BERLIN. (hpd) 20 Millionen Mal verkaufte sich Jiang Rongs Roman "Der Zorn der Wölfe" in China, den Jean-Jacques Annaud im Auftrag des chinesischen Staates unter dem Titel "Der letzte Wolf" verfilmte. Roman und Film sind in China absolute Publikumsrenner und künden von einer neuen Beziehung zwischen Mensch, Umwelt und Tier. Jetzt ist der Film hierzulande, wo er viel zu kurz in den Kinos war, auch als DVD zu haben.
Die Gefährlichen sind überraschenderweise die Grasfresser, die Gejagten. Wenn es die Wölfe nicht gäbe, würden die Antilopen, die Hasen und die Murmeltiere überhand nehmen und den Schafen der Mongolen das Gras wegfressen. So erklärt es der Chef des kleinen Clans bedächtig mit langer Pfeife im Mund dem jungen Literaturstudenten. Dennoch, die Obrigkeit will die Ausrottung der Wölfe, so ordnet es der Verwaltungschef des Distrikts an. Denn es ist längst nicht mehr Platz für alle.
Hungernde Ostmongolen wurden auf dem benachbarten Land angesiedelt, um auf dem kargen Boden Ackerbau zu treiben, der sich dafür nicht eignet. Mittellos treiben sie sich um den Dorfladen herum, um zu betteln und Organe von gewilderten Tieren als Arzneimittel zu verkaufen. Und die Wölfe umkreisen die Herden. Sie treiben die Regierungspferde in den Eissee, wo sie, sich im Todeskampf aufbäumend, so will es Jean-Jacques Annaud, zu bizarren Kadaverskulpturen erstarren, als hätte Gunther von Hagens Pate gestanden. Gierig sind alle, und nicht nur die Wölfe. Die erklimmen beharrlich selbst die hohen Mauern eines Pferchs und töten die Herde. Wie in einem geplanten Feldzug. Krallen graben sich ins Mauerwerk, Zähne ins Fell.
Es herrscht Krieg zwischen Mensch und Tier. Mitten in der Kampfzone will der Student im Arbeitseinsatz wenigstens einen Wolfswelpen retten und zieht ihn liebevoll auf. Wie eine Mutter macht er sich sorgenvoll zum Sklaven der Bedürfnisse des kleinen hilflosen Wesens, so urteilen die Mongolen. Darüber wird er zum Wolfsspezialisten, muss genau deshalb schließlich auf staatliche Anordnung hin die Wolfsjagd anleiten. So will es der Distriktverwalter.
Jiang Rong, eigentlich Jü Liamin und heute Literaturprofessor in Beijing – der Autorenname ist ein Pseudonym – verarbeitete in seinem ersten Roman eigene Erfahrungen aus den Zeiten der Kulturrevolution. Auch er wurde einige Jahre in die Mongolei verschickt. Heute ist das ein Thema, das man den renommierten Regisseur Jean-Jacques Annaud, der auch „Der Name der Rose“ ins Kino brachte, zu filmen beauftragte. Für einen offiziellen Cannes-Wettbewerbsbeitrag, was dann doch nicht so klappte, weil der Film mit diesem Regisseur nicht mehr als chinesisch durchging.
Doch der Film voller sattgrünem Weideland und blauem Himmel, den aber auch reichlich dramaturgisch effektvolle Sturmwolken verfinstern, hat immerhin Millionen Chinesen begeistert. Auch wegen der Liebesgeschichte zwischen dem Studenten und der verheirateten Tochter des Clan-Chefs. Die beiden müssen sich mit züchtigen Blicken und Worten zufrieden geben. Denn als die bildschöne junge Mutter schließlich verwitwet, weil ihr Mann von einem Wolf getötet wird, da entscheidet sie sich doch einen Ostmongolen zu heiraten, der Friedenspolitik willen.
Trotzdem oder gerade deshalb - die Welt der Jurtenbewohner ist nicht heil. Der wahre Held ist der junge Student, der die Konventionen durchbricht, das Unerwartete tut. Ins Krankenhaus stürmt, um etwas von dem wenigen dort vorhandenen und nicht verscherbelten Penizillin für den lebensgefährlich erkrankten Sohn seiner Angebeteten einzufordern. Er stellt sich schließlich sogar vor die Gewehrläufe, um die letzte Wölfin, die Mutter seines Welpen, wenigstens in Ruhe sterben zu lassen.
Und über allem wacht Tengri, der Geist des Himmels der Mongolen. Im Wolfshimmel. Während die irdischen Körper von Mensch und Tier dem ewigen Kreislauf von Fressen und Gefressenwerden anheimgegeben sind. Ein Schelm, wer da auch an den neuen chinesischen Kapitalismus denkt.
Universal-Films: "Der letzte Wolf", Regisseur Jean-Jacques Annaud, 114 Min, frei ab 12 Jahren, DVD 12,99 Euro
Die Fotos der Filmszenen stammen von der Webseite der Produktionsfirma "Universal Films".