulesen. Und genau hier steckt das Dilemma: Hat dieser Jesus einfach den unethischen, dafür umso moralischeren Stand seiner Zeit reflektiert? Dann würde das katachronistische Argument greifen und wir müssten Joh 8,1 bis 11 sowie weitere Bibelstellen als zeithistorische Dokumente eines patriarchalen, unreifen und unethischen Rechtswesens sehen. Doch sobald Gott als Quelle der Weisheit, als "Logos" und Inspiration ins Spiel kommt, erleidet dieser Gott ethischen Schiffbruch.
Ein allwissender Gott hätte eine menschengerechte Rechtsphilosophie liefern können, wie er als Schöpfer bessere Knie oder Augen hätte konstruieren können. Und weniger fiese Krankheiten. Ein Gott, der durch seinen Sohn die Todesstrafe erlaubt und Ehebruch als Straftat, als "Sünde" und die Pharisäer als "geborene Sünder" bezeichnet, kann kein ethisches Vorbild, kein Lehrer für eine bessere Welt sein. Die Theologie hat also die Wahl zwischen dem entschuldigten, im Zeitgeist verhafteten "Menschen Jesus" und dem objektiv unethischen "Gott Jesus". Diese Entscheidungsnotwendigkeit dringt jedoch nicht in das Denken der Kleriker ein. Ihre Immunisierung heißt "Exegese".
Sie bilden sich anhand alter Texte eine Meinung, die politischen Modeströmungen unterworfen ist, um mit aktuellen Verhältnissen zu korrelieren. Schließlich muss eine Begründung für das lukrative heutige Wirken her. "Die unethischen Effekte antiker Rechtsschulen" ist kein lockendes Thema für Sonntagsgottesdienste. Ein Jesus, der angeblich noch heute zu uns spricht, muss anders klingen. Dieses "Andersklingen" wird intellektuell tönend mit exegetischer Begrifflichkeit kaschiert. Ob Pfarrer wenigstens ahnen, dass sie einen vergeblichen Spagat versuchen? Theologen werden wohl weiterhin erwartungsvoll den Schöpfeimer des ausgetrockneten Brunnens biblischer Erkenntnis hinaufziehen und sich am imaginierten Wasser laben.
Fazit: Glaubensverteidiger sollten sich fragen, ob die schriftliche Quelle ihrer Ideologie das Werk ungebildeter Menschen eines ethisch vormodernen Zeitalters ist oder ob der Gott, der sie angeblich inspirierte, einen unethischen und menschenverachtenden Charakter aufweist. Oder propagieren Rabbiner, Priester und Imame am Ende einen Gott, der ein derart unverständliches Kauderwelsch hinterließ, dass sie sich aufgerufen fühlen, daraus höchst individuelle Interpretationen zu stricken? Also einen Allmächtigen, der zur deutlichen, unmissverständlichen Sprache unfähig sein soll? Für die heutige Zeit erscheint keine der Versionen sinnvoll.
16 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Angesichts der realen Bedrohung unseres Lebens durch die nahende Klimakatastrophe, sollte den Menschen deutlich klar werden, dass beten nichts hilft, sondern nur schnellstes handeln.
Dieser ganze Mist bindet nur unnötig Kräfte, welch wir dringend für die Bewältigung der realen Probleme benötigen und lenkt nur von der Dringlichkeit der erforderlichen Massnahmen ab.
Jeder der das Buch von Carola Rackete mit dem Titel HANDELN STATT HOFFEN gelesen ( und verstanden ) hat, weiss das es bereits viertel NACH zwölf ist.
Klarsicht(ig) am Permanenter Link
Zitat: „Glaubensverteidiger sollten sich fragen, ob die schriftliche Quelle ihrer Ideologie das Werk ungebildeter Menschen eines ethisch vormodernen Zeitalters ist oder ob der Gott, der sie angeblich inspirierte, eine
Die unterschiedliche Bewertung der Opfer von Kain und Abel durch den „Bibeldämon“ […] !
https://www.youtube.com/watch?v=WXjT0xKtAQ0
Gruß von
Klarsicht(ig)
Martin Franck am Permanenter Link
Natürlich stammen die Texte von Menschen aus der Bronze- oder Eisenzeit, also der Antike, geschrieben von Kindern ihrer Zeit, die den damaligen Wissenshorizont ihre Zeit und ihrer Lebenswelt reflektieren.
Man unterlag auch immer den Einflüssen anderer Kulturen. Man grenzte sich ab von Kanaanitern (Phönizier) https://hpd.de/artikel/schicksal-kanaaniter-14663, Ägypter kamen, Babylonier, Perser, Griechen und letztendlich die Römer, und alle beeinflussten und wandelten die Religion. So kopierte man Noah aus Texten aus Mesopotamien. Er passt auch besser ins Zweistromland, als zum Jordan in einer Halbwüste.
Andreas Edmüller schrieb in seinem Buch: „Die Legende von der christlichen Moral: Warum das Christentum moralisch orientierungslos ist“, daß es keine Methodik gibt zu sagen, was nun in welcher Auslegung gilt.
