Warum in Forschung investiert werden muss

Forschung für ein Almosen

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BERLIN. (hpd/pdh) Aus einer empirisch-historischen Sichtweise heraus lässt sich selbst ohne übertriebenes Pathos mit Fug und Recht behaupten, dass Grundlagenforschung auf dem Feld der Naturwissenschaften zunächst einmal den direkten Grundstock für jeglichen technologischen Fortschritt legt und in Folge dessen die Basis für die Entwicklung moderner industrieller Gesellschaften und deren wirtschaftlichen Wohlstand schafft.

Insbesondere die angewandten Wissenschaften sind heute mehr denn je das erste Mittel der Wahl, um die Menschheit von ihren Sorgen, Nöten und (teils selbstverschuldeten) Problemen zu befreien.

Die Liste bedeutsamer Erfindungen seit Anbeginn der Menschheit ist so lang und umfangreich, dass eine Auflistung hier jeden Rahmen sprengen würde und reicht von der Entwicklung des Bieres über Papyrus über die Dampfmaschine und Antibiotika bis zum Internet und Quantencomputern. Unzählige Schlüsselwerkzeuge der Zivilisation wurden im intellektuellen Elfenbeinturm erdacht und entwickelt. Angesichts dieser einfachen Tatsache sollte man annehmen dürfen, dass die Finanzierung und Förderung von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Wissenschaft aus der öffentlichen Hand, für einen modernen und hochtechnisierten Industriestandort wie Deutschland, oberste Priorität genießt. Doch ist dieser einleuchtende Gedanke weit gefehlt, wie im Folgenden anhand der Finanzsituation des zweitgrößten Leibniz-Forschungsinstitutes in Deutschland exemplarisch verdeutlicht werden soll.

Das Leibniz-Institut

Zu einem Teil finden grundlegende Forschungsvorhaben im Dienste der Öffentlichkeit in Universitäten und Fachhochschulen statt, der überwiegende Output wird jedoch von staatlichen Forschungseinrichtungen und Verbänden erbracht. In Deutschland gibt es fünf solcher großen Dachverbände wie beispielsweise die Max-Plack-Gesellschaft und die Leibniz-Gemeinschaft. Teilweise sind die einzelnen Dependancen und Institutionen dieser Organisationen auch formal selbstständig, so zum Beispiel das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Sachsen-Anhalt.

Das vergleichsweise große Institut mit 605 Mitarbeitern forscht hauptsächlich zu Fragen der nationalen und globalen Nahrungsmittelversorgung, nachwachsenden Rohstoffen und Energieträgern, Folgen des Klimawandels und zu möglichen Verbesserungen pflanzlicher Leistungsfähigkeit. Zur Verfolgung dieser Ziele ist es dem IPK als einem von nur wenigen Wissenschaftsbetrieben in Deutschland erlaubt neben klassischen Methoden der Züchtungskunde auch gentechnisch veränderte Nutzpflanzen zu erzeugen und in kontrolliertem Rahmen in Gewächshäusern und auf Versuchsfeldern anzubauen.

Es überrascht daher sicher nicht, dass auch diese Einrichtung in der Vergangenheit bereits mit ideologisch motivierten Einbrüchen und Vandalismus in sechsstelliger Schadenshöhe zu kämpfen hatte.

Als eine weitere Besonderheit beherbergt das Institut die größte Genbank für Agrar- und Nutzpflanzen Europas in der 151.000 Muster von 3212 Arten gespeichert sind. Sinn und Zweck davon ist es die genetische Vielfalt von dem Menschen nützlichen Pflanzen zu bewahren, um aus diesem Speicherrepertoire durch Zucht und Modifikation bei Wunsch und Bedarf jederzeit geeignete Sorten gewinnen zu können um oben genannte Ziele zu verwirklichen.

Wer den Science-Fiction Film "Interstellar" (2014) kennt, hat vielleicht einen (überzeichneten) Eindruck davon, was bei einer mangelnden genetischen Diversität von Nutzpflanzen in einem worst case Szenario theoretisch mit der globalen Nahrungsversorgung geschehen könnte, schließlich ernähren sich 80% der Weltbevölkerung direkt oder indirekt von lediglich sechs verschiedenen Pflanzenspezies.

Es zeigt sich somit, dass insbesondere angesichts des Klimawandels und eines bis zum Jahre 2050 exponentiell weiter ansteigenden Nahrungsmittelbedarfs der Menschheit die Arbeit des IPK in Deutschland, Europa und der Welt von nicht geringem Interesse sein kann. Und man sollte meinen, dass die größte Samenbank Europas eine ausreichende Finanzierung durch den Staat erfahren würde dem sie gehört – aber Fehlanzeige.

