400 Jahre Mensch-Tier-Darstellungen im Kunstmuseum Ravensburg

Kunst für Hunde und Katzen

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Performances for Pets - Kroot Juurak
Performances for Pets - Kroot Juurak

Kunst für Katz und Hund gibt es wirklich. Luzia Hürzeles Selbstportrait aus Katzenfutter verblüfft nur die menschlichen Besucher der Ausstellung "We Love Animals" im Kunstmuseum Ravensburg. Krŏŏt Juurak und Alex Balley bewegen sich in einer Performance für Hunde selbst auf allen Vieren. Programmatisch stehen Hans Baldung Griens triebgesteuerte kämpfende Wildpferde hier am Beginn von 400 Jahren künstlerischer Exploration der Tier-Mensch-Beziehung.

Rasend vor Schmerz und Angst reißt der Wolf sein Maul auf. Seine Vorderpfote hängt leblos in der Falle herab, die Knochensplitter ragen aus dem Eisenriemen. Vielfach gewunden der Leib. So stellte Jean Eric Rehn das Tier auf seiner Grafik um 1740 – 1745 dar.

anonym - Zwei Tanzbären mit Dompteuer, undatiert - Foto Wynrich Zlomke
anonym - Zwei Tanzbären mit Dompteuer, undatiert - Foto Wynrich Zlomke

Die Wolfsschädel der "Meute" von Imela Maier lecken einander übermütig. Rosa Zunge, weißes Fell, dunkle Augen und Schnauze – alles aufgemalt auf die Tonschädel, Wolfsmasken als Verhaltensstudien exemplifizieren so heutzutage das Leben der Tiere. Wie gründlich hat sich das Verhältnis zum Tier gewandelt!

Und noch einmal Wölfe, gleich mehrere Dutzend, in Serie gegangen ist das Wolfsbildnis aus Kunststoff von Ottmar Hörl. Etwas mürrisch, abwesend und müde dasitzend bevölkert das vielfach multiplizierte Tier den Burghügel der Stadt Ravensburg.

Gwen van den Eijnde - Lippizano - Foto Gwen van den Eijnde - Copyright Kunstmuseum Ravnsberg
Gwen van den Eijnde - Lippizano - Foto Gwen van den Eijnde - Copyright Kunstmuseum Ravnsberg

Es ließe sich in der Ausstellung "We Love Animals" des Kunstmuseums Ravensburg auch das berühmte Nashorn von Albrecht Dürer mit dem von Johannes Bus vergleichen. Ein lebendes Nashorn hat Dürer nie gesehen, nur genaue Zeichnungen eines in Europa gerade dahingestorbenen Exemplars. An Brus Nashornskulptur voll schrundiger Erdenschwere ist jedes Stück Haut eine Landschaft. Ein Tier wie ein Gebirge, ein Stück graue Urzeit, noch auf unserem Planeten lebendig, sein Überleben gefährdet.

Die Ausstellung mit über 100 Exponaten von über 50 Künstlern lässt nachvollziehen, wie sich die Einstellung zum Tier gewandelt hat. Als exotische, gefährliche oder aggressive Wesen nahm man die Tiere vielfach einst war. Die Tanzbären eines anonymen Meisters sieht man auf einer etwas ungelenken Grafik brachial in Schach gehalten. Das war, als dagegen der Umgang mit den Nutz- und Hoftieren noch alltäglich war.

Hans Baldung Grien - Kämpfende Hengste in mitten einer Gruppe von Wildpferden im Walde - Copyright Kunstmuseum Ravensburg
Hans Baldung Grien - Kämpfende Hengste in mitten einer Gruppe von Wildpferden im Walde - Copyright Kunstmuseum Ravensburg

Dann verschwanden die Tiere mit der Industrialisierung zunehmend aus dem täglichen Umfeld der meisten Menschen. Dampfeisenbahnen ersetzten die Pferde als Transportmittel. Mit dem Fließband wurde – zunächst in Amerika – die Schlachtung in der Nähe der Bahnhöfe der Großstädte zentralisiert, wohin das Vieh abseits der Blicke der Städter auf der Schiene transportiert wurde.