Ein ganz einfaches Problem kann sich jeder selbst vor Augen führen, wenn er sich daran erinnert, als er in der Schule Weimarer Klassiker wie Goethe oder Schiller las. Man hat schon Schwierigkeiten die beiden zu interpretieren, obwohl die Texte erst zwei Jahrhunderte alt sind, und in deutscher Sprache geschrieben wurden, von Autoren, die in Deutschland lebten.
Ein Glück, daß man nicht Engländer ist. Die haben ja Schwierigkeiten, Shakespeare zu verstehen. Da ist der Zeithorizont noch größer.
Selbst mit dem Neuen Testament muß man sich vergegenwärtigen, daß es vor fast zweitausend Jahren in altgriechisch geschrieben wurde, in einer uns nicht vertrauten Gesellschaft.
Ebenso weiß man mit Sicherheit, daß diese Texte im Laufe der Zeit verändert wurden. So bekommt das Evangelium, das mit dem Namen Markus verknüpft wurde, in der ursprünglichen Form als Ur-Markus einen ganz anderen Spin.
Geht man mit heutigem Wissensstand und Techniken an das Neue Testament, so erkennt man Parallelen der Jesusfigur zu Moses, Elias, etc., also Figuren, die man heute allgemein als fiktiv anerkennt. Deshalb ist der Nazarener Jehoschua am wahrscheinlichsten genauso fiktiv und wurde nur später euhemerisiert.
Wer also davon ausgeht, daß es einen historischen Jesus von Nazareth gab, hat die Exegese nicht verstanden und sich damit disqualifiziert.
Man muß auch anerkennen, daß es von diesem fiktiven Jesus eigentlich vier unterschiedliche Figuren gab, die von den Autoren an unterschiedliche Zielgruppen gerichtet waren.
Fragt man Christen nach Ethik in der Bibel, fällt den meisten ein: der Dekalog im AT und die Bergpredigt im NT. Nur bekommt kaum einer die zehn Gebote zusammen. Bei der Bergpredigt, sollte man sich klar darüber sein, daß sie mit ihren Seligpreisungen (Makarismen) https://www.bibleserver.com/EU/Matth%C3%A4us5%2C7 Mt 5,7 nicht praktikabel ist. Sie ist höchstens als ein Ideal anzusehen, aber eben unerreichbar. Man kann sich dann schön schuldig fühlen für sein Confiteor am Sonntag.
Zu https://de.wikipedia.org/wiki/Jesus_und_die_Ehebrecherin Jesus und die Ehebrecherin könnte man sich auch vorstellen, daß einige Priester zusammen kommen, und darüber diskutieren, daß einer der ihren gegen den Zölibat gefehlt hat in Verbindung mit einem Ministranten oder Chorknaben. Nun fragt man in die Runde, ob auch unter den anderen Priestern jemand gegen den Zölibat fehlte, zum Beispiel durch Masturbation. Also einigt man sich, daß man auch nicht verurteilt, und sagt zum Mißbrauchstäter: Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.
Selbst wenn man extrem kirchenfreundlich sein wollte, und sagt, daß die Kirche sich zwar langsam, aber durch äußeren Druck doch letztendlich auch geänderten Umständen anpasste. So wurde der Sklavenhandel mit der Bibel gerechtfertigt, aber Abolitionisten begründeten ihren Kampf ebenso mit der Bibel.
Schaut man jedoch den Film: „Verteidiger des Glaubens“ über Joseph Ratzinger an, so sieht man, daß der Feind der Kirche der moderne Relativismus des Zeitgeists ist, und eine Änderung in der RKK strukturell nicht mehr möglich ist.
MSS schrieb einmal, daß früher als fast Jeder Kirchenmitglied war, man das gesamte Spektrum abdeckte. Also gab es Leute, die gar nicht an einen Gott glaubten, und die Bibel halt als ein Buch voller alter Mythen sahen.
Liest man auf https://www.katholisch.de/artikel/21594-wer-sind-die-gegner-von-papst-franziskus-und-was-treibt-sie-an so sind die feurigsten Gläubigen heutzutage, diejenigen die fundamentalistisch radikal sind, und eine autoritäre Persönlichkeit besitzen. Dazu passt auch der aktuelle Artikel https://hpd.de/artikel/freikirchler-ihre-kinder-zuechtigen-weil-bibel-es-verlange-17475. Die ganzen moderaten haben die Kirche schon verlassen. Mit Maria 2.0 ist noch eine Kerngruppe des Katholizismus, die an Reformen glaubt, kurz vor dem Austritt.
Die Kulturchristen, die gerne gemeinsam singen, und dem Orgelspiel lauschen, und sich nach der Messe noch zu einem Frühschoppen treffen, und Neuigkeiten austauschen, gibt es immer weniger.
