Die menschliche Sprache ist einzigartig. Auch wegen der Grammatik – also der Fähigkeit, mit Wörtern nach bestimmten Spielregeln potentiell unendlich viele verschiedene Sätze zu bilden und zu verstehen. Wissenschaftler des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und der Newcastle University haben nun herausgefunden, dass auch Affen komplizierte Regeln innerhalb von Silbenfolgen entdecken können. Das Gehirn von Makaken ist beim Hören komplexer Silbenkombinationen in ähnlicher Weise elektrisch aktiv wie das von drei Monate alten Babys. Affen besitzen somit wahrscheinlich "Vorläuferfähigkeiten" für den Spracherwerb.
Schon Babys besitzen einen Sinn für Grammatik: In einer früheren Studie haben Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften die elektrischen Hirnpotentiale auf der Kopfoberfläche gemessen und beobachtet, dass drei Monate alte Säuglinge bei einer Aneinanderreihung von Silben Regeln erkennen können. Sie merken, wenn die entsprechende Regel verletzt wird.
Interessanterweise beobachteten die Forscherinnen gleichzeitig, dass Erwachsene nicht in der Lage waren, die Regeln durch bloßes Zuhören zu entdecken. Dies gelang ihnen nur, wenn sie zusätzlich aufgefordert wurden, nach den Regeln zu suchen. Das Erlernen sprachlicher Regeln scheint sich also im Verlauf der menschlichen Entwicklung entscheidend zu verändern: Säuglinge erwerben sprachliche Muster durch bloßes Zuhören, also automatisch. Erwachsene hingegen sind auf eine systematische Vorgehensweise angewiesen, um erfolgreich zu lernen.
Zusammen mit Primatenforschern um Christopher Petkov in Newcastle, Großbritannien, haben die Max-Planck-Wissenschaftler nun entdeckt, dass Vorläufer dieser Fähigkeiten auch bei unseren nächsten Verwandten zu finden sind, den Affen. Die Wissenschaftler maßen dazu bei zwei Makaken – einer Affenart, die eng mit uns Menschen verwandt ist – die elektrische Hirnaktivität auf der Kopfoberfläche, während diese dieselben Silbenkombinationen hörten wie zuvor die Babys und Erwachsenen. Die Durchführung des Experimentes folgte strengen ethischen Richtlinien zur wissenschaftlichen Forschung mit Tieren.
Die Tiere hörten jeweils für 20 Minuten Folgen von bedeutungslosen Sequenzen aus drei Silben, wie zum Beispiel "di me te" oder "go mi ku". Die komplexe Regel, die diese Silbensequenzen kennzeichnete, war, dass die Anfangssilbe "go" immer gemeinsam mit der Endsilbe "ku" kombiniert wurde und die Silbe "di" immer mit der Silbe "te". Zwischen Anfangs- und Endsilbe traten zufällige Silben auf. Solche Regeln zwischen sprachlichen Elementen finden sich in vielen menschlichen Sprachen wieder, so zum Beispiel im Deutschen: "er lach-te" oder "wir lach-en".
Die Forscher konnten durch Messen der Gehirnaktivität sehen, wenn der Affe die Regel in der Silbensequenz erkannte. Im Laufe des Experimentes wurde nun die festgelegte Silbenreihenfolge von Zeit zu Zeit vertauscht, die zugrundeliegende Regel also verletzt. Erstaunlicherweise zeigten die Gehirnreaktionen der Makaken, dass sie die Regelverletzung entdeckten. Allerdings traten diese Reaktionen erst nach etwa zehn Wiederholungen des Experimentes auf. Die Tiere benötigten damit länger als die Säuglinge und Erwachsenen. Das Lernen von Regeln ist damit offensichtlich für die Affen mit einem wesentlich größeren Aufwand verbunden.
"Das Ergebnis zeigt, dass Affen und Menschen vor allem im Entwicklungsstadium, wenn das Gehirn noch nicht voll ausgereift ist, einige ähnliche geistige Fähigkeiten haben", sagt Angela D. Friederici vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Ihre Kollegin Jutta Mueller ergänzt: "Der Befund, dass bereits Affen komplizierte Silbenfolgen verarbeiten können, könnte aus evolutionärer Sicht bedeuten, dass die menschliche Sprachfähigkeit auf diesen einfachen Mechanismen aufbaut." (MPG)