Nun hielt das Tier Einzug in die bürgerliche Gesellschaft. Spätromantische und biedermeierliche Genremalerei fand darin ein unerschöpfliches Reservoir an Motiven. In Moritz von Schwinds Bleistift- und Tuschezeichnug "Die Katzensymphonie" balgt ausgelassen eine ganze Katzenfamilie die Notenlinien entlang rauf und runter. Die Silhouetten imaginieren eine aberwitzige Partitur nächtlicher Katzenmusik.

We Love Animal Cover - mit Oelbild - Hund mit Zuckerstueck auf der Nase - von Carl Friedrich Deiker
We Love Animal Cover - mit Oelbild - Hund mit Zuckerstueck auf der Nase - von Carl Friedrich Deiker

Aber auch die Impressionisten Max Slevogt und Max Liebermann liebten die Momentaufnahmen der alltäglichen Szenen des kleinen Glücks mit Dackel und Co, die zu Familienmitgliedern werden und Bett und Sessel erobern.

Die Expressionisten – mit Großstadt- und Kriegserfahrung – waren dann wieder fasziniert vom Ursprünglichen im Tier, so die These der Kuratorin der Ausstellung Nicole Fritz. Franz Marc forderte, die Tiere so zu malen, wie diese sich fühlen. Der Beschauer solle sich in das "Zittern und Rinnen des Blutes" einer Tiergestalt einfühlen können. Vorbild war ihm Hans Baldungs Griens "Kämpfende Hengste inmitten einer Gruppe von Wildpferden im Walde", ein Holzschnitt aus dem Jahr 1534, der wie nie zuvor animalischer Triebhaftigkeit Ausdruck verlieh.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verschrieben auch die CoBrA-Maler aus Dänemark und den Benelux-Staaten sich dem Ungezügelten, Wilden, Unbezwingbaren und vor allem Irrationalen. Ihre Pinsel zuckten über die Leinwand, um Wesen zu schaffen, die wir mehrdeutig als hypnotisierte Schlangen, Hyänen oder Menschen verstehen können.

Johann Baptist-Reiter - Knabe mit Katze - Copyright Kunstmuseum Ravensburg
Johann Baptist-Reiter - Knabe mit Katze - Copyright Kunstmuseum Ravensburg

Auch die Sechziger-Jahre-Kunst interessierte das Instinktive, weil Unzivilisierte im Tier. Vertreten in der Ausstellung unter anderem durch die früh verstorbene Österreicherin Birgit Jürgenssen, die in mehrschichtigen Foto-Kollagen und Blättern mit nervösen Bleistiftstrichen das Tierische, vor allem Haarige im doppelten Sinne im Menschen zum Vorschein kommen lässt und Chimären aus Frau und Tier schuf.

Luzia Hürzeler kreiert heutigen Tages Skulpturen gleichermaßen für Menschen und Tiere. Sie fertigte ein skulpturales formal eher klassisches Selbstportrait aus Katzenfutter, das ihre Katze dann mit der Nase beginnend genüsslich und langsam aufleckte, als schmuste sie zärtlich mit dem Ebenbild ihrer Besitzerin. Nur ein Video bleibt.

Das Tier als Kunstrezipient ergibt sich für eine neue Künstlergeneration selbstverständlich nicht nur augenzwinkernd, wenn man das Tier als gleichberechtigten Partner unter den Menschen ernst nimmt. Und wenn man eine bescheidene Kunst machen will, die Verzicht übt am Anspruch auf Dauer.

Kunstmuseum Ravensburg: "We Love Animals. 400 Jahre Tier und Mensch in der Kunst", bis 15. Oktober 20017, Konzeption von Ausstellung und Katalog Nicole Fritz, Katalog zur Ausstellung Kerber Verlag Bielefeld 2017, 172 S. 38 Euro