Daß das Christentum mit Ethik nichts am Hut hat, zeigt auch das Zitat von Steven Weinberg https://en.wikiquote.org/wiki/Steven_Weinberg : „Religion is an insult to human dignity. With or without it you would have good people doing good things and evil people doing evil things. But for good people to do evil things, that takes religion.“
Christliche Ethik ist willkürlich. Erst überlegt man sich etwas, und dann sucht man eine Bibelstelle dazu. Ganz so wie hier https://hpd.de/artikel/rosinenpicken-und-biblisches-leichenfleddern-17352 mit dem Motto zum Kirchentag: Schaut hin. God said it. I believe it. That settles it.
Mich wundert es, daß unsere Politiker diese Taschenspielertricks nicht durchschauen, sondern ihnen regelmäßig auf dem Leim gehen.
Das es keine christlichen Werte gibt, ist die Postulation derselben nur ein Machtinstrument der Theologen.
So sagte John Dalberg-Acton, 1st Baron Acton: „Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely. Great men are almost always bad men, even when they exercise influence and not authority, still more when you superadd the tendency or the certainty of corruption by authority. There is no worse heresy than that the office sanctifies the holder of it. That is the point at which the negation of Catholicism and the negation of Liberalism meet and keep high festival, and the end learns to justify the means.“
Ein Politiker der von christlichen Werte spricht, ist eigentlich nicht wählbar. Die CDU sollte Greenpeace dankbar dafür sein, daß ihr das C gestohlen wurde.
Paul am Permanenter Link
"wie er als Schöpfer bessere Knie oder Augen hätte konstruieren können. Und weniger fiese Krankheiten."
Sehr gutes Argument, da viele Tiere bekanntlich anders konstruierte Augen haben, ohne den sog. Blinden Fleck. Daraus folgt, dass es keinen "Schöpfer" gab, sondern dass sich die Lebewesen nach und nach entwickelt haben.
Und was die Krankheiten betrifft, ein "allwissender Gott" müsste es vorausgesehen haben, dass die Menschheit im Lauf der Zeit einen Teil der Krankheiten "besiegen" wird, andere Krankheiten eindämmen kann. Hatte "er" das in seinem "Plan", dem Teufel (oder wer dafür zuständig ist) anfangs vorhandene Möglichkeiten wegzunehmen, die Menschen zu drangsalieren?
Jaja, werden die Gläubigen sagen, das ist Alles "sein" unergründlicher Plan und "Ratschluss". In Wirklichkeit ist es nichts anderes als der wissenschaftliche Fortschritt, bei dem "Gott" bestenfalls untätig zugesehen hat. - Plausibler ist jedoch, dass es "ihn" überhaupt nicht gibt.
awmrkl am Permanenter Link
"wird intellektuell tönend mit exegetischer Begrifflichkeit kaschiert ... vergeblichen Spagat"
Dieser "vergebliche Spagat" wird (u.a.) idR wöchentlich bei AWQ.de anhand des WzS (Wort zum Sonntag) fachgerecht demaskiert und zerlegt. Da bleibt (aus welchem Grund auch immer) kein Auge trocken.
https://www.awq.de/
Ansonsten wiedermal danke für diesen fokussierten Beitrag.
Thomas R. am Permanenter Link
Ausgerechnet Herr Kammermeier referiert über "Ethik" und "Moral" - da mußte ich erstmal sehr bitter lachen...
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Hier gehören die Begriffe Ethik und Rechtsphilosophie ausgetauscht, denn die Ethik ist dem Recht vorgeordnet.
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"Und schon hätte eine bis heute akzeptable Ächtung der Todesstrafe, von Krieg, Terror und Gewalt als ethischer Wegweiser dienen können."
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Keineswegs. Was irgendein Gott will oder nicht, ist ethisch ohne jeden Belang.
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"Hinrichtungen gehören jedoch weltweit abgeschafft und Ehebruch geht nur die Beteiligten etwas an. Das sind Positionen moderner Ethik. Religiös geprägte Länder sehen das bis heute anders."
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Kaum überraschenderweise, denn religiöse Normativität und Ethik schließen einander bekanntlich aus.
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"Es ist richtig, dass wir zum Beispiel das Mittelalter nicht deswegen verurteilen dürfen, weil sein Rechtswesen nicht der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte entspricht."
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Wir dürfen es aber für seine ethische Rückständigkeit verurteilen (sofern unser eigenes Denken und Handeln strukturell und/oder inhaltlich nicht ähnlich rückständig ist). Immerhin hätten sich die Menschen auch damals schon bestmöglich leidvermeidend nach dem ethischen Gleichheitsgrundsatz verhalten können.
Roland Weber am Permanenter Link
Die Bibel (AT/NT) enthalten unzählige Fehler und Widersprüche. Dazu gibt es ausreichend Literatur - auch wenn niemand es mehr für erforderlich hält, dem überhaupt noch nachzugehen.
