BONN. (hpd) Der Bremer Politikwissenschaftler Stefan Luft liefert in seinem Band "Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen" eine knappe Gesamtdarstellung zum Thema auf unter 130 Seiten. Angesichts der Aufgeregtheit der Debatte zum Thema fällt der sachliche und unterkühlte Ton positiv auf.
Die Debatte über die Flüchtlingskrise beherrscht gegenwärtig jede politische Kontroverse. Dabei dominiert aber mehr Aufgeregtheit und weniger Sachkenntnis – und zwar auf allen Seiten. Eine überaus sachkundige, aber spröde Darstellung auf engem Raum legt der Bremer Politikwissenschaftler Stefan Luft mit dem schmalen Band "Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen" vor. Sie erschien in der Reihe "Wissen" des C. H. Beck-Verlags, die von den Autoren eine Bestandsaufnahme zu einem Thema auf maximal 128 Seiten erwartet. Daher wäre auch jede Kritik, die eine zu knappe Behandlung von Problemen durch Luft beklagt, formal unangemessen.
Der Autor hat sich ein bescheidenes wie unbescheidenes Ziel gesetzt: Er will "einen Überblick über die 'Flüchtlingskrise’ und die Fluchtbewegungen nach Europa, ihre Ursachen und ihre Konsequenzen geben“ (S. 7). Seine Darstellung basiert auf dem Stand vom November 2015. Mittlerweile haben sich dramatische Entwicklungen vollzogen, gleichwohl bleibt die schmale Monographie interessant.
Zunächst geht es allgemein um Migration und Flucht im 21. Jahrhundert, wobei auf eine scheinbare Selbstverständlichkeit hingewiesen wird: "Wenn von 'Flüchtlingskrise' die Rede ist, muss zuallererst die Krise der Flüchtlinge selbst in den Blick genommen werden" (S. 9f.). Dementsprechend geht der Autor auf die einschlägigen Entwicklungen in den wichtigsten "Fluchtländern" ein und benennt dabei die Gründe für die Flucht der Menschen.
Der Blick auf die Zahlen macht dabei deutlich, dass Deutschland keineswegs die meisten Migranten aufnimmt: "Insgesamt nahmen 2014 vier Staaten 36 Prozent (...) aller Flüchtlinge weltweit auf: Türkei, Pakistan, Libanon, Iran. Entwicklungsländer beherbergen 86 Prozent aller Flüchtlinge weltweit" (S. 13). Der globale Blick schafft auch hier eine erweiterte Perspektive. Luft geht aber auch auf wichtige Details ein, wie z.B. die Motive der Schleuser: "Schleuserorganisationen sind ausgerichtet auf Profitmaximierung und Risikominimierung. Dafür setzen sie Flüchtlinge der Lebensgefahr aus" (S. 41).
Anschließend widmet sich Luft dem Grenzregime und der Migrationspolitik der EU. Er erinnert daran, dass die Aufhebung der inneren Grenzen an die Kontrolle der äußeren Grenzen gebunden war. Gleichzeitig zeigte sich: "Die Steuerungsmöglichkeiten der nationalen Gesetzgeber und der Rechtssprechung wurden durch die Vergemeinschaftung drastisch reduziert" (S. 50). Der Autor informiert dann über Exterritorialisierung, Grenzregime, "Intelligente Grenzen" und die Visa-Politik.
Besonderen Raum nimmt dann das Scheitern des Dublin-Verfahrens ein, wobei dies nicht allein, aber letztendlich auf die Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel zur Öffnung der Grenzen zurückgeführt wird. Danach konzentriert sich Luft auf die Einwanderungspolitik. Hierbei wirft er dem bundesdeutschen Staat kontinuierliches Versagen vor: "Bund und Länder – letztere sind für den Gesetzesvollzug verantwortlich – haben ihren Steuerungsanspruch jahrzehntelang nur noch eingeschränkt umgesetzt" (S. 84). Beim Ausländerrecht habe es erhebliche Vollzugsdefizite gegeben.
Und schließlich geht es um die Bedingungen gelingender Integration. Auch hierzu bemerkt der Autor: "Die staatliche Steuerung der Zuwanderung ist eine zentrale Voraussetzung der Zuwanderung" (S. 105), welche aber mangels Konzepte und Willen nicht angemessen erfolgt sei. Ein kleiner Abschnitt zur Rolle der Religion behandelt auch dieses Thema. Dabei nimmt Luft einen interessanten Kurz-Vergleich von iranisch- und türkischstämmigen Muslimen in Deutschland vor, wobei deutlich wird, dass nicht die religiöse Identität, sondern die soziale Zugehörigkeit der entscheidende Faktor für gelingende Integration war und ist. Diesen Aspekt reißt er aber nur kurz an, der Rahmen des "Wissen"-Bandes erlaubt hier nicht mehr. Allein dieses Beispiel macht indessen die Relevanz vieler Inhalte deutlich. Lufts Buch ist nicht "das" Buch zur Flüchtlingskrise, aber eine informative und sachkundige Darstellung. Sie ist abgekühlt gegenüber den Einheimischen wie den Flüchtlingen, was angesichts der Aufgeregtheit der Debatte gleichwohl mehr als nur angemessen und zumutbar ist.
Stefan Luft, Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen, München 2016 (C. H. Beck-Verlag), 128 S., ISBN 978-3-406-69072-3, 8,95 Euro
1 Kommentar
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David am Permanenter Link
"Dabei nimmt Luft einen interessanten Kurz-Vergleich von iranisch- und türkischstämmigen Muslimen in Deutschland vor, wobei deutlich wird, dass nicht die religiöse Identität, sondern die soziale Zugehörigkeit der
Schade, dass er diese Behauptung nur kurz anreißt, bliebe es doch zu klären, warum sich zB asiatische Einwanderer aus "sozial schwachen" Schichten offensichtlich einfacher integrieren.