Flüchtlingskinder

Wer als Kind die Vertreibung aus der Heimat mit Not und Armut am eigenen Leib erfahren sowie traumatisierte Eltern, Trennungsschmerz und den Neubeginn in fremder, zum Teil feindseliger Umgebung erlebt hat, begegnet Flüchtlingen mit einfühlsameren Augen. Das gilt in besonderem Maße für den 1942 geborenen, renommierten Kinder- und Jugendlichen-Psychoanalytiker Hans Hopf, dessen persönliche Erlebnisse (Flucht und Vertreibung aus dem Sudetenland, jahrelanges Leben in Flüchtlingslagern), wie auch die Beschreibung psychischer Probleme – und ihrer möglichen Bewältigung - im Zusammenhang mit Flucht, Ausgrenzung, Fremdsein und Integration, den Hauptinhalt dieses Buches bilden.

Hans Hopfs persönliche Erfahrungen mischen sich mit den aktuellen Problemen und Erfordernissen der "Flüchtlingskrise” und erzeugen tiefe Betroffenheit in beide Richtungen. Sein Engagement für "Flüchtlinge” als Archetypen für Menschen in Not, verbindet sich mit seinem Erleben und seinem Fachwissen zu konkreten Hinweisen und Ratschlägen, die von allen Institutionen und Menschen - auf allen Hierarchieebenen -, die sich um Flüchtlinge und deren Bedürfnisse sowie um die Erfordernisse für deren erfolgreiche Integration kümmern, gewusst und beherzigt werden sollten.

Flüchtlingshelfer, vor allem aber Lehrerinnen und Lehrer sollten Grundkenntnisse über Traumata und deren Bewältigung besitzen und auch über die Besonderheiten muslimischer Familien (Selbstwertstörung der Frau, grandiose Überhöhung der Männer, Probleme mit dem Autoritätsverlust des Mannes, Übertragung von negativen Affekten auf "Ungläubige") Bescheid wissen; es gilt, unweigerlich auftauchenden Problemen bei der Integration von Flüchtlingen frühzeitig richtig zu begegnen und damit zu verhindern, dass aus Opfern mit depressiven Störungen möglicherweise nichtintegrierbare Außenseiter der Gesellschaft oder womöglich gar kriminelle Täter werden.

"Mit diesem Buch solidarisiere ich mich mit allen Flüchtlingskindern dieser Welt. Ich werde immer einer von Euch bleiben." (S. 15)

Was das Buch über die "Solidarisierung mit allen Flüchtlingskindern dieser Welt” und die daraus abzuleitenden Maßnahmen hinaus noch zusätzlich besonders interessant und wertvoll macht, sind die über das reine Flüchtlingsthema hinausgehenden Kapitel zu Traumata, Väter-Männer-Jungen, Prävention und Psychotherapie, Fremdenfeindlichkeit etc., die bei manchen Leserinnen und Lesern unter Umständen auch eigene Kindheitserlebnisse wieder aufleben lassen und persönliche Erfahrungen einer neuen Bewertung zuführen.

Das Ideal der Erziehung eines "selbstständigen Kindes, das von seinen Eltern bestmöglich geschützt, versorgt und liebevoll begleitet wird" (S. 86), ist noch nicht in allen Gesellschaften verankert, gewaltfreie Erziehung wird noch nicht überall als ideale Erziehungsform gesehen (oder verwirklicht, denn auch Eltern sind in ihren Prägungen und Traditionen - besonders in neuen Situationen - oft heillos überfordert).

Dem Autor ist für dieses Buch zu danken; vielleicht ist ihm, obwohl selbst Therapeut, das Kapitel "Meine Traumata” nicht ganz leicht gefallen - es gehört viel Mut und Kraft dazu, sich einer breiten Öffentlichkeit zu öffnen. Seine Gedanken, Erfahrungen und Ratschläge bieten bei den vielfältigen Problemen des Flüchtlingsmanagements und der Flüchtlingsintegration, aber auch bei allgemeinen Problemen, z.B. in der Eltern-Kind-Beziehung, wichtige Hilfe und es ist zu wünschen, dass seine Ausführungen eine breite Leserschaft finden.

Hans Hopf: "Flüchtlings-Kinder gestern und heute" Eine Psychoanalyse, ISBN 978-3-608-96097-6, Klett-Cotta Verlag Stuttgart, 2017, 20,00 Euro