Wer glaubt denn tatsächlich an die Wunder, die in den Texten aufgetischt werden? Aber noch viel wichtiger: Was sollen denn die Wunder (Jesus, Petrus, Paulus) für heutige Menschen noch bedeuten? All die Blinden, Lahmen und Tauben sind dennoch verstorben. Allein bei den geistig Armen bin ich mir nicht ganz sicher.
R&R am Permanenter Link
Ein brillanter Aufsatz! Der Autor lobt überschwänglich die vorzüglichen ethischen Anweisungen der Bibel: Nächstenliebe, Feindesliebe, Vergeltungsverzicht und Vergebungsbereitschaft.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Der Autor lobt überschwänglich die vorzüglichen ethischen Anweisungen der Bibel: Nächstenliebe, Feindesliebe, Vergeltungsverzicht und Vergebungsbereitschaft."
Mit Sicherheit nicht. Warum muss ich meinen Nächsten lieben? Reicht nicht Respekt? Außerdem war - folge ich dem Corpus Qumran - Nächstenliebe ein Konzept, um Streitigkeiten zwischen Nachbarn zu schlichten. Nachbarschaftsstreits sind noch heute einer der häufigsten Gründe für Gerichtsprozesse. Warum sollte ich meinen Feind lieben? Ich bemühe mich darum, erst keinen zu haben. Außerdem kann man mit dem NT auch den Fernstenhass begründen. Vielleicht loben Sie den mal.
"Er weist schlüssig nach, dass der moderne A-Theist – im Vergleich zum C-Theist – eine höherwertigere Moral sein Eigen nennt und uneingeschränkt praktiziert."
Habe ich nicht deutlich genug gemacht, dass ich ein Amoralist bin? Moral ist die Sache eines erfundenen Gottes. Der Mensch sollte sich an die Ethik halten. Im übrigen sagt der Begriff Atheist nur aus, dass jemand nicht an erfundene Geister glaubt. Nicht, dass er ein besserer Mensch ist. Nur haben Atheisten nicht so eine breite Blutspur in der Geschichte hinterlassen. Vielleicht, weil sie weniger Feindbilder haben wie Theisten und selbst oft Opfer der feindesliebenden Christen wurden.
"Um der Ausgewogenheit des Urteils willen, geht der Autor dann noch darauf ein, dass die hebräische Bibel der Juden einen innovativen Impetus der völligen Gewaltlosigkeit und des tapferen Kriegsverzichts gegen alle Nachbarvölker setzte."
Kann das sein, dass Sie Antisemit sind? Kein schöner Zug...
R&R am Permanenter Link
1. Sie sind für Ethik, aber gegen Moral? Wie witzig! Ethik ist eine Teildisziplin der Philosophie und Moral ist ihr Gegenstand. Moral ist folglich keine religiöse Kategorie.
3. Sie sind für Respekt, anstatt Nächstenliebe? In der Bibel wird die Nächstenliebe im Zusammenhang mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. 10) eingeführt. Ein Mensch fällt unter die Räuber, wird verletzt und benötigt Hilfe. Auf unsere Zeit übertragen bedeutet dies: Sie werden von einem Auto angefahren, sind verletzt und benötigen Hilfe. Verlangen Sie dann Respekt und verzichten auf Nächstenliebe??? Wow! Respekt!!! Der Gesetzgeber sieht es anders: §323c Strafgesetzbuch.
4. Sie sind gegen Feindesliebe, Vergeltungsverzicht und Versöhnungsbereitschaft? Nach dem Ende des 2. Weltkrieges versöhnten sich die Erzfeinde Deutschland und Frankreich. Dies war ein Akt der Feindesliebe zur Beendigung der Gewaltspirale. Was ist daran kritikwürdig?
5. Ist es nicht seltsam, dass die exzessiven Gewaltfantasien des ATs (Bsp.: 5. Mose 7) immer nur den Christen vorgeworfen werden, aber nicht den Juden, deren hebräische Bibel im Wesentlichen den alttestamentlichen Schriften entspricht? Stimmt es etwa nicht, dass in den Synagogen die Tora (also auch: 5. Mose 7) noch immer studiert wird? Warum sind ‚heilige Schriften’ mit Genozidfantasien bei Juden ok., bei Christen hingegen nicht? Was rechtfertigt die unterschiedlichen Beurteilungsmassstäbe? Philosemiten schwingen hier gerne – in Ermangelung überzeugender Argumente – die Antisemitismuskeule. Doch diesen Stiefel ziehe ich mir nicht an!
Es ist auffällig, dass Krawall-Atheisten reflexhaft die ‚Zähne fletschen’, wann immer etwas ‚Christliches’ ihren Weg kreuzt. Ist es nicht denkmöglich, gute moralische Konzepte (ohne Gottesbezug) zu würdigen, auch wenn diese von Christen erfunden wurden?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"1. Sie sind für Ethik, aber gegen Moral? Wie witzig! Ethik ist eine Teildisziplin der Philosophie und Moral ist ihr Gegenstand. Moral ist folglich keine religiöse Kategorie."
