Interview

"Die Nordkoreaner wollen keinen Krieg"

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Das Säbelrasseln zwischen Nordkorea und den USA wirft viele Fragen auf: Welchen Stand hat das Raketenprogramm von Nordkorea und welches Interesse steht dahinter? Welche Optionen gibt es, um eine Eskalation zu verhindern? Welchen Einfluss hat die deutsche Politik auf den Konflikt? Über diese und andere Fragen sprach der hpd mit Nicolai Sprekels, Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Vereins "Saram e.V.", der sich für Menschenrechte in Nordkorea einsetzt.

hpd: Warum kam es ausgerechnet jetzt zur Verschärfung der Situation? 

Nicolai Sprekels: Darauf muss man gleichzeitig zwei unterschiedliche Antworten geben, die zusammen die Erklärung liefern. Erstens: die Situation hat sich nicht verschärft, das täuscht. An der Situation hat sich eigentlich seit der Machübernahme durch Kim Jong Un in Bezug auf das Eskalationspotential auf nordkoreanischer Seite nichts geändert. Das nordkoreanische Regime hat eine konstante Linie weiterverfolgt, nämlich den Ausbau der Wirtschaft und des Nuklear- und Raketenprogramms. Am 4. Juli diesen Jahres wurde der erfolgreiche Test einer ICBM (Intercontinental Balistic Missile) gemeldet. Dass ihnen das irgendwann gelingt, war seit Jahren klar.

Zweitens: Donald Trump. Wer Nordkorea beobachtet, ist es gewöhnt aus Pjöngjang regelmäßig die niveaulosesten Tiraden zu hören, verkündet über KCNA, die staatliche Propaganda-Agentur, oder über die Funktionäre des Regimes. Man werde die Stadt Seoul (oder auch Washington D.C.) in "ein flammendes Inferno verwandeln" und die "erbarmungslose Vergeltung der glorreichen  Volksarmee wird die Imperialistenschweine und deren Marionetten [gemeint ist Südkorea] gnadenlos vernichten". Ein besonderes "Highlight" brachte z.B. der "nationale Verteidigungsrat" (NDC) am 27.12.2014, als sie erklärten, Barack Obama würde sich verhalten "wie ein Affe im Urwald". Das war in Bezug auf einen Hollywood Film, der Nordkorea nicht passte.

Normalerweise haben bisher andere Staaten darauf – wenn überhaupt – mit einem Kopfschütteln oder stillen Lächeln reagiert. Aber das ist jetzt anders, denn mit Donald Trump und Kim Jong Un haben sich wirklich zwei politische Rhetorik-Proleten gefunden. Trump ist der erste einflussreiche Politiker seit langem, der sich anscheinend mit dem Regime in Pjöngjang rhetorisch auf Augenhöhe messen will. Dabei scheint er leider nicht verstanden zu haben, worum es Nordkorea eigentlich in seiner internationalen politischen Zielsetzung geht – und das ist die einzige reale Gefahr, die sich momentan etwas verschärft hat. Nordkorea war nicht, ist nicht und wird nicht an einer militärischen Auseinandersetzung interessiert sein. Das einzig denkbare Szenario, in dem Nordkorea einen Krieg beginnt, wäre ein präventiver Erstschlag, wenn sie fest von einem Angriff der USA ausgehen. Und wer Trumps Gepöbel über "Feuer, Wut und Macht" ernst nehmen sollte, müsste ihn dann schon so verstehen, dass er zu einem Krieg bereit ist.

Welches Interesse verfolgt Nordkorea?

Selbsterhalt. Und zwar in dem Sinne, dass sowohl ihr politisches System, ihr soziales System bzw. Kastensystem und ihre Ideologie unverändert und ohne Einwirkungen von außen erhalten bleibt. Dazu kommt noch das Bedürfnis, in der internationalen Gemeinschaft als Staat anerkannt zu werden. Die Rhetorik aus Pjöngjang klingt zwar oft anders, aber das liegt einzig an der Staatsideologie, welche sich natürlich in der Rhetorik niederschlägt. Wenn also Nordkorea die militärische Vernichtung Südkoreas oder der USA über die staatliche Nachrichtenagentur ankündigt, dann ist das Innenpolitik und sollte nicht zu ernst genommen werden. Schließlich hat man das bisher auch nicht, aber Donald Trump scheint solchen Aussagen einen anderen Stellenwert zu geben. 

Wie passt das Ziel Selbsterhalt mit den Provokationen gegen die USA zusammen?

Nach eigenen Aussagen hat Nordkorea sein Atomprogramm vorangetrieben, um sicherzustellen, dass die USA nicht militärisch intervenieren – und das ist auch durchaus glaubwürdig. Dazu kommt, dass man bei Verhandlungen natürlich ein größeres Gewicht hat, wenn man über Nuklearwaffen verfügt.

Die Drohungen und Provokationen Seitens Nordkorea haben noch einen ganz anderen Hintergrund: Es ist ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Man muss das so sehen: Nach eigener Ansicht hat man das großartigste Land der Erde, bevölkert mit den "reinsten und edelsten Menschen der Welt", das beste Sozialsystem und die einzig sinnvolle Ideologie. Und natürlich den großartigsten Führer aller Zeiten und man ist auch sonst in allen Gebieten absolut herausragend. Und dann interessiert das den Rest der Welt überhaupt nicht. Da versucht man wenigstens gefährlich rüberzukommen. Wenn man mit Nuklearschlägen droht, kommt man weltweit in die Nachrichten.

Was das Regime am liebsten erreichen würde, ist eine internationale vollwertige Anerkennung als Rechtsstaat, befreit von allen Sanktionen und Vorwürfen. Aber dafür nach den Regeln zu spielen und die Menschenrechte seiner eigenen Bürger zu respektieren, kommt nicht in Frage. Und so fühlt sich Nordkorea weiter permanent zu Unrecht verurteilt und bedroht.

Kann man einