Jetzt auf DVD: Laurie Andersons vierter Film "Heart of a Dog"

Lerne zu trauern, ohne traurig zu sein

Eine Collage aus bewegten Bildern, Zeichnungen, Animationen, wunderschönen Filmszenen und Musik ist Laurie Andersons neuer Film "Heart of a Dog", der nun als DVD mit deutschen Untertiteln herausgekommen ist. Eine cineastische Elegie auf den Tod der Terrierhündin Lolabelle. Sie wurde von sechs Artgenossinnen gedoubelt.

"Aber warum schreibt man über den Tod eines Tieres? Darauf wird man antworten, warum denn nicht? Auch wenn alle Lebewesen nicht das gleiche Schicksal haben, ist doch die Angst vor dem Tode die gleiche, und das Problem ist analog. Wenn dem so ist, gebietet eine gewisse Scheu, Verletzlichkeit, eher über ein Tier zu sprechen als über Menschen." So schrieb Jean Grenier, der Lehrer Albert Camus, 1957 in seinem Essay "Über den Tod eines Hundes", der 2015 in dem Band "Die Inseln und andere Texte" im Alber-Verlag erstmals auf Deutsch erschien. Jean Grenier fügte hinzu: "Nein, sie sind nicht besser als wir. Sie geben uns keine Lehrstunde in Sachen Moral. Viel bescheidener, sie – gleichen uns aufs Haar." Und: "Aber lebt ein Tier wie er nicht auch in der Erwartung und damit in der Angst?"

"Heart of a Dog" - DVD-Cover
"Heart of a Dog" - DVD-Cover

Laurie Anderson machte einen Film über den Tod ihrer Rat-Terrierhündin Lolabelle, aber dahinter steht auch der Tod ihres Mannes Lou Reed, dem wir den packenden Song "Walk on the Wild Side" verdanken.

Der Streifen beginnt mit einem Traum in Gestalt einer Bildergeschichte mit Zeichnungen auf rosa Grund aus der Hand von Laurie Anderson (die übrigens schon zweimal auf der documenta dabei war). Die Künstlerin gebärt in dieser Vision eine Hündin, Lolabelle, die sie sich zuvor in den Bauch hat einnähen lassen.

Darauf erinnert sie sich an das Sterben ihrer Mutter. Die am Ende nur noch zu den Tieren an der Decke ihres Krankenhauszimmers sprach, Wesen, die nur sie sehen konnte. Und sich höflich dafür bedankte, auf der Welt gewesen sein zu dürfen.

Dazwischen malt der Film die Welt oft aus der bodennahen Perspektive ihrer vierbeinigen Gefährtin: die aufgeregte Downtown Manhattans und das Ufergestrüpp der Küste Kaliforniens – und den Himmel. Der ist allerdings eher bedrohlich. Lolabelle erfährt seit dem jägerischen Sturzflug eines Falken beinahe am eigenen Leib, dass Gefahr auch aus der Luft kommen kann. Genau wie die Menschen seit dem 11. September im Big Apple zunehmend misstrauisch in den Himmel gucken. Der Betrachter schwelgt in Wolkenbildern, gerahmt von der ziselierten Ornamentik nackter Baumkronen und Gewitterwolken.

In Clouds lagern aber auch all die Daten über uns, aus denen unsere Geschichten rekonstruiert werden können. So kontrastieren den romantisch schönen, höchstens elegisch verregneten Bildern auch die von Überwachungskameras erzeugten. Fahnder rollen danach Lebenswege von Leuten auf, wie wir selbst es gegen Lebensende tun.

Filmfoto: © Indigo Film
Filmfoto: © Indigo Film

Das Leben verstehen wir vom Ende her, wusste schon Sören Kirkegaard. Ihn zitiert Laura Anderson in ihrem filmischen Essay genauso wie Ludwig Wittgenstein: "Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen." Und wirklich ist nur, worüber wir sprechen können. Laurie Anderson spricht die ganze Zeit aus dem Off, wenn man so will, ein einziges großes poetisches Langgedicht.

Über den Zusammenhang zwischen Liebe und Tod. Über die buddhistische Maxime, jedesmal, wenn man an ein verstorbenes geliebtes Wesen denkt, am besten etwas wegzugeben oder jemandem etwas Gutes zu tun. Trauer wird so in Liebe umgesetzt. Der Tod setzt Liebe frei.

Anderson erzählt von der Mutter, die sie nicht zu lieben vermochte. Doch ein einziger Moment der Liebe wendet das Blatt, und mit diesem Moment klingt der Film langsam aus wie eine sanft verebbende Welle. Die heranwachsende Laurie nimmt die zwei kleinen Brüder im Buggie mit auf das Eis, um von einer Insel aus den Mond zu betrachten. Der Wagen bricht ein, die Jungen versinken unter die Schollen, aber dem Mädchen gelingt es, die beiden aus dem eisigen Wasser herauszuziehen. Kein Wort des Vorwurfs der Mutter, nur dankbares Lob für die Schwimm- und Tauchleistung und vor allem: Anerkennung. Da war er, der so dringend gesuchte Moment bedingungsloser Liebe.

Der Film auch über menschliche Katastrophen ist voller unscharfer Bilder, Regen, der über Fensterscheiben läuft, Baumsilhouetten und zen-buddhistischer Nahaufnahmen. Aber: "Lerne zu trauern, ohne traurig zu sein" ist die andere Maxime des Films. Die schließlich erblindete Lolabelle erhält beschäftigungstherapeutischen Beistand, lernt malen, Reliefs mit den Pfoten zu schaffen, die als Vorlagen für dadaistische Clock-Hundesandalen für japanische Hundeliebhaber dienen könnten. Und sie lernt Klavier spielen. Um in einem Konzert für Hunde aufzutreten. Das Konzert für Hunde gab es wirklich.

Viele Szenen schimmern in einem Goldton, der dem auf Francisco Goyas Bild des Hundes aus der Serie der schwarzen Bilder gleicht. Bis jetzt immer als "Im Sand vergrabener Hund" gedeutet, versteht Anderson ihn als im grenzenlosen weichen Ozean schwimmenden Hund. So schön kann Sterben sein.


Laurie Anderson: "Heart of the Dog", Indigo Studio 2016, 75 Min., frei ab 6 Jahren 16,99 Euro

Jean Grenier: "Die Inseln und andere Texte", herausgegeben von Jean O. Ohlenburg und

Maguy Ohlenburg-Boyer, Verlag Karl Alber, 190 S., 24 Euro

"Music for Dogs" vor dem Opernhaus in Sydney 2015 (YouTube)

Midnight Moment Januar 2016 New York Times Square mit "Heart of a Dog" (YouTube)

"Walking the Dog" aus dem Album "United States Live" 1984 von Laurie Anderson (YouTube)