Schlicht falsch. Hier ein Satz aus Wikipedia, weil Sie mir ja gewiss nicht glauben: "Ethik beschreibt und beurteilt Moral kritisch". D. h. die Moral und ihre Aussagen werden von der Ethik beurteilt, ob sie für unser Leben taugen. Im Sprachgebrauch mag Moral nicht unbedingt religiös sein, aber von ihrer Herkunft her ist sie es gewiss.
"2. Sie sind ein bekennender Amoralist? Wen interessiert es? Wollen Sie mit Ihrer gottgleichen Selbstmitteilung fordern, dass Ihre amoralische Haltung für den Rest der Welt als vorbildlich gelten soll?"
Mit Göttern habe ich es nicht so. Nicht übertreiben. Aber natürlich dürfen Sie sicher weiterhin von Ihren Göttern beim Masturbieren beobachtet fühlen.
"3. Sie sind für Respekt, anstatt Nächstenliebe? In der Bibel wird die Nächstenliebe im Zusammenhang mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. 10) eingeführt. Ein Mensch fällt unter die Räuber, wird verletzt und benötigt Hilfe. Auf unsere Zeit übertragen bedeutet dies: Sie werden von einem Auto angefahren, sind verletzt und benötigen Hilfe. Verlangen Sie dann Respekt und verzichten auf Nächstenliebe??? Wow! Respekt!!! Der Gesetzgeber sieht es anders: §323c Strafgesetzbuch."
Es reicht also, wenn ich zu dem Verletzten sage: "Ich liebe dich!" Und dann? Wunderheilung? Martin Luther hatte eine spezifische Version der Nächstenliebe: Muslime töten, um sie von ihrem gottlosen Leben zu erlösen. Der Fall mit dem Verletzten lässt sich durch Empathie lösen, ein angeborenes Verhalten, dass keines "göttlichen" Auftrages bedarf.
"4. Sie sind gegen Feindesliebe, Vergeltungsverzicht und Versöhnungsbereitschaft? Nach dem Ende des 2. Weltkrieges versöhnten sich die Erzfeinde Deutschland und Frankreich. Dies war ein Akt der Feindesliebe zur Beendigung der Gewaltspirale. Was ist daran kritikwürdig?"
Ich kritisiere den Fernstenhass, den man genauso aus dem NT ableiten kann. Wie man für und gegen Sklaverei sein kann, für oder gegen (tragen sie was Beliebiges ein). Das ist die Selbstwidersprüchlichkeit der Texte, die aus politischen Gründen so formuliert wurden. Immerhin durfte man die Herrschenden so wenig verschrecken, wie die Rechtlosen und Armen.
"5. Ist es nicht seltsam, dass die exzessiven Gewaltfantasien des ATs (Bsp.: 5. Mose 7) immer nur den Christen vorgeworfen werden, aber nicht den Juden, deren hebräische Bibel im Wesentlichen den alttestamentlichen Schriften entspricht? Stimmt es etwa nicht, dass in den Synagogen die Tora (also auch: 5. Mose 7) noch immer studiert wird? Warum sind ‚heilige Schriften’ mit Genozidfantasien bei Juden ok., bei Christen hingegen nicht?"
Meine Karikatur bildet ja genau ab, was Sie meinen. Nur stützen sich christliche Theologen gerne auf das NT und weisen Kritik an ihrer Kirche, die auf dem AT basiert, ab. Daher habe ich mich auf den angeblich so menschenfreundlichen "Jesus" gestürzt, weil ich dessen Verherrlichung unerträglich finde.
"Philosemiten schwingen hier gerne – in Ermangelung überzeugender Argumente – die Antisemitismuskeule. Doch diesen Stiefel ziehe ich mir nicht an!"
Das freut mich zu lesen. Allerdings müssen Sie mir zugestehen, dass Ihr Text einen gewissen Anreiz in diese Richtung liefert.
"Es ist auffällig, dass Krawall-Atheisten reflexhaft die ‚Zähne fletschen’, wann immer etwas ‚Christliches’ ihren Weg kreuzt. Ist es nicht denkmöglich, gute moralische Konzepte (ohne Gottesbezug) zu würdigen, auch wenn diese von Christen erfunden wurden?"
Wenn mir mal ein Zähne fletschender Krawall-Atheist über den Weg läuft, werde ich ihn fragen. Bisher habe ich noch keinen getroffen. Aber selbstverständlich ist eine Position auch dann richtig, wenn sie von wem auch immer kommt. Jeder kann Richtiges oder Falsches sagen, meinen, verbreiten.
Das war aber nicht mein Punkt. Es geht darum, dass im NT ein "Gott" (als Trinität) vorgestellt wird, der am Text nachweisbar unethisch, aber moralisch ist. Bis heute durchdringt dieses moralische Denken unsere Gesellschaft. Ob es die Sexualmoral ist, der Umgang mit Kindern, Familie, anders Denkenden. Überall wird unsachlich hineinmoralisiert. Warum dürfen Schwule nicht einfach schwul sein? Und wenn sie heiraten wollen, warum sollen sie nicht heiraten? Und immer gerieren sich Kleriker so, als sei man etwas Besseres, weil man vier oder fünf Worte der Bibel gefunden hat, die etwas Erträgliches gemeint haben können.
"Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein" ist ein geflügeltes Wort. Doch was wirklich dahintersteckt an menschenverachtender Ideologie ist vielen nicht klar und Gläubige blenden es apologetisch aus. Das Christentum ist keine geeignete Grundlage für eine Gesellschaft. Um nicht mehr und nicht weniger geht es...
Thomas R. am Permanenter Link
"Im Sprachgebrauch mag Moral nicht unbedingt religiös sein, aber von ihrer Herkunft her ist sie es gewiss."
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yulo am Permanenter Link
Im 5. Absatz seines Textes schreibt der Autor Kammermeier, dass im Judentum das Prinzip des "geborenen Sünders" unbekannt sei und fügt hinzu: „Also auch einem Jesus.“. Im 6.
Nach verbreiteter Darstellung entstand das „Judentum“ und damit auch das „halachische Recht“ erst nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch die Römer im Jahr 70 unserer Zeitrechnung. Demnach kann das „halachische Recht“ bzw. die „Halacha“ der neutestamentlichen Jesusfigur nicht bekannt gewesen sein.
Ich bitte daher den Autor Kammermeier, in dieser Frage des „geborenen Sünders“ die konkreten halachischen Texte aus der Zeit der neutestamentlichen Jesusfigur mitzuteilen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Die Halacha ist Teil des Talmuds aus der Zeit vor der Zeitrechnung. Sie enthält die 613 Mizwot aus der Tora (ca. 6. Jh. v.u.Z.). Ab wann man das Judentum als Judentum auffasst, spielt hier keine Rolle.
Bzgl. der Texte zum "geborenen Sünder" muss ich leider - und darum ging es in meinem Bericht - enttäuschen. Der ist im Judentum unbekannt. Der geborene Sünder ist eine spätere Erfindung des Frühchristentums, um den biblischen Jesus als Erlöser von dieser Erbsünde (angeblich durch Adam und Eva verschuldet) zu begründen, was die Notwenigkeit seiner Anerkennung durch den "sündhaft geborenen" Menschen nach sich zog. Ohne Anerkennung Jesu Christi müsse man noch immer ein Sünder sein - der natürlich (weil gottesfern) in die Hölle müsste. Das war ein simpler Missionierungstrick, also Marketing.
Das Judentum hat im Wesentlichen nie missioniert. Noch heute sind die Bedingungen bei der Konversion ins Judentum extrem kompliziert. Aber die frühen Christen (die ja ehemalige Juden waren) haben im 1. Jh. u.Z. per Religionsevolution alle Instrumente entwickelt, um erfolgreich missionieren zu können. In der Tat spielte da der Brand des 2. Tempel die treibende Rolle. Wenn der Gottesdienst in Jerusalem nicht mehr möglich ist, dann muss man sich was Neues einfallen lassen: das Christentum.
Ein Jesus hätte also natürlich die 613 Mizwot gekannt, auch den Talmud und die Tora, aber auf keinen Fall das Konzept des "geborenen Sünders"...
yulo am Permanenter Link
1.
Der Text von Kammermeier enthält viele Aussagen, auf die eigentlich näher eingegangen werden müsste, z.b. die vielen Todesstrafen und Gräueltaten im Alten Testament bzw. der Hebräischen Bibel.
Nach dem LThK entstand der Talmud erst seit dem 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung.
Kammermeier schreibt in seiner Antwort vom 4.12., dass die Halacha Teil des Talmuds aus der Zeit vor der Zeitrechnung sei. Belege bleibt er schuldig. In allen seriösen Quellen habe ich nichts von einem Talmud „vor der Zeitrechnung“ gelesen. Ich warte also noch auf Nachweise für entsprechende, historische belegte Texte. Tanach ist dabei auch nicht mit Talmud zu verwechseln.
2.
„Jesus musste nun irgendwie als 'reiner sündenfreier Mensch' konstruiert werden"
Diese Konstruktion einer nach göttlichen Maßstäben sündlosen Jesusfigur (siehe z.B. die Textstellen Joh 8,46, 2 Kor 5,21, 1 Petr 2,22, 1 Jo 3,5, Hebr 4,15) wird allerdings bereits in dem hier zugrunde liegenden Text Joh 8,1-11 zerstört. Denn spätestens mit seiner Äußerung in Joh 8,11 „… Auch ich verurteile dich nicht. ..." hat die Jesusfigur die grundlegende Pflicht zum Gottesgehorsam missachtet. Denn offenbar lagen alle Grundlagen für eine tatsächliche Todesstrafe wegen Ehebruchs nach alttestamentlichem Gesetz vor. Damit ist die Jesusfigur selber ein Sünder nach biblischem Recht.
