Was wir an Tieren schön finden, abgesehen von ihrer Anmut, die Muster ihrer Felle und Gefieder, entstanden zur Abschreckung, zur Arterkennung und sollen den potentiellen Partner beeindrucken. Aber schmücken sich Tiere auch? Nein, meint Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard in ihrem jüngsten Essay. Doch, meinte ein Leser unserer Rezension. Videos mit Papageien, die sich lange Papierstreifen ins Gefieder stecken, kursieren auf YouTube.
Wir gingen dem nach. In der Tat. Mindestens ein deutschsprachiges Video findet sich im Internet, das sogenannte Lovebird-Papageien, wissenschaftlich: Agaporniden, dabei zeigt, wie sie Streifen von den Rändern eines Zeitungsstapels abtrennen und einer von ihnen sich zwei davon ins Gefieder steckt, um anschließend so behängt auf- und aus dem Bild heraus zu fliegen. Es ist auf 2016 datiert und betitelt mit "Love-Bird-Papageien schmücken sich mit fremden Federn". Die Zeitungsstapel verweisen auf einen englischsprachigen Aufnahmeort des Videos. Wieder eine Grenze zwischen Mensch und nichtmenschlichen Tieren schien gefallen.
Eine weitere Recherche im Internet ergab, dass derlei Videos im englischsprachigen Raum schon seit 2010 kursieren. In einem Chatroom wurde auch schon bald über das Motiv eines derartigen Verhaltens diskutiert. Ein Ethologe, Zainab Akande, hatte schließlich vor einem Jahr in einem Beitrag für das Online-Mazin "The Dodo" eine plausible Erklärung. In ihrer äquatornahen Heimat sollen Lovebird-Papageien dabei beobachtet worden sein, wie sie sich gleich mehrere Grashalme in Gefieder steckten, um mit ihnen Richtung Nest davonzufliegen, wo sie die Halme in die entstehende Kinderstube einbauten.
Man lerne: was uns als Schmuck erscheint, muss von den Vögeln nicht als Schmuck beabsichtigt sein. Und anders als nahe liegend müssen sie, was sie sich ins Gefieder stecken, nicht als Federn, sei es Ersatzfedern oder Superfedern, wahrnehmen.
Doch Zweifel blieben. So beschloss ich, Christiane Nüsslein-Volhard selbst zu ihrer Meinung zum Thema zu befragen. Ich schrieb ihr eine Mail. Ihre Antwort:
Ich denke, dass die Aussage, dass nur der Mensch "eitel", das heißt sich seines Aussehens voll bewusst ist, immer noch stimmt. Den youtube clip kenne ich nicht, meine aber, dass das Ausreißen von Zeitungsschnipseln eher als Spiel zu bewerten ist und nicht zum "normalen" Balzritual der Tiere gehört. Das Schmücken ist wohl aus dem Gebrauch von Artefakten entstanden, die Tiere auch in anderen Kontexten durchaus benutzen. Die Unterschiede sind schon sehr gravierend.
Beste Grüße,
CNV
Sollte man deshalb die Suche nach sich schmückenden Tieren, also solchen, die ihrer Gestalt etwas hinzufügen, ganz aufgeben? Eine Geierart, Gypaetus barbatus, mit weißer Halskrause, wurde dabei beobachtet, sich Kopf und Hals gern mit rötlicher eisenhaltiger Erde einzureiben. Ihr Gefieder schimmert dann leuchtend orange. Wollen sie damit ihren Angebeteten imponieren? Endet damit unsere Suche nach Vögeln, die ihr Gefieder aufhübschen?
Spiel und Schmücken nahe beieinander zu suchen, schien in eine ergebnisoffenere Richtung zu weisen. Würde man vielleicht doch eher bei den Primaten fündig werden?
Edwin J. C. Van Leeuwen schrieb 2014 über die mit seinem Team in Sambia gemachte Beobachtung, wie sich in einer Schimpansengruppe die Sitte ausbreitete, lange Grashalme in beide Ohren zu stecken, wobei die so Agierenden nach dieser Manipulation und Hinzufügung an den eigenen Körpern zu den anderen Gruppenmitgliedern hinüber schauten, als wollten sie sich vergewissern, dass die sie auch anschauten. Offenbar entstand so allmählich eine Art von Kultur innerhalb dieser Gruppe. Warum, das bliebt bis heute ungeklärt. War es Spiel oder juckten ihnen bloß die Ohren? Und waren sie sich bewusst, wie sie nun aussahen? Wir wissen es nicht.
