EKD will nach 500 Jahren Protestantismus endlich gegen Antisemitismus vorgehen

Der Balken in deinem Auge

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Aufkleber in Frankfurt/M.
Aufkleber in Frankfurt/M.

In einer Pressemitteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom 18. Oktober wird die Berufung eines Antisemitismus-Beauftragten bekanntgegeben. Der Titel: "Judenfeindschaft und christlicher Glaube schließen einander aus". Eine steile These angesichts der Fakten, selbst wenn man das Neue Testament und die Zeit der römisch-katholischen Alleinherrschaft abzieht.

"Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat auf seiner Sitzung in Hannover erstmals einen 'Beauftragten für den Kampf gegen Antisemitismus' berufen", heißt es in dem Text. Ein begrüßenswerter Schritt der EKD, denn leider sind die Zeiten so, dass dies notwendig ist. Doch wo engagiert sich der Berliner Theologe Christian Staffa, dem dieses Amt übertragen wurde? "Nicht erst der zutiefst beschämende Anschlag von Halle hat das bedrohliche Ausmaß antisemitischer Gewaltbereitschaft gezeigt", verrät uns EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm. Offenbar sieht er den Balken im eigenen Auge nicht. Oder ist Antisemitismus wirklich nur ein Problem vereinzelter Wirrköpfe, die aktuell glauben, Aufwind zu haben, wenn sie einer vermeintlichen politischen Alternative nacheifern? "Zu den Aufgaben des Beauftragten gehört die Unterstützung der Kirchenleitungen bei ihren Anstrengungen im Kampf gegen Antisemitismus", heißt es weiter in dem Pressetext. Bedford-Strohm präzisiert: "Antisemitismus widerspricht allem, wofür das Christentum steht."

Meinte der Ratsvorsitzende das gleiche Christentum, dessen grundlegendes Buch das Neue Testament ist, als dessen Religionsstifter Jesus Christus genannt wird und zu dessen Begründern Paulus gehören soll? Dieses Christentum soll glaubhaft gegen Antisemitismus kämpfen? Sicher, Jesus Christus wurde als Jude geboren, wie Martin Luther bereits 1523 feststellte. Und doch übersetzte jener Luther dem gleichen Jesus in den Mund: "Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach eures Vaters Begierden wollt ihr tun." (Joh 8,44, nach der Lutherbibel 2017)

Gegen wen wandte sich dieser Jesus? Gegen Wirrköpfe, die Synagogen angreifen? Nein, dieser Jesus agitierte gegen die Juden. Da sich diese negative Sicht auf das semitische Volk wie ein roter Faden durch das Neue Testament zieht, könnte man schlussfolgern, dass Jesus der erste christliche Antisemit gewesen sei, hätte es damals schon ein Christentum gegeben. Laut dem erst viele Jahrzehnte später entstandenen Neuen Testament hätten Juden ihre Schuld als Christusmörder sogar eingestanden. "Da antwortete alles Volk und sprach: 'Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!'" (Mt 27,25) Wenn das keine Bestätigung ihrer Verderbtheit ist. Jedenfalls beeinflussten diese und viele weitere Textstellen im Neuen Testament die Adversus Iudaeos-Literatur, also Werke gegen die Juden, die einen großen Einfluss auf die christliche Volksfrömmigkeit nahmen – sprich auf den christlichen Antisemitismus.

Auch wenn dies gerne verharmlosend als "Antijudaismus" bezeichnet wird, handelt es sich nicht um bloße theologische Unstimmigkeiten, die Gelehrte untereinander ausdiskutieren könnten. Das hat auch kaum ein Christ so verstanden, seit 381 unserer Zeitrechnung das Christentum Staatsreligion wurde und die Macht errang. Seine Anhänger praktizierten dessen Antisemitismus mit gnadenloser Freude: durch Pogrome und blutige Verfolgung jüdischer Gemeinden im nun christlichen Abendland, durch Ausgrenzung und Stigmatisierung der "Christusmörder". Viele Kirchenväter und Päpste schütteten in der Folge Öl ins lodernde Feuer dieses Judenhasses – und entzündeten manche Synagoge und manchen Scheiterhaufen.

