Forschung mit Kamerafalle und GPS-Transpondern

Nicht nur Ameisenbären – "Die Supernasen" von Lydia Möcklinghoff

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Jaguar vs. Ameisenbär (Screenshot)
Jaguar vs. Ameisenbär (Screenshot)

Ihre Arbeitsgeräte sind Kamerafallen und GPS-Transponder. Die machen es Lydia Möcklinghoff möglich, das heimliche Leben des Ameisenbären im Sumpfland Brasiliens an der Grenze zu Argentinien und Uruguay zu erkunden. Ihre Kollegen erforschen auf ähnliche Weise das Leben der Lemminge in Grönland oder der Kob-Antilopen in Elfenbeinküste. Darüber, wie Zoologen und Ökologen heute arbeiten, hat Lydia Möcklinghoff nun das Buch "Die Supernasen" geschrieben.

Am 22. Februar dieses Jahres veröffentlichte der Guardian in seiner Online-Ausgabe das per Kamerafalle gewonnene Video eines Ameisenbären und eines Jaguars im Zweikampf miteinander. Wer schließlich gewann, ist darauf nicht zu erkennen. Auch nicht, warum die beiden aneinander gerieten. Jaguare greifen gewöhnlich ihre Beute von hinten an. Nicht so in diesem Falle.

Vielleicht kreuzten sich beider Wege nur zufällig und beide waren gleich erschrocken und zur Abwehr entschlossen. Ameisenbären gehören eher nicht auf die Speisekarte vom Jaguar, erklärte der brasilianische Zoologe Elildo Carvalho Jr. vom Nationalen Brasilianischen Forschungszentrums zur Carnivoren-Erhaltung (CENAP) dem Guardian. In Rinderzuchtgebieten, wo die Ameisenbären recht häufig geworden sind, machen sie mittlerweile allerdings schon die Hauptnahrung der gefleckten Raubkatzen aus.

Genau solche Veränderungen konstatiert die Tropische Ökologie, das Fach von Lydia Möcklinghoff, rund um den Globus. Alles hängt mit allem zusammen, das ahnten wir schon immer. Aber wie genau, das führt sie eindrucksvoll vor. Klar wird dabei: Was mit der Natur geschieht, kann an ganz anderer Stelle völlig unerwartete Folgen für den Menschen haben.

Als etwa am Victoria-See einst von einem Priester ausgesetzte große Nilbarsche die Mehrzahl der Buntbarsche, die dort in einer Vielfalt wie nirgends sonst auf der Welt vorkamen, fast restlos vertilgten, führte das über die Jahre dazu, dass die Frauen und Kinder am See nicht mehr zur Schule gehen konnten. Denn: Die kleineren Buntbarsche wurden früher für den lokalen Bedarf luftgetrocknet, bevor sie auf den Markt kamen. Die fetteren Nilbarsche, für den Export gefangen, müssen nun geräuchert werden. Dafür obliegt es nun den Frauen und Kindern, stundenlang Holz zu sammeln. Für das Lernen bleibt keine Zeit mehr. Die Fischer selbst haben außerdem keine Fische mehr im Kochtopf.

Umgekehrt: Wenn auf dem Weltmarkt die Fleischpreise fallen, fällen die Hacienderos im brasilianischen Sumpfland, das sich immerhin noch für die extensive Rinderzucht eignete, die Palmen, um statt Sumpfweideland Flächen für den Ackerbau zu schaffen (!). In diesem Akazienland vermehren sich die Ameisenbären zwar beträchtlich und werden zur Hauptbeute der Jaguare. Aber die Stickstoffdüngung führt auch zur Wasserverseuchung, Veralgung und Artenverarmung.

Gefährdete Artenvielfalt im brasilianischen Pantanal – eingefangen mit der Kamerafalle:

Wenn Europas Trawler vor Westafrikas Küsten nach Edelfischen wie Dorados fischen, jagen die Menschen im Innern des Landes in den Nationalparks wieder Antilopen und Schimpansen, um ihren Fleischbedarf zu decken. Und dezimieren den Bestand der Kob-Antilopen derartig, dass diese kurioserweise selbst die Reproduktion aufgeben, vielleicht weil die animierenden Schaukämpfe der Böcke, welche die Paarungsbereitschaft der Weibchen auslösen, nicht mehr stattfinden. Denn kein Konkurrenzdruck zwingt die männlichen Exemplare mehr dazu.

Das mittlerweile überwiegend geltende Froschfangverbot in Europa führte unerwartet zu Reisverlusten in Indien, weil diese Amphibien nun von dort importiert werden, wo sie sich früher als Vernichter der Krabbeltiere nützlich machten, die jetzt ungehindert gefräßig an den Reispflanzen knabbern.

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Auch die Staudämme in Panama mindern, wie ein Freund und Mitstreiter von Lydia Möcklinghoff feststellen musste, nicht nur den Bestand an Fischen, welche Algen fressen. Es versumpfen die Gewässer, deren Sauerstoffgehalt sinkt. Daraufhin sterben die Insektenlarven darin und schließlich sogar die Vögel am Himmel, die sich von den Insekten nährten.

Immer wieder erweist sich das menschliche Tun und Wirken als ein Bestandteil eines komplexen Ganzen. Die Tropische Ökologie muss es miteinbeziehen. Es geht dabei nicht um Natur versus Mensch oder umgekehrt. Oft geschieht unerwartet am ganz anderen Ende einer biologischen Wippe etwas völlig Unvorhergesehenes. Am Ende erweist sich immer: Was der Natur schadet, schadet auch dem Menschen.

Das erzählt Lydia Möcklinghoff anhand ihrer Arbeit und der ihrer Kollegen in einer erfrischend und befreiend umgangssprachlichen Art. Sie schildert, was sie und ihre Kollegen, wie die ehemalige akademische Lehrerin, der einstige Kommilitone, so tun und erleben. Über Skype hält man einander auf dem Laufenden, und es spinnen sich neue Netzwerke. Und so entsteht eine verflochtene Erzählung über die wirkliche Welt mit ihren wirklichen Herausforderungen. Und über tapfere, unermüdliche und begeisterungsfähige junge Menschen. Wir erfahren, wie sich die Forscher fragend und immer wieder bereit, die eigene These oder das eigene Vorgehen auf den Prüfstand zu stellen, an ein immer detaillierteres Verständnis unserer Welt herantasten. Das liest sich überaus unterhaltsam und spannend.

Lydia Möcklinghoff forscht seit zehn Jahren an ihren Ameisenbären, promoviert am Museum König in Bonn – die einst etwas angestaubt wirkenden Taxonomie kann zur Tropischen Ökologie viel beitragen - und kam über das Bloggen und den Science Slam zum Schreiben. Derart übernimmt gerade eine neue Generation von Nature Writers auch hierzulande das Wort.

Lydia Möcklinghoff als Science Slamerin:

Lydia Möcklinghoff: "Die Supernasen.Wie Artenschützer Ameisenbär & Co. Vor dem Aussterben bewahren", Hanser Verlag München 2016, 316 S. 22 Euro