Finanzierung der Forschung in Deutschland

Der Leibniz-Gemeinschaft steht insgesamt ein jährlicher Etat von 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Diese Summe wird nicht direkt an die Muttergesellschaft ausgeschüttet, sondern bemisst sich für die einzelnen Mitgliedsinstitute separat und variiert daher auch in ihrer anteiligen Auszahlung von Bund und Ländern. 1,5 Mrd. Euro pro Jahr klingt nun zunächst wirklich nicht nach einer kleinen Summe wenn man bedenkt, dass es auch noch vier weitere Forschungsverbände gibt die vergleichbare jährliche Zuwendungen erhalten. Man muss aber berücksichtigen, dass alleine die Leibniz-Gemeinschaft aus 89 (!) Instituten besteht, auf die sich dieses Geld aufteilt.

Pro Einrichtung sehen die Werte dann ganz anders aus. Als zweitgrößtes Institut erhält das IPK jährlich 30 Millionen Euro zur Unterhaltung seiner Tätigkeiten – das hört sich nun schon nicht mehr ganz so beeindruckend an. Die Hälfte dieses Betrages wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung übernommen, die andere Hälfte unterhält das Land Sachsen-Anhalt. Zusätzlich treiben die dort beschäftigten Wissenschaftler über Drittmittel, das heißt private oder unternehmerische Sponsoren und Investoren sowie externe Forschungsaufträge noch einmal weitere 11 Mio. Euro ein. Und eben das ist der entscheidende Punkt, denn die jährlichen 30 Mio. reichen für die vollständige Finanzierung der Einrichtung gar nicht aus. Es ist völlig normal, dass staatliche Wissenschaftsorganisationen dazu angehalten sind möglichst hohe zusätzliche Förderungen und Einnahmen zu generieren. Das darf aber nicht dazu führen, dass der Grundhaushalt von Bund und Ländern absichtlich zu knapp kalkuliert wird um Kosten zu sparen.

Denn bereits mehr als 20 Mio. Euro entfallen alleine auf die Gehälter der Mitarbeiter und Forscher im öffentlichen Dienst, während der Rest des staatlichen Unterhalts für Wasser-, Material- und Energiekosten draufgeht. Und das wohlgemerkt obwohl sich das Institut in einer dauerhaften Phase des Ausbaus und der Expansion befindet, die Genbank stets erweitert und vergrößert und weitere Nutzflächen und Ackerböden sowie laufend bessere technische Geräte benötigt. Ohne die eingeworbenen Drittmittel könnte die Organisation zwar stagnierend auf armem Niveau in Jahresroutine wenig produktiv vor sich hin existieren (bis die Inflation einen Strich durch die Rechnung macht), aber keineswegs seine wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufgabe vollumfänglich und hochqualitativ erfüllen.

Eine Ausnahme?

Und dies ist nur ein Beispiel von vielen. Unter den hunderten Einrichtungen der großen Forschungsverbände gibt es mehr als genug, die sich in der ähnlichen finanziellen Situation befinden ohne (ausreichend hohe) Drittmittel nicht richtig arbeiten zu können. Das ist Wissenschaft für Almosen, nicht mehr, nicht weniger. Jeder höhere dreistellige Multimillionär – von denen es viele tausende auf der Welt gibt – könnte sich aus reinem Spaß und Mäzenatentum gleich zwei Forschungseinrichtungen mit diesem Finanzaufwand leisten, doch einem der reichsten und mächtigsten Staaten des Planeten ist Grundlagenforschung so viel monetärer Aufwand offensichtlich nicht wert.

Nimmt man das Budget der fünf großen Forschungsverbände zusammen, kommt man auf einen jährlichen Betrag von rund 10 Mrd. Euro. An und für sich viel Geld, gewiss. Aber es lohnt sich über den Tellerrand zu blicken und diesen Wert mit gänzlich gegensätzlich orientierten Staatsabgaben wie beispielsweise den jährlichen Zuwendungen an die beiden christlichen Großkirchen (14,8 Mrd. Euro) zu vergleichen. Im Angesicht dessen sehen auch 10 Mrd. noch vergleichsweise schäbig aus.

In einem Land, das viel mehr Geld für die Subventionierung zweier chronisch fortschrittsfeindlicher Glaubenskonzerne ausgibt, als für öffentlich finanzierte Forschungsarbeit, kann Wissenschaft keinen hohen Stellenwert genießen und ihre gesellschaftlichen Zwecke nicht erfüllen.

Erstveröffentlichung auf der Webseite der Partei der Humanisten