Von Syrien ins Gefängnis?
Der Entwurf wurde zwar überarbeitet. Doch auch in der Neufassung (PDF), die nun verabschiedet wurde, sind die vielen Kriterien, die zur Abschiebehaft führen können, weiter festgeschrieben.
"Das wird eine positive, fortschrittliche Entwicklung rückgängig machen: Dass nämlich in den letzten Jahren immer weniger Menschen in Abschiebehaft genommen wurden", sagt Pater Hillebrandt vom jesuitischen Flüchtlingsdienst Berlin, der Menschen in Abschiebehaft betreut und seit Jahren dafür kämpft, dass die Einrichtungen ganz geschlossen werden.
Wie viele andere Kritiker/innen befürchtet er, diese Neuregelung würde alle Flüchtlinge betreffen, die auf dem Landweg nach Deutschland fliehen. Gemäß des Dublin-Abkommens dürfen Geflüchtete lediglich in dem europäischen Land Asyl beantragen, das sie zuerst betreten. Wenn sie trotzdem nach Deutschland weiterfliehen, könnten sie nun direkt nach der Einreise interniert werden, meint Pater Hillebrand.
Wenn heute eine Familie aus Syrien an der deutschen Grenze ankomme sei das Erste, was die Bundesrepublik mit ihnen machen könne: "Sie festnehmen und in ein Gefängnis sperren, bis sie nach Bulgarien abgeschoben werden, wo ein Leben auf der Straße auf sie wartet."
Die SPD sieht Verbesserungen
Diese Vorstellung findet auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit empörend. Er hat das Gesetz für seine Fraktion maßgeblich mitverfasst, betont aber, dass er niemals ein Gesetz hätte schaffen können, das zu Masseninhaftierungen von Schutzsuchenden führt. "Aber das tut das Gesetz nicht. Die Kritik geht am Inhalt der Neuregelung vorbei." Wenn eines der Indizien für Fluchtgefahr erkannt werde, sei das noch kein zwingender Grund für eine Inhaftierung. "Weiterhin hat jede Person, die in Deutschland ankommt, das Recht auf eine Einzelfallprüfung."
Der Fall, dass eine syrische Familie an der Grenze festgenommen werde, sei also nicht mit dem Gesetz vereinbar. "Auch in Dublin-Fällen, also bei denen, die eigentlich nicht in Deutschland Asyl beantragen dürfen, muss der Einzelfall geprüft werden: Wenn nichts anderes dagegen spricht, wird dann wegen der Dublin-Regelung entschieden, dass die Familie nach Bulgarien zurückgeschickt wird, und nur wenn erhebliche Fluchtgefahr vorliegt, droht der Familie die Inhaftierung bis zur Abschiebung."
Er selbst habe damit gerungen, die Bezahlung von Schleusern als Indiz für Fluchtgefahr in das Gesetz aufzunehmen. Auch Veit weiß, dass es für Schutzsuchende kaum möglich ist, europäischen Boden auf legalem Weg, ohne Schleuser zu erreichen. "Aber diesbezüglich haben wir eine Verbesserung im Verhältnis zur Situation davor erreicht: Bislang haben die einzelnen Gerichte es fast immer als Fluchtgefahr ausgelegt, wenn jemand Schleuser gezahlt hatte." Das sei also schon ein Haftgrund gewesen - den die SPD nun eingeschränkt habe: "Wir haben gegenüber der CDU durchsetzen können, dass es erst ein Indiz ist, wenn es erhebliche Zahlungen gab."
Dass dieses Kriterium überhaupt als Indiz für Fluchtgefahr in das Gesetz aufgenommen wurde, empört Stefan Keßler. In seinen Augen zeigt es, wie vage und unklar die neue Definition der Fluchtgefahr ist. "Hat jemand einige Tausend Euro für die Flucht aufgebracht - was für eine willkürliche Summe -, könne das den Geflüchteten dazu motivieren, sich seiner Rückführung zu entziehen, so argumentiert das Gesetz. Aber wie soll das Gericht das im Einzelfall denn abwägen? Die können den Menschen doch nicht ins Gehirn schauen."
Was bleibt von der Einzelfallprüfung?
Das Gesetz ignoriert also nicht nur die Tatsache, dass eine Flucht und Einreise in die EU nur gegen Bezahlung durch Dritte möglich ist. Sie äußert auch einen nicht haltbaren Pauschalverdacht. Auch der Deutsche Anwaltverein verweist darauf, dass die Erfahrung mit der bisherigen Rechtsprechung vermuten lasse, dass es so zu einer "sehr hohen Anzahl rechtswidriger oder rechtsfehlerhafter Haftbeschlüsse" kommen werde.
Fraglich bleibt auch, ob das Recht auf Einzelfallprüfung nicht doch in die Quere mit der Regelung zur Inhaftierung kommt. Was ist beispielsweise, wenn jemand kurz nach der Einreise in die Bundesrepublik, etwa im Zug von Österreich nach Deutschland, in eine Polizeikontrolle gerät und keine Papiere vorzeigt - aus Angst, dass die Polizei ihn wegen der Dublin-Regelung nach Italien zurückschickt? Auf diese Person würde offensichtlich - ohne dass dies gerichtlich geprüft werden müsste - mindestens ein Kriterium zutreffen, das eine Inhaftnahme erlaubt.
"Es stellt sich die Frage, ob noch genügend Raum für die Einzelprüfung bleibt", meint auch Keßler. "Deutschland war verpflichtet, neue Regeln zu schaffen, wenn es weiter Abschiebehaft haben will, es war aber nicht dazu verpflichtet, überhaupt Abschiebehaft weiterzuführen und erst recht nicht, sie auszuweiten. Stattdessen hätte man Alternativen vorsehen müssen, die Vorrang vor der Haft haben sollten."
Das "Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung" enthält also Verbesserungen für Betroffene: Viele langjährig Geduldete bekommen nun endlich eine Perspektive in Deutschland. Doch diese Erleichterungen für Asylsuchende stehen in keinem Verhältnis zu den Verschärfungen, die mit dem Gesetz beschlossen wurden.
Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons Lizenz. Erstveröffentlichung: Heinrich-Böll-Stiftung
1 Kommentar
Kommentare
Michael Schneider am Permanenter Link
Falsche oder unvollständige Angaben gegenüber den Behörden, erhebliche Geldzahlungen an Schlepper und die Umgehung von Grenzkontrollen bei der Einreise sind keineswegs unvermeidlich bei einer Flucht und deuten sehr wo
Dieser Artikel erfüllt nicht die Qualitätskriterien, die diesem Thema angemessen wären. Die Zahlen des BAMF sprechen eine eindeutig andere Sprache und ein Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass Entscheidungen nicht willkürlich, sondern nach klar kommunizierten und demokratisch festgelegten Regeln ablaufen.