Das Neue Testament (NT) enthält noch weitere Berichte über eine „sündige“ Jesusfigur. An vielen Stellen im NT wird von der Jesusfigur und auch bei Paulus die so genannte „Naherwartung“ des endzeitlichen Gottesgerichts vertreten. Dieses endzeitliche Weltgericht ist aber bis heute nicht eingetreten. Diese Prophezeiung war also ganz offensichtlich falsch, es war eine Falschprophetie.
Diese im NT vielfach vertretene Auffassung führt dazu, dass die Personen, die diese „Naherwartung“ vertreten haben, nach den Gesetzen des Alten Testaments bzw. der hebräischen Bibel als Falschpropheten anzusehen sind, die sterben müssen. Beleg dafür ist Deuteronomium (5. Buch Mose) 18, 20-22:
„20 Doch ein Prophet, der sich anmaßt, in meinem Namen ein Wort zu verkünden, dessen Verkündigung ich ihm nicht geboten habe, oder der im Namen anderer Götter spricht, ein solcher Prophet soll sterben. 21 Und wenn du denkst: Woran können wir ein Wort erkennen, das der HERR nicht gesprochen hat?, 22 dann sollst du wissen: Wenn ein Prophet im Namen des HERRN verkündet und sein Wort sich nicht erfüllt und nicht eintrifft, dann ist es ein Wort, das nicht der HERR gesprochen hat. Der Prophet hat sich nur angemaßt, es zu sprechen. Du sollst dich dadurch nicht aus der Fassung bringen lassen.“ (Einheitsübersetzung 2016)
Christen sind also nach alttestamentarischem Gesetz auf einen Falschpropheten hereingefallen, der nach dem Gottesrecht zum Tode hätte verurteilt werden müssen.
3.
Die Jesusfigur erklärt die anklagenden Pharisäer nicht zu „geborenen Sündern“, davon ist gar nicht die Rede. Er sagt lediglich in Joh 8,7c "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie." Damit bringt die Jesusfigur lediglich ein Kriterium in die Diskussion, die im Gottesgesetz zum Ehebruch nicht vorgesehen ist. Die Pharisäer hätten sich diesem angeblichen „Argument“ der Jesusfigur also auch nicht beugen müssen.
In den folgenden zwei Evangelientexten (Matthäus und Markus) ist das Konzept des „geborenen Sünders“ bereits deutlich erkennbar. Im Menschen wirken demnach Kräfte, die ihn „unrein“, also „sündig“ machen:
Mt 15,19 Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugenaussagen und Lästerungen.
Mk 7,20-23 "Weiter sagte er: Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. 21 Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, 22 Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. 23 All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein."
Ähnliches wird aber in Genesis (1. Buch Mose) 6,5 aus dem AT gesagt:
Gen 6,5 "Der HERR sah, dass auf der Erde die Bosheit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war."
Gen 6,11-13 "Die Erde aber war vor Gott verdorben, die Erde war voller Gewalttat. 12 Gott sah sich die Erde an und siehe, sie war verdorben; denn alle Wesen aus Fleisch auf der Erde lebten verdorben. 13 Da sprach Gott zu Noach: Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist gekommen; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat. Siehe, ich will sie zugleich mit der Erde verderben."
Hier spricht ein angeblicher Schöpfergott, der als „Schöpfer“ allerdings ganz allein für alle Eigenschaften seiner „Produkte“ verantwortlich ist, dies aber nicht wahrhaben will. Das ist der Kernpunkt.
Diese Verantwortlichkeit Gottes (im Rahmen des biblischen Denkens) wird im öffentlichen Diskurs fast immer grundsätzlich ausgeklammert. Nach der Genealogie, also der Geschlechterfolge in Genesis (1. Buch Mose) 5 nach der angeblichen „Schöpfung“ hatte Gott mindestens 1.500 Jahre Zeit, eine Entwicklung aller „Wesen aus Fleisch“ zur totalen Bösartigkeit zu verhindern. Was hat er getan? NICHTS. Stattdessen exekutiert er einen Mord an allen lebenden Wesen außerhalb des Wassers, also auch einen Menschheitsmord.
Das neutestamentliche Konzept der Sündhaftigkeit der Menschen (der „geborene Sünder“) fällt ebenfalls auf den angeblichen Schöpfergott zurück. Denn er stellt sich selbst damit ein miserables Zeugnis aus, weil er ja selber als angeblicher Schöpfer ganz allein für alle Eigenschaften der Menschen selber verantwortlich ist. Dieses Konzept des „geborenen Sünders“ ist genauso ein Totalbankrott des Schöpfergottes wie der Menschheitsmord der „Sintflut“.
Wo gibt es hier irgendeine Form von „Ethik“?
Wer als Gott einen Menschheitsmord begeht, der ist aus jeglicher ethischen Diskussion auszuschließen. Das ist die eigentliche Lehre.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"1.
Nach dem LThK entstand der Talmud erst seit dem 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung.
