Die neue Kollegin für Qualitätskontrolle und der Finanzdirektor des Schlachthofs träumen Nacht für Nacht denselben Traum. Er träumt, ein Hirsch zu sein, sie eine Hirschkuh. Hirsch und Hindin berühren im verschneiten Wald sanft ihre Schnauzen. Doch die Menschenkörper haben in jenem heißen Sommer ihre Not, zueinander zu finden, in Ildiko Enyedis 2017 Berlinale-preisgekröntem Film "Körper und Seele", der jetzt als DVD herauskam.
Weiß wie Schnee und Rot wie Rosen – oder besser: wie das Blut – sind die koloristischen Grundakkorde dieses Films, der von zwei vereisten Seelen handelt. Erst sehen wir das Blut der Rinder fließen. Literweise wird es von den Kacheln gespült. Schließlich tönt Blut langsam das Wasser in der Badewanne in zartes Rosenrot, in der Mária sich die Pulsadern aufschneiden will.
Märchen dürfen nicht schlimm ausgehen, also endet doch alles gut. Doch bis dahin gibt es allerlei Verwechslungen. Wo früher eine Hexe oder mindestens eine Fee herhalten musste, die Knoten zu binden und zu lösen, tut es hier eine Psychologin, die in dem im urbanen und gesellschaftlichen Abseits gelegenen Schlachthaus einen Diebstahl aufklären soll.
Gestohlen wurde ein Potenzmittel für Stiere. Denn manche von ihnen sind dazu bestimmt, noch einmal zu zeugen, ehe sie sterben. Ein illegales Treiben. Angesichts so viel todbestimmter Körperlichkeit haben sich die Seelen des Traumpaares – im wahrsten Sinne des Wortes, denn nur dort sind sie ein Paar – schon längst davongemacht über alle Berge. Sie wussten nicht, wie nahe sie dabei einander waren. Denn jeder träumte für sich. Als sie es wussten, schreckten sie voreinander zurück. Dann versuchten sie es im wirklichen Leben, als gälte es eine Aufgabe zu lösen.
Die effiziente Organisation des Todes, an der so viele so versiert mit je ein paar Handgriffen beteiligt sind, macht es nicht nur möglich, mit dem Schrecklichen emotionslos umzugehen, es tötet in ihnen die Emotion selbst. Die sich aber doch noch eigene Fluchtwege sucht – als derber Spaß am Trieb bei den einen, als Erscheinung bei den anderen.
Die 1955 geborene ungarische Regisseurin macht es den Betrachtern nicht einfach. Verfremdungseffekte ins Hell-Dunkel-Gegenteil verkehrter Passagen voller metallischer Grautöne trennen Seelenlandschaften und reale gekachelte, stahlharte Wirklichkeit voneinander. Sie gilt es zu überwinden wie fahle Zwischenwelten des Hades. Und sie dringen vor bis in die wirklichen Welt und verwandeln die Angestellte vor ihrem Computer im Halbdunkel in ein nächtlich lauerndes Wesen gleich einer Spinne und die Gesichter der Liebenden in Masken.
Dabei ist die linkische, zarte, blonde Mária mit den haselnussbraunen Augen nur eine überaus korrekte Angestellte, die eigentlich nicht einmal glaubt, dass sie träumen kann und lieben kann, und dann Liebe spielt wie ein unwissendes Kind. Ihre Kompromisslosigkeit zieht den Finanzdirektor in ihren Bann, genauso wie jeden Zuschauer.
Kindern gelingt es noch heute leicht zu träumen, ein Tier zu sein. Erst viel später kommt dann bisweilen die seelische Not, die drängt, zu träumen, ein Vierbeiner zu sein - nicht zufällig in diesem Falle angesichts so vieler Tiertode. Das Tier wird den Tötern zur märchenhaft überhöhten Identifikationsfigur.
"Körper und Seele" ein Film von Ildiko Enyedi, Alamode Films, 111 Min., DVD 13,00 Euro, frei ab 12 Jahren.