BERLIN. (hpd) “Feedback” heißt das neue Buch von Jürgen Beetz. Darin erklärt er, wie Rückkopplung unser Leben bestimmt und Natur, Technik, Gesellschaft und Wirtschaft beherrscht. Was das genau bedeutet, ob damit die Weltformel gefunden ist und welche weltanschaulichen Konsequenzen diese Perspektive mit sich bringt, darüber sprach hpd mit dem Autor.
hpd: Der Titel ihres neuen Buches heißt “Feedback”. Was bedeutet das?
Jürgen Beetz: Unter vielem anderen das, was wir gerade tun. Soziale Interaktion. Aktion und Reaktion, Ursache und Wirkung. Und wie Ihre Reaktion zur Ursache meiner nächsten Aktion wird – das ist Rückkopplung. Zum Beispiel führen wir hier ein sachliches und informatives Gespräch und keine hitzige Diskussion über kontroverse Standpunkte.
Wie wäre die denn verlaufen?
Sie hätte eskalieren können und schließlich wäre vielleicht einer sauer gewesen. Das ist die “positive Rückkopplung”, der “Teufelskreis”. Oder einer von uns beiden hätte wieder zu besänftigenden Maßnahmen greifen können, der Deeskalation, der “negativen Rückkopplung”. Diese dämpft das Verhalten von Regelkreisen – um solche handelt es sich nämlich.
Sie übertragen dieses technische Prinzip dann auf alle Bereiche des Lebens?
Ja, denn das Prinzip der Rückkopplung ist überall anzutreffen, wo eine Wirkung auf ihre Ursache zurückwirkt. Und daraus besteht das Leben, wie man am besten an der Evolution sieht. Und die gibt es nicht nur auf dem biologischen Gebiet, sondern auch im physikalischen, im sozialen und im kulturellen.
Deswegen heißt Ihr letztes Kapitel “Rückkopplung hat alles erschaffen”?
Ja, das ist das interessante Gebiet der Selbstorganisation, der Entstehung von etwas aus nichts – der Emergenz, der “Autopoiese”, wenn Sie griechische Fremdwörter mögen.
Selbstorganisation bedeutet dann auch, dass es keinen Schöpfer gibt?
Nein, wenn man einem naturalistischen Weltsicht anhängt, dann gibt es keinen. Die Gesetze der Selbstorganisation erlauben eine Entstehung „von selbst“ aus einem fast zufälligen Keim. Die Evolution ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wenn auch noch nicht alle Prozesse lückenlos und exakt geklärt sind.
Das Wort “Feedback” hat ja auch noch eine zweite Bedeutung …
Im Management-Deutsch wird es oft als reine verbale Rückmeldung verstanden, als Antwort auf eine Aussage.
Was ist der Unterschied zu einem solchen einfachen Schema von Reiz und Reaktion wie in der Verhaltensforschung oder einem Sender-Empfänger-Modell in Shannons klassischer Kommunikationstheorie?
Eben die Rückkopplung – dass die Wirkung die Ursache beeinflusst, der Empfänger zum Sender wird und dadurch ein geschlossener Kreislauf entsteht. Und dessen dynamisches Verhalten ist von Systemparametern abhängig, zum Beispiel der zeitlichen Verzögerung von Signalen im System. Und nicht nur von der Struktur des Systems. So kann auch ein negativ rückgekoppeltes System instabil werden und chaotisches Verhalten zeigen, wenn diese Verzögerung – sinnigerweise "Totzeit" genannt – groß genug ist.
Ursache und Wirkung sind also auch nicht mehr das, was sie einmal waren?
Ja, wenn wir die lineare Kausalkette verlassen und die Wirkung wieder die Ursache beeinflusst. Dann haben wir sofort ein komplexes Wirkungsgefüge.
Und diese grundlegenden Erscheinungen finden Sie überall in unbelebten und belebten Systemen, in Politik, Geschichte, Gesellschaft, Technik, Biologie?! Haben Sie etwa die Weltformel gefunden, die TOE?
Die theory of everything, ja, das könnte man sagen, klänge es nicht zu unbescheiden. Rückkopplung ist das Prinzip der Evolution, der Selbstorganisation – und damit der Entstehung von allem.
Ein Lieblingsthema scheinen ja Paradoxien und die von Ihnen so genannten "zyklischen Sprüche" zu sein – Behauptungen, bei denen auch das Gegenteil wahr ist. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, aber das Bewusstsein bestimmt auch das Sein.
Ja, das dampfe ich zu einem zyklischen Satz zusammen: Das Sein bestimmt das Bewusstsein bestimmt das Sein. Und davon gibt es viele:
Das Ei erzeugt das Huhn erzeugt das Ei.
Kontrolle ist besser als Vertrauen ist besser als Kontrolle.
Angst macht krank macht Angst.
Die Wirklichkeit formt das Modell formt die Wirklichkeit.
Das Ereignis erzeugt die Nachricht erzeugt das Ereignis.
Die Wirtschaft lahmt, weil das Vertrauen fehlt, weil die Wirtschaft lahmt.
Das Leben ändert die Umwelt ändert das Leben.
Die Erwartung bestimmt das Geschehen bestimmt die Erwartung.
Die Ideen verändern die Menschen verändern die Ideen.
Genug, genug! Das scheint ja wirklich Ihr Hobby zu sein!
Und letztlich der Kern des Feedback-Prinzips: Die Ursache bewirkt die Wirkung bewirkt die Ursache.
Positive und negative Rückkopplung, Kausalität, Evolution, Autopoiese – das sind sehr komplizierte und schwierige Themen. Kommt der normale Leser da denn mit?
Dazu kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen: Ich habe mich vor langer Zeit einmal bei einer Fachhochschule auf eine Dozentenstelle beworben und wurde zum Probevortrag eingeladen. Ich wollte aus meinem Fachgebiet berichten – professionelle Anwendungsentwicklung. Zuhörer waren Professoren, Dozenten, Studenten und ein älterer Herr in einem grauen Kittel. Ich sprach über Vorgehensmodelle, Prozess- und Datenmodellierung, Projektmanagement, Qualitätssicherung – die ganze Palette von Fachausdrücken. Nach dem Vortrag kam der Dekan gleich zur Sache: „Lieber Herr Beetz, das genügt leider nicht unseren akademischen Ansprüchen. Selbst unser Laborleiter hat es ja verstanden!“ Aus diesem Vorfall habe ich leider nichts gelernt, denn ich habe auch in diesem Buch versucht, mich verständlich und klar auszudrücken. Zudem habe ich mich bemüht, anstelle zu vieler trockener Erklärungen lieber illustrative Geschichten aus dem täglichen Leben zu bringen. Und am Ende jedes Kapitels kommt eine kurze Wiederholung und Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen.
3 Kommentare
Kommentare
Frank Roßner HV... am Permanenter Link
Im Text:
"Geben Sie der Menschheit eine Chance?
Na klar! Paläontologen sind sich heute einig, dass die gesamte heutige Menschheit vor über sieben Milliarden aus einer kleinen Gruppe von ein paar tausend Urmenschen hervorgegangen ist, die zufällig nicht ausgestorben sind."
Lieber Martin Bauer,
ein gutes Gespräch.
Bei der Angabe 7 Milliarden sind aber mit hoher Wahrscheinlichkeit drei Nullen zuviel. Es werden für die Trennung der Schimpansen, Bonobo und Homo sapiens von den anderen Menschenaffen allgemein der Zeitraum zwischen sechs bis zehn Millionen Jahren vor heute angenommen.
Genaueres für interessierte Leser ab Seite 148 in J. Zrzavy D. Storch S. Mihulka Evolution Ein Lese-Lehrbuch, Spektrum akademischer Verlg Heidelberg 2009
Mit freundlichen Grüßen
Frank Roßner
Jürgen Beetz am Permanenter Link
Lieber Herr Roßner,
Beste Grüße
J. Beetz
Scottberlin am Permanenter Link
Der hat sich nur ganz leicht verschrieben. Er meint VON 7 Mrd., also nicht vor 7 Mrd. Jahren.