Als das Berliner Neutralitätsgesetz in Kraft gesetzt wurde, galt es gerade in säkularen Kreisen als wegweisend. Denn es verteidigte die Neutralität des Staates im weltanschaulichen Bereich und behandelte alle Religionen gleich. Damit unterschied es sich grundlegend von ähnlichen Gesetzen anderer Bundesländer, die sich einseitig auf den Islam bezogen und christliche Symbole unberücksichtigt gelassen hatten.
Den Kirchen und der religiösen Rechten war das Gesetz hingegen von Anfang an ein Dorn im Auge. Nun gerät es zunehmend unter Druck, der grüne Justizsenator Dirk Behrendt hat eine Überarbeitung angekündigt und auch aus den Reihen der Partei Die Linke mehren sich die Stimmen, den Forderungen insbesondere der Islamverbände nachzugeben.
Im November hat sich die Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz mit einer Erklärung zu Wort gemeldet. Zu den Erstunterzeichnerinnen zählt auch die Publizistin Lale Akgün. Mit ihr sprach die MIZ über das Gesetz, seine Gegner und Befürworter.
MIZ: Frau Akgün, Sie zählen zu den Erstunterzeichnerinnen der Erklärung der Initiative "PRO Berliner Neutralitätsgesetz" – was hat sie zur Unterschrift bewogen?
Lale Akgün: Ich kann nicht verstehen, warum man ein so gutes Gesetz abschaffen will. Wir alle müssen mit ansehen, wie selbsternannte Vertreter des Islam ihren Einflusskreis im öffentlichen Raum immer mehr ausweiten. Und zwar mit einer Wucht, die mir Angst macht. Für sie gibt nur die eine Wahrheit, Andersdenkende werden beleidigt, bedroht, eingeschüchtert. Die Leidtragenden sind vor allem Menschen mit einem islamischen Hintergrund, Alltagsmuslime, Kulturmuslime, aber auch Atheisten aus muslimischen Familien. Sie sind der Propaganda der fundamentalistischen Muslime ausgesetzt. Das Kopftuch selbst wird dabei von den muslimischen Lobbyisten zu einer "Fahne" ihrer Überzeugung erhöht. Es ist nicht mehr "irgendein Tuch", es ist das Symbol der Gläubigkeit und der Frauenehre. Nun kann ja im öffentlichen Raum jeder so herumlaufen, wie er es möchte – zumindest in den Grenzen des allgemein akzeptierten "Anstands". Eine offene Gesellschaft muss es ertragen, dass Menschen sich so kleiden, wie sie wollen. Das heißt auch, dass Musliminnen auf der Straße ein Kopftuch tragen dürfen.
Aber bei Beamtinnen muss die rote Linie gezogen werden. Sie repräsentieren schließlich den Staat und der hat bekanntlich keine Religion. Um es mal auf den Punkt zu bringen: wenn sich eine Beamtin ein Kopftuch umbindet, dann ist es so als hätte sich der Staat ein Kopftuch umgebunden. Ich will keinen Staat mit Kopftuch!
Nun leben und arbeiten Sie mittlerweile in Nordrhein-Westfalen – hat das Neutralitätsgesetz denn Bedeutung über das Land Berlin hinaus?
Selbstverständlich. Das Land Berlin zeigt mit diesem Gesetz eine klare Haltung auf, wo andere Bundesländer sich lieber bedeckt halten. (Das sollte jetzt kein Wortspiel sein!)
Lässt sich sagen, wer die treibenden Kräfte hinter der Kritik am Neutralitätsgesetz sind?
Nun, die Islamlobbyisten sind sehr aktiv. Sie spielen grandios auf der Klaviatur der Islamophobie und sind Meister im Erzeugen von schlechtem Gewissen bei der Mehrheitsgesellschaft. Unsere politischen Vertreter glauben ja allen Ernstes, es jedem recht machen zu müssen. Ich halte das für eine falsche Strategie. Wer politisch gestalten will, gerade in einer multireligiösen Gesellschaft, muss Entscheidungen fällen, die manchmal unbequem sind.
Warum konzentriert sich der Konflikt auf den Bereich Schule, während die Bereiche Polizei und Justiz bislang offenbar außen vor bleiben?
Weil es dort die meisten Fälle gibt. Es gibt eben mehr kopftuchtragende Studienreferendarinnen als Rechtsreferendarinnen. Das heißt aber nicht, dass es bei der Justiz oder der Verwaltung keine Probleme gibt. Die gibt es. Und ich kann der Politik nur raten, sich die Einzelfälle mal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Eine Argumentation des grünen Justizsenators Dirk Behrendt lautet, dass er nur die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts umsetze – können Sie seinen Standpunkt nachvollziehen?
Nein. Wenn das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sagt, dass ein Kopftuchverbot nur im Fall einer konkreten (und nachgewiesenen) Gefährdung der staatlichen Neutralität durchgesetzt werden kann, dann muss man antworten, dass eine solche Gefahr schon dadurch gegeben ist, dass Schulkinder mit einer Kopftuch tragenden Lehrerin konfrontiert sind. Durch das Kopftuch einer Lehrerin sehe ich bereits die staatliche Neutralität verletzt.
Sehen Sie eine Diskriminierung darin, dass eine den Schleier tragende Muslimin in Berlin an einer allgemeinbildenden Schule nicht Lehrerin werden kann?
Mit Verlaub, das Kopftuch ist kein unveränderliches körperliches Zeichen. Wer es abnimmt, kann auch an einer allgemeinbildenden Schule unterrichten.
Die Erklärung ist schnell unterzeichnet, aber wird das reichen? Was würden Sie – mit Ihrer Erfahrung als Parlamentarierin – den Freunden des Neutralitätsgesetzes raten?
Man muss den Kreis der Unterstützer vergrößern, es gibt mehr säkulare Muslime als sich die einfachen Berliner Politiker vorstellen können. Man muss auf die Gefahren hinweisen, die vom politischen Islam ausgehen. Und zum Schluss die Frage: Cui bono? Wem nützt eigentlich die Abschaffung des Berliner Neutralitätsgesetzes?
Und Hand aufs Herz – wie stehen die Chancen, das Gesetz zu erhalten, angesichts der seltsamen Allianzen, die in letzter Zeit gerade zu Fragen, die die Religion betreffen, geschlossen werden? Fifty-fifty? Besser? Schlechter?
Ich kann nur an die Verantwortung der aktiven Politik appellieren. Wissen Sie, ich habe diese Erklärung unter anderem auch deshalb unterschrieben, damit ich mir eines Tages nicht vorwerfen lassen muss, ich hätte die Entwicklung gesehen, aber aus Bequemlichkeit oder gar Angst den Mund gehalten!
Das Interview wurde für die MIZ 4/17geführt und mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier nachveröffentlicht.
2 Kommentare
Kommentare
D am Permanenter Link
Danke für das gute Interview. Schade dass es nur so kurz ist. Hätte gerne von Fr. Akgün gelesen.
Roland Fakler am Permanenter Link
Es gibt Orte in der Republik, die weltanschaulich neutral sein und Clubabzeichen keines Vereins zulassen dürfen, weil sie nicht Clubhäuser eines bestimmten Vereins sind, sondern Orte, die von Menschen verschiedener We