BERLIN. (hpd) Menschenrechte sind universelle Individualrechte und dürfen weder ideologisch missbraucht noch kulturbezogen relativiert werden. Jan M. Kurz, Bundesbeirat der Partei der Humanisten, über die Entstehung, Bedeutung und Auslegung der UN-Menschenrechtscharta.
Wir messen der aus tiefgreifender Tradition von Humanismus und Aufklärung entwickelten allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen, verkündet am 10. Dezember 1948, eine zentrale Bedeutung zu. Wenngleich auch nicht völkerrechtlich bindend, dienen uns ihre 30 Artikel in vielen Fällen als politische und soziale Basisrichtlinie. Obwohl das Konzept der Menschenrechte für sich betrachtet sehr einfach verständlich und unter aufgeklärten Menschen problemlos konsensfähig ist, kommt es bei der Frage nach ihrem Gültigkeitsbereich und der Art ihrer ethischen Begründung dennoch regelmäßig zu Missverständnissen oder gar absichtlichen Falschdarstellungen. Insbesondere letztere sollen entweder als Begründung für ideologische Einstellungen herhalten, oder den Nutzen der Menschenrechte allgemein kleinreden und damit ihre Verstöße legitimieren. Sehr weit verbreitet sind zwei gegensätzliche Fehlannahmen betreffend dieser zivilisatorischen Errungenschaft.
Erstens die Annahme, dass die Menschenrechte einem kulturellen Relativismus unterworfen seien und deshalb prinzipiell überhaupt keine universelle Gültigkeit beanspruchen könnten:
"Aber die Menschenrechte sind doch nur eine willkürliche Erfindung des Westens, an denen man andere Kulturen nicht messen kann. Wer sind wir, die Leute in Nordkorea, Saudi-Arabien oder im Iran zu verurteilen, nur weil sie diesen Werten einen geringeren/keinen Stellenwert beimessen?"
Zweitens die gegenteilige Ansicht, dass eben diese Rechte völlig unabhängig von externen Entscheidungsfaktoren und Konsequenzen in Stein gemeißelt und absolut, also in gewisser Hinsicht heilig seien:
"Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Deshalb ist jede Form des Freiheitsentzugs, der Tötung oder des militärischen Kampfeinsatzes ein unmittelbarer Verstoß gegen die Menschenrechte."
Das Missverständnis der zweiten Art ist leichter nachvollziehbar und ergibt sich zum Teil aus der knappen, stark vereinfachten und im Indikativ verfassten Formulierungsweise der meisten der insgesamt 30 Artikel. In dieser Hinsicht ähnelt die Charta stilistisch tatsächlich sogar ein klein wenig den altertümlichen und imperativen 10 Geboten des Christentums. Daraus folgt aber nicht, dass diese Aufforderungen und Vorschläge deshalb in gleichem Sinne dogmatisch zu verstehen seien.
Die Art der Darstellung hängt nämlich eng mit ihrem historischen Hintergrund zusammen. Eleanor Roosevelt und die anderen führenden Köpfe der Charta-Verhandlung hatten ursprünglich vor, einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag für alle UN-Mitglieder aufzustellen. Daher sind die einzelnen Artikel auch entsprechend einfach und starr formuliert und erinnern im Wortlaut an eine klassische Vertragsethik (Fachwort: Kontraktualismus). Sinn und Zweck dieser einfachen und undifferenzierten Sätze war damals dafür zu sorgen, dass die bereits heftig zerstrittenen Verhandlungsfraktionen (Ost-West-Konflikt) sich wenigstens auf diese 30 simpel formulierten Artikel als bloße Rechtsempfehlung würden einigen können, was letztlich auch gelang. Tiefgreifende Differenzierungen, wann, wie, in welchem Kontext und unter welchen Bedingungen welche Rechte für welche Individuen ihre Gültigkeit uneingeschränkt beanspruchen dürfen oder auch nicht, ließen sich wegen der schwer angespannten Lage am internationalen Verhandlungstisch nicht sinnvoll klären. Deshalb lassen sich die Menschenrechte auch am heutigen Tage rein grammatisch viel dogmatischer lesen, als sie eigentlich gemeint sind.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sämtliche Menschenrechte vorsätzlich als reine Individualrechte ausgearbeitet wurden. Das zeigt sich bereits überdeutlich darin, dass fast alle Artikel mit dem Wort "Jeder [einzelne Mensch]" eingeleitet werden. Es liegt in der Natur der Sache eines jeden Individualrechts, dass seine vorerst grundsätzliche Gültigkeit für den Träger dort und dann eingeschränkt wird, wo und wann gleichbedeutende oder höher gewichtete Rechte anderer Personen nachweislich verletzt werden. Ganz nach dem Motto: gegen Intoleranz darf es keine Toleranz geben.