Selbst theologisch einander näherstehende Gruppen, wie Katholiken und Protestanten, bezeugen durch anhaltende Feindschaft (siehe den Dreißigjährigen Krieg oder den Nordirland-Konflikt), was tiefe theologische Differenzen bewirken, wenn sie Gesellschaften und Familien durchdringen und spalten. Noch vor zwölf Jahren nannte Bischof Wolfgang Huber die offizielle Nichtanerkennung der evangelischen Kirchen durch Papst Benedikt XVI. laut welt.de "ökumenisch brüskierend". Wieviel schrecklicher wirkten sich dann theologische Differenzen zwischen monotheistischem Judentum und trinitarischem Christentum aus? Das schließt ja nicht aus, dass sich immer wieder Einzelpersonen beschwichtigend einmischten oder Freundschaften zu Juden pflegten. Doch dies waren rare Ausnahmen, die eher die bittere Regel bestätigten.

Gerade Martin Luther, der Mitbegründer der Reformation, die jedoch nach der Trennung von West- und Ostkirche zur erneuten Kirchenspaltung führte, schlug verbal nicht nur auf die Papstkirche ein. Sogar seine reformatorischen Brüder in der Schweiz griff er an. Aber am liebsten hetzte er in bester christlicher Manier gegen Juden und Muslime, weil alle den rechten Weg zu Gott verlassen hätten – seinen Weg, wie er oft genug klarstellte. So schrieb er während 23 Jahren seines Lebens viele Schmähschriften gegen die Konkurrenten des Christentums und riet 1543 seiner Obrigkeit zu einem Sieben-Punkte-Programm zur Vernichtung des deutschen Judentums, das er "scharfe Barmherzigkeit" nannte. Dargelegt in seiner Schmähschrift "Von den Juden und ihren Lügen".1

Bedford-Strohms Aussage ist theologisch und historisch grundfalsch

Luther verehrte die Juden Jesus und Paulus, die im Neuen Testament antijüdisch sprechen und schreiben sowie Augustinus von Hippo, der während des ersten Ausschwungs des Christentums lebte und über die Juden schrieb, "in euren Vätern habt ihr Christus getötet." Er nannte sie "bösartig, wild und grausam", beschimpfte sie als "zu Essig ausgearteten Wein der Propheten", als "eine triefäugige Schar" oder als "aufgerührten Schmutz". Da erwies sich Luther wahrlich als gelehriger Schüler, der seinen Meister allerdings noch übertraf und alles ausschöpfte, was die deutsche Fäkalsprache hergab. Außerdem ließ der Doktor der Theologie die alten Brunnenvergifter- und Ritualmordlegenden sowie den angeblichen Hostienfrevel durch Juden wieder aufleben. Darüber hinaus hat der hochberühmte Übersetzer der Bibel sein Werk – wie die jüdische Germanistin und Übersetzerin Miriam Magall nachwies – an sehr vielen Stellen judenfeindlich verfälscht. Dazu ein Beispiel aus der Jüdischen Rundschau: "Von den insgesamt 150 Psalmen sind in Luthers Psalter lediglich zwei (!) frei von polemischen oder abwertenden Aussagen über die Juden oder die Synagoge (Ps 97 und 112)."

Es fehlt hier der Platz, die ganze Geschichte des antisemitischen Christentums auszuführen. Daher sei auf das kleine Büchlein "Von Golgatha nach Auschwitz"2 verwiesen, das die christliche Judenfeindschaft bis 1945 ausführlich dokumentiert. Erst nach dem zweiten Weltkrieg, als Deutschland zwangsdemokratisiert wurde, passte sich die neu gegründete EKD dem neuen Geist an und demokratisierte auch die evangelischen Landeskirchen, die sich unter ihrem Dach zusammenschlossen. Zumindest wurden sie demokratischer als die katholische Kirche. Leider vergaß man, sich im Oktober 1945 im "Stuttgarter Schuldbekenntnis" zur unermesslichen Schuld an den Juden zu bekennen: "Aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben."

