Jane Goodall, Dian Fossey und Bituré Galdikas – drei Frauen, die legendär geworden sind. Feldforscherinnen der ersten Stunde. Alison Jolly studierte nicht wie sie Menschenaffen, sondern die Lemuren auf Madagaskar im Berenty Nationalpark, besonders die ringelstreifen-schwänzigen Kattas. Ihre Resultate sind nicht weniger spektakulär. So beobachtete sie in den achtziger Jahren erstmals die Frauenpower der Kattaweibchen über die Männchen.
In diesem Jahr wäre die vor drei Jahren gestorbene Forscherin 80 geworden. Am 9. Mai 1937 in Ithakim Bundesstaat New York geboren, gehörte sie von Anfang an der akademischen Ostküstenelite Amerikas an. Ihren PhD machte sie in Yale. Sie unterrichtete in Cambridge und in Princeton und war Mitglied der New York Zoological Society. 1962 publizierte sie ihre erste bedeutende Veröffentlichung: "The Control of Hand in Lower Lemurs". 1972 erschien ihr umfassendstes auch auf Deutsch übersetztes Standardwerk: "Die Entwicklung des Primatenverhaltens".
Es ist heute noch lesenswert. Auch wenn mittlerweile manche Perspektive schon Geschichte geworden ist – oder gerade deshalb. Es lassen sich wunderbar Betrachtungen darüber anstellen, inwieweit die Fragen, die die Wissenschaftler zu ihren Beobachtungen veranlassen, epochenabhängig sind. Andere Schwerpunkte in Jollys umfassendem Werk offenbaren ihre Relevanz erst heute so richtig. So möchte man lächeln, wenn dem nachgegangen wird, ob auch nichtmenschliche Primaten eine Ödipus-Phase durchmachen und dem Inzest-Tabu unterliegen. (Ja, aber die Dominanz der Mutter verhindert den Inzest.)
Verblüfft ist man, zu lesen, dass die Frage der Rangordnung bei manchen nichtmenschlichen Primaten nicht durch erfolgreiche Aggression, sondern dadurch geklärt wird, wem es gelingt, die meiste Aufmerksamkeit zu erregen. Beispielhaft erinnert Jolly an den von Jane Goodall beschriebenen Schimpansen, der zunächst eher rangniedrig, schlagartig von allen als Boss erkannt wurde, nachdem er auf einer Blechtonne trommelnd alle seine Genossen mit seinem Getöse völlig verblüfft hatte. Dominanz lässt sich auch bei den nichtmenschlichen Schimpansen an der Währung Aufmerksamkeit messen oder bei anderen, wie den Pavianen, erkennbar daran, in welchem Maße die Mitglieder einer Truppe sich bemühen, ein Individuum mit Fellpflege zu bedenken. Paviane würden Pop lieben! Und auch Schimpansen imponiert der Bluff. Andy Warhol wäre begeistert.
Aber Dominanz bedeutet auch leadership, die Richtung zu weisen der täglichen Marschroute zu den Futterplätzen, dabei Gefahren zu meiden. Jolly weist darauf hin, dass diese Aufgaben oft auch schon bei den Lemuren den kräftigsten Weibchen oder alten, gar nicht mehr kräftigen, aber erfahrenen Männchen zufällt. Denn hier zählt die Erfahrung. - Während die Rolle der Kundschafter die Halbwüchsigen übernehmen, die dabei oft ihr Leben lassen. Die Aggression kann dafür zum Kriterium der sexuellen Selektion werden. Der Kraftstrotzendste und damit wohl gesündeste wird als Partner bevorzugt.
In den siebziger Jahren beginnt man sich dessen gewahr zu werden, wie kompliziert die Soziologie der Affengesellschaften ist und wie viele Aspekte Umwelt und Kultur unterworfen sind. Das betrifft auch die Familienstrukturen und die Frage, inwieweit sich die Väter in der Sorge um den Nachwuchs bis hin zur Adoption verwaister Kinder beteiligen. Damals zeichnete sich ab, dass es auch auf diesem Gebiet unterschiedliche Kulturen innerhalb einer Art und eine erstaunliche Flexibilität und Bandbreite entsprechend der Umweltbedingungen gibt. Darin erscheinen heutige gesellschaftliche Umwälzungen bei den menschlichen Primaten schon lange prinzipiell in ihren Möglichkeiten angelegt. Damals, in der Zeit der Kinderläden, entdeckte man die Kinderliebe der Berberaffen- und Pavianaffenmännchen. Zufall oder nicht?
"Primaten leben in Gruppen, weil sie es gern tun", schreibt Alison Jolly. Primaten sind ohne Gruppen und Clans nicht denkbar. Das hat zur Folge, dass sie Wissen um ihre Umwelt durch die Gruppe erwerben, aber auch, dass Wissen nicht nur Sache eines einzelnen Individuums ist, sondern die Gruppe das Wissen weiterreicht und vor allem im Laufe der Evolution das Wissen der Gruppe stetig steigt. Bis hin zu den Möglichkeiten des Internets, möchte man heute sagen. Vom "Prothesengeschöpf Mensch" sprach Alison Jolly schon damals und vom Ausdruck des "Geistes im Computer".
Fortschritte entwickelten sich nicht nur dadurch, dass die Intelligenz auf Seiten der Jäger und Gejagten wechselseitig ständig stieg. Diese mentale Aufrüstung ist im Tierreich nicht die einzige. Bei den Primaten, so Jolly, kommt es nun zu einem Wettbewerb mit den Waffen des Geistes auch innerhalb der Art, ja, sogar der Gruppe. Die Suche nach Ressourcen zwang den Einzelnen immer listiger zu werden.
Heute wissen wir, dass dies nicht nur für Primaten gilt. Auch Raben können täuschen und tricksen. Und nicht nur sie. Gleichwohl, die Konkurrenz der Individuen einer Art und Truppe untereinander entwickelte sich erst relativ spät in der Geschichte der Natur – mit umso dramatischeren Folgen, betrachtet man die Entwicklung der menschlichen Primaten, als Wettbewerb zur Ideologie wurde.
Alison Jolly starb am 6. Februar 2014 im englischen Sussex, wo sie sich schließlich als Professorin etablierte.
Ein Beitrag der BBC aus dem Jahr 2013 über und mit Alison Jolly:
1 Kommentar
Kommentare
Stefan Wagner am Permanenter Link
Schöner Beitrag. :)