Aber da lässt sich schließlich noch ein Tucholsky-Text aus der Weltbühne aus dem weltweiten Netz fischen, der anregender nicht sein kann. Der unglaublich neugierige Kurt Tucholsky hat sich für alles interessiert, auch für die Experimente, die Wolfgang Köhler auf Teneriffa mit Schimpansen gemacht hat. Dazu las er dessen 1917 – also vor genau 100 Jahren! - veröffentlichte Forschungsberichte "Intelligenzprüfung an Anthropoiden". Unter dem Decknamen Ignaz Wrobel schrieb Kurt Tucholsky am 3.6.1930 in seiner Weltbühne den Verhaltensforscher detailliert zitierend:
Da erzählt er, wie die Affen gern allerlei Gegenstände mit sich herumschleppen, an ihrem Körper anbringen, sich mit ihnen behängen. "Fast täglich sieht man ein Tier mit einem Seil, einem Fetzen Zeug, einer Krautranke oder einem Zweig auf den Schultern dahergehen. Gibt man Tschego eine Metallkette, so liegt diese sofort um den Nacken des Tieres. Gestrüpp wird mitunter in größeren Mengen auf dem ganzen Rücken ausgebreitet getragen. Seil und Zeugfetzen hängen gewöhnlich zu beiden Seiten des Halses über die Schultern zu Boden; Tercera lässt Schnüre auch um den Hinterkopf und über die Ohren laufen, so dass sie zu beiden Seiten des Gesichts herunterbaumeln."
Und Köhler fügt nun eine glänzende Beobachtung hinzu: "… dass die am Körper hängenden Gegenstände Schmuckfunktion im weitesten Sinne haben. Das Trotten der behängten Tiere sieht nicht nur mutwillig aus, es wirkt auch naiv-selbstgefällig. Freilich darf man kaum annehmen, dass die Schimpansen sich eine optische Vorstellung von ihrem eignen Aussehen unter dem Einfluss der Toilette machen, und nie habe ich gesehen, dass die äußerst häufige Benutzung spiegelnder Flächen irgend Beziehung auf das Behängen genommen hätte; aber" – passt auf! – "aber es ist sehr wohl möglich, dass das primitive Schmücken gar nicht auf optische Wirkungen nach außen rechnet – ich traue so etwas dem Schimpansen nicht zu –, sondern ganz auf der merkwürdigen Steigerung des eigenen Körpergefühls, Stattlichkeitseindrucks, Selbstgefühls beruht, die auch beim Menschen eintritt, wenn er sich mit einer Schärpe behängt oder lange Troddelquasten an seine Schenkel schlagen. Wir pflegen die Selbstzufriedenheit vor dem Spiegel zu erhöhen, aber der Genuss unsrer Stattlichkeit ist durchaus nicht an den Spiegel, an optische Vorstellungen unsres Aussehens oder an irgend genauere optische Kontrolle überhaupt gebunden; sobald sich so etwas mit unserm Körper mitbewegt, fühlen wir ihn reicher und stattlicher."
Wolfgang Köhler beobachtete also, wie Schimpansen sich Ranken, Stofffetzen und Metallketten um die Schultern beziehungsweise um den Hals hängten. Demnach ginge es den Schimpansen zwar nicht darum schöner zu sein, aber sich imponierender zu fühlen. Sozusagen um ein Körpergefühl, eine Sebstwahrnehmung wohlgemerkt. Nicht zufällig hat Tucholsky diesen Aspekt schmunzelnd aufs Korn genommen. Sporenklirren oder Säbelrasseln muss den deutschen Militärs, wie Tucholsky sie noch erleben konnte, ein ähnliches Glücksgefühl verschafft haben. Diese Art von "Schönheit" hört man! So wie sich schön Fühlen macht auch sich fulminant und beachtenswert Fühlen glücklich, und auf diese Emotion, nicht die Außenwirkung kommt es bekanntlich genauso an, wenn wir Menschen uns einmal so richtig aufbrezeln.