Trotzdem soll heute niemand die EKD in die Nähe von Antisemitismus rücken, auch wenn – als pikante Note – deren revidierte Lutherbibel 1975 (!) eine Paulus-Stelle judenfeindlich verfälschte: "Im Hinblick auf das Evangelium sind sie (die Juden) zwar Feinde um euretwillen, aber im Hinblick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen." (Rom 11,28) Dies wurde zu: "Im Hinblick auf das Evangelium sind sie (die Juden) zwar Feinde Gottes …" Die Juden als Feinde Gottes? 1975? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Erst die nächste Revision 1984 hat diese antisemitische Verfälschung, die diesmal weder Paulus noch Luther zu verantworten hatten, bereinigt. Hätte also Bedford-Strohm geäußert: "Antisemitismus widerspricht allem, wofür die EKD steht – bis auf kleine Ausnahmen", dann hätte man ihm folgen können. Doch die Aussage "Antisemitismus widerspricht allem, wofür das Christentum steht" ist theologisch und historisch grundfalsch. Das Christentum war immer antisemitisch, auch immer in einem völkischen Sinne, denn Juden wurde misstraut, selbst wenn sie konvertierten. "Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams." Das sprach Martin Luther, überliefert in der Tischrede Nummer 1795.

"Die Einrichtung der Beauftragung bringe zum Ausdruck, dass die evangelische Kirche unverrückbar an der Seite ihrer jüdischen Schwestern und Brüder stehe. Sie mache aber auch deutlich, dass die evangelische Kirche nicht zuletzt aus der Verantwortung für eigenes jahrhundertelanges Versagen jeder Form von Judenfeindschaft und Verachtung wachsam gegenübertreten werde." – Hätte dieser Satz am Schluss der Pressemitteilung gestanden, wäre nichts daran auszusetzen gewesen. Eventuell noch ergänzt mit einer deutlichen Distanzierung von einem der größten Hassprediger und Antisemiten, auf den sich bis heute lutherische Gemeinden und die EKD beziehen.

Doch Bedford-Strohm sah sich bemüht, dann noch eine Begründung für den Antisemitismus-Beauftragten nachzuschieben, die falscher kaum sein könnte: "Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus." Schließlich gibt es den christlichen Glauben nicht erst seit 1945. Außerdem nutzt er bis heute ein nachweislich antisemitisches Buch für seine Predigten: das Neue Testament. Wäre es nicht an der Zeit, dass die EKD nicht nur nach Wirrköpfen mit alternativen politischen Ideologien Ausschau hält, sondern den Balken im eigenen Auge entfernt und den christlichen Glauben einer Rundumerneuerung unterzieht?

Ob das Ergebnis dieser echten Reform noch Gläubige anlocken würde, darf kein Kriterium sein. Eine in ihrem Quelltext antisemitische Ideologie, die erst durch gesellschaftlichen Druck ein wenig demokratischer wurde, sollte in dieser Form nicht in einem modernen Rechtsstaat bestehen. Es gibt zu viele christliche und evangelikale Fundamentalisten, die zur Begründung ihres Judenhasses nur in die Bibel schauen müssen. Dabei schließen sie sich mit chauvinistischen und nationalistischen Rechten zusammen, um gegen die angeblichen Christusmörder mobil zu machen. Dürften wir dann immer noch von vereinzelten Wirrköpfen sprechen?


  1. Martin Luther: Von den Juden und ihren Lügen, Band 1 einer dreibändigen Neuedition judenfeindlicher Schriften Martin Luthers, Alibri, 2016 – 2018 ↩︎
  2. Dr. Reinhold Schlotz: Von Golgatha nach Auschwitz, Alibi 2016 ↩︎