Wenig verwunderlich ist genau das in jedem Rechtsstaat dieser Erde gängige Praxis und das gesamte Strafvollzugssystem würde anders gar nicht funktionieren. Ein Mörder, der das Recht auf Leben eines anderen Menschen unwiderruflich zerstört, büßt daraufhin in aller Regel sein eigenes Recht auf Freiheit mindestens zeitweilig ein. Ein Terrorist, der ein Dutzend Personen auslöscht, verliert sein eigenes Recht auf Leben, sobald er auf der Flucht seine Waffe gegen die ihn verfolgenden Polizeikräfte erhebt. Das Recht auf Sicherheit der Person ist für die Angehörigen marodierender Terror-Milizen und allerlei blutrünstige Diktatoren ebenfalls stark eingeschränkt, sobald NATO-Flugzeuge oder Drohnen am Himmel auftauchen. All diese Handlungen widersprechen nur dann den Menschenrechten, wenn man gänzlich ausblendet, dass die eigenen Freiheiten und Rechte dort enden, wo die der anderen Individuen verletzt oder zerstört werden. So wäre es beispielsweise nicht im Sinne der Macher der Menschenrechte, die Charta nur aufgrund ihrer etwas unglücklichen Formulierungsweise als dogmatische Rechtfertigung für einen Extrempazifismus zu missbrauchen, der die Nöte und Rechte anderer von Angst und Leid betroffener Menschen ausblendet, nur weil es so bequemer ist, wie es im sozialistischen politischen Lager gerne getan wird.
Das Missverständnis der ersten Art, der Kulturrelativismus, basiert dagegen schlichtweg auf einer nicht-naturalistischen philosophischen Grundlage. Vertreter dieser Denkrichtung gehen davon aus, dass ethische Begriffe und Normen nicht universell sein können und immer an eine jeweilige Kultur geknüpft seien. Aus dieser Sicht würden Menschenrechte daher nicht universell gelten, sondern wären ein reines Produkt "westlicher Kultur", das für andere Kulturen wenig Relevanz hätte. Der Relativismus ist gleich in dreierlei Hinsicht unsinnig.
Zum ersten deshalb, weil sich die Menschenrechte gemäß ihrer festgelegten Vertragsethik nur auf Individuen beziehen und nicht auf Kollektive wie Bevölkerungsgruppen, Kulturen oder Staaten. Selbst wenn ein Kulturrelativismus Gültigkeit hätte, so dürfte er die Rechte einzelner Menschen nicht tangieren. Indem der Relativismus dies ignoriert und Menschen aufgrund der ihnen per Herkunft zugeschriebenen Kultur den Anspruch auf bestimmte ethische Prinzipien und Rechte verweigern will, erweist er sich außerdem als ziemlich rassistisch.
Zum zweiten ist diese Philosophie unwissenschaftlich, da sie die modernen Erkenntnisse der Soziobiologie, der Psychologie und Neurologie zur Aufrechterhaltung ihrer völkisch-kollektiven Ansichten völlig ausblendet. Der universalistische Anspruch der Menschenrechtserklärung lässt sich ohne Probleme im Rahmen einer Humanismus-konformen und wissenschaftlichen Vorteilsethik (Fachwort: Utilitarismus) begründen und für alle Menschen unabhängig ihrer biologisch oder kulturellen Merkmale einfordern.
Der dritte Einwand ist weniger praktischer, als viel mehr rein philosophischer Natur, aber strenggenommen stellt er sogar das unmittelbarste Gegenargument dar. Bereits von seinen eigenen Prinzipien her kann der Kulturrelativismus keinen Anspruch auf allgemeine Anerkennung erheben, da er aus seiner eigenen Sichtweise heraus selbst nur eine spezifische Denkströmung einer einzelnen Kultur, nämlich "des Westens" wäre, und somit seine eigene Allgemeingültigkeit ablehnen müsse. Weil er aber trotzdem einen universellen Anspruch erhebt, macht ihn das logisch inkonsistent.
Es zeigt sich somit nach diesen Betrachtungen, dass die wichtige zivilisatorische Errungenschaft der universellen Menschenrechte weder durch das Diktat eines vermeintlichen Relativismus gebrochen werden kann, noch mit pflichtethischen Rechtsvorstellungen und religiösen Wahrheitsansprüchen in einen Topf geworfen werden kann. Wie der moderne Humanismus selbst finden sie sich jenseits der altertümlichen Grenzen von Dogmatismus und Relativismus wieder, um allein dem Menschen zu dienen.
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schön ausformuliert - besonders das philosophische Argument im zweitletzten Absatz ("logisch inkonsistent"); danke!
Volker Huss am Permanenter Link
So einfach ist das nur für jemanden, der das ( westliche) Primat des Individuums so sehr internalisiert hat, daß er sich schon gar nicht mehr vorstellen kann, daß andere Kulturkreise, z.B.
MfG
Huss
MaximilianM am Permanenter Link
Das sogenannte Primat des Individuums beschränkt sich bei den Menschenrechten ist auf wenige existentielle Zusicherungen, die jedem Individuum zugestanden werden sollten, von dem man einen Beitrag zu einem Kollektiv v
Bei den Menschenrechtsdialog ist das Problem wohl eher, das man in China nicht versteht, das die Menschenrechte Ergebnis einer langen Entwicklung sind, an deren Anfang eine Gesellschaft stand die der chinesischen sehr ähnlich war. Abgesehen davon gibt es auch eine chinazentrische Arroganz, die China immer noch als Mittelpunkt der Welt sieht, die dazu führt das man jede sogenannte westliche Idee ablehnt, weil man in China ja ganz anders sei.
valtental am Permanenter Link
"die modernen Erkenntnisse der Soziobiologie, der Psychologie und Neurologie" und die "wissenschaftliche Vorteilsethik" sollten in einem weiteren Beitrag näher ausgeführt werden.