Der Talmud ist sicher nicht identisch mit dem Tanach, aber er ist eine Art Zusammenfassung von Teilen des Tanach. Im Wesentlichen der Mischna, die als Teil der Tora auch ein Teil des Tanach ist, also auf jeden Fall v.u.Z. entstanden. Die zweite Schicht des Talmud ist die Gemara, die die Mischa kommentiert. Strenggenommen ist der Talmud erst nach unserer Zeitrechnung verschriftet worden, aber sein Inhalt entstammt dem Tanach. Aber Sie haben Recht, ich werde hier in Zukunft deutlicher argumentieren.
"2.
„Jesus musste nun irgendwie als 'reiner sündenfreier Mensch' konstruiert werden"
Diese Konstruktion einer nach göttlichen Maßstäben sündlosen Jesusfigur [...] wird allerdings bereits in dem hier zugrunde liegenden Text Joh 8,1-11 zerstört. Denn spätestens mit seiner Äußerung in Joh 8,11 „… Auch ich verurteile dich nicht. ..." hat die Jesusfigur die grundlegende Pflicht zum Gottesgehorsam missachtet. Denn offenbar lagen alle Grundlagen für eine tatsächliche Todesstrafe wegen Ehebruchs nach alttestamentlichem Gesetz vor. Damit ist die Jesusfigur selber ein Sünder nach biblischem Recht."
Die Perikope stellt klar, dass "Jesus" die Ankläger für Sünder hält und sie DESHALB nicht steinigen dürfen. Ihm selbst wurde ein Satz in den Mund geschrieben, der ihn - was "Johannes" Absicht war - außerhalb der menschlichen Sündhaftigkeit stellt, und deshalb "sagt": "Auch ich (obwohl sündenfrei) steinige dich nicht." Er verurteilt nämlich das Verhalten der Frau durchaus, denn er fordert sie auf, künftig nicht mehr zu sündigen. Wäre er einverstanden mit ihrem Verhalten, dann hätte er sie sowieso nicht verurteilt, was er aber macht. Er steinigt sie nur nicht, obwohl er dies als reiner Mensch (= Gott) könnte.
"Das Neue Testament (NT) enthält noch weitere Berichte über eine „sündige“ Jesusfigur."
Sie fallen hier auf die unterschiedlichen Sichtweisen der einzelnen Monotheismen herein. Natürlich ist das Verhalten der jeweils anderen immer falsch oder sündig. Das ist ja die Ursache für über 2.000 Jahre Religionskrieg. Das Christentum sah seinen "Jesus" immer als rein geborenen und sündenfreien Menschen, so wie Muslime "Mohamed" als vollkommenen Menschen ansehen.
"3.
Die Jesusfigur erklärt die anklagenden Pharisäer nicht zu „geborenen Sündern“, davon ist gar nicht die Rede. Er sagt lediglich in Joh 8,7c "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie." Damit bringt die Jesusfigur lediglich ein Kriterium in die Diskussion, die im Gottesgesetz zum Ehebruch nicht vorgesehen ist. Die Pharisäer hätten sich diesem angeblichen „Argument“ der Jesusfigur also auch nicht beugen müssen."
Also setzte "Jesus" die Ehebrecherin der Gefahr aus, dass sich einer der Pharisäer als sündenfrei sieht und Steine wirft? Was für einen Sinn macht das und vor allem: Welches Licht würde das auf "Jesus" werfen, da dieser ja dann noch unethischer wäre, als wenn er die Genehmigung zum Steinewerfen von der angeborenen (also unentrinnbaren) Sündhaftigkeit aller Menschen abhängig machte?
"In den folgenden zwei Evangelientexten (Matthäus und Markus) ist das Konzept des „geborenen Sünders“ bereits deutlich erkennbar."
Das Johannes-Evangelium ist nach einhelliger Meinung aller Theologen das deutlich ältestes. Sicher Anfang des 2. Jh. entstanden. Das heißt, "Johannes" war sich nicht nur des Konzeptes des geborenen Sünders bewusst, er vergöttlichte die Jesusfigur auch wie keiner der Synoptiker.
"Dieses Konzept des „geborenen Sünders“ ist genauso ein Totalbankrott des Schöpfergottes wie der Menschheitsmord der „Sintflut“.
Wo gibt es hier irgendeine Form von „Ethik“?
Wer als Gott einen Menschheitsmord begeht, der ist aus jeglicher ethischen Diskussion auszuschließen. Das ist die eigentliche Lehre."
Das ist meine Grundposition. Daher bezweifele ich eine Ethik der Jesusfigur, weil letzten Endes die moralischen Grundsätze des AT übernommen und teilweise sogar noch verschärft wurden. Der Tod - mit anschließender Sortierung der "Seelen" - ist das primäre Motiv des Christentums, auch wenn "Jesus" angeblich "Weg, Wahrheit und Leben" sein soll. Sein Gruselfix in allen Kirchen zeugt davon. Hier ist nichts Lebendiges; es ist ein morbider, toter "Gott", dessen Klerus viele Jahrhunderte mit Angst regierte...