Soziologe Detlef Pollack rät im Konflikt mit Türkei zu sensiblerem Umgang mit Türkeistämmigen

"Deutschtürken nicht weiter in Erdogans Arme treiben"

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Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack
Detlef Pollack

Im Konflikt zwischen Deutschland und der Türkei empfiehlt der Soziologe Prof. Dr. Detlef Pollack von der Uni Münster einen sensibleren Umgang mit den 2,9 Millionen Türkeistämmigen im Land. "Je mehr Wahlkampfveranstaltungen für Recep Tayyip Erdogans Politik abgesagt werden, desto mehr treibt man viele noch unentschiedene Deutschtürken in seine Arme."

Mehr als die Hälfte der Türkeistämmigen in Deutschland fühlt sich sozial nicht anerkannt und als Bürger zweiter Klasse, wie der Forscher vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" erläutert. "Das ist ein starkes Motiv, sich mit dem türkischen Präsidenten zu identifizieren, denn Erdogan steht aus ihrer Sicht für wirtschaftlichen Aufschwung und militärische Stärke. Er gibt vielen Türken das Gefühl, etwas in der Welt darzustellen."

Die Veranstaltungsabsagen aber würden unter Deutschtürken als Demütigung empfunden und stärkten so den Willen zur politischen und kulturellen Selbstbehauptung. "Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich viele der hier lebenden Türkeistämmigen der deutschen Gesellschaft mehr und mehr verweigern. Wir bekommen mit ihnen zunehmend Probleme, wenn wir nicht größeres Verständnis für den schwierigen Spagat zwischen der Integrations- und Anpassungsleistung und der Wahrung der Herkunftsidentität aufbringen."

Detlef Pollack hat die Einstellungen von Deutschtürken für die Studie "Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland" durch das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid repräsentativ erheben lassen. Nach seiner Einschätzung sollten die deutsche Politik und Gesellschaft sich nicht länger von der türkischen Regierung in eine Konfliktverschärfung hineintreiben lassen.

"Wir sollten diese Spirale stoppen und demokratischer und toleranter auftreten als unser türkischer Partner. Wir sollten Rede- und Versammlungsfreiheit gewähren und damit jenes Recht einräumen, das Kritikern im eigenen Land verweigert wird." Das sei das beste Gegenargument gegen die Propaganda Erdogans.

"Erdogans Politik ist der Versuch, die türkische Community in Deutschland zu polarisieren und jede kritische Haltung als feindlich zu stigmatisieren. Mit dieser Logik will er die eigenen Reihen geschlossen halten." Es komme darauf an, die entstandene Abwehrhaltung unter den hier lebenden Türkeistämmigen nicht zu bestärken, sondern ihnen Verständnis und Respekt entgegenzubringen und ihnen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Das schließe kritische Anfragen an die Bemühungen um Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei nicht aus.

"Im Übrigen", so der Forscher, "können wir darauf vertrauen, dass das Modell von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und ökonomischer Prosperität, wie es die Bundesrepublik verkörpert, auch für die bei uns lebenden Deutschtürken attraktiv ist und seine Wirkung nicht verfehlt. Bei den Angehörigen der zweiten und dritten Generation der Türkeistämmigen nimmt die Bereitschaft zur Akzeptanz westlicher Werte und eines westlichen Lebensstils trotz aller verbaler Abgrenzung zu."

Die Studie "Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland" hat ergeben, dass sich 90 Prozent der Türkeistämmigen in Deutschland wohl im Land fühlen, doch mehr als die Hälfte sozial nicht anerkannt. Die zweite und dritte Generation der Türkeistämmigen pocht mehr auf kulturelle Selbstbehauptung als die erste. Dass sich Muslime an die deutsche Kultur anpassen sollten, meinen 72 Prozent der älteren Generation und 52 Prozent der jüngeren. 86 Prozent der zweiten und dritten Generation denken, man solle selbstbewusst zur eigenen Herkunft stehen, aber nur 67 Prozent der ersten Generation. "Diese in Deutschland Geborenen oder als Kind Eingewanderten sind zwar besser integriert als die der ersten Generation, doch schlägt das Pendel bei ihnen mehr in Richtung Selbstbehauptung aus als bei denen, die als Erwachsene kamen", sagt der Forscher. Die Erhebung entstand im Rahmen eines Forschungsprojektes am Exzellenzcluster unter der Leitung von Prof. Dr. Detlef Pollack und der Mitarbeit der Religionssoziologen Dr. Olaf Müller, Dr. Gergely Rosta und Anna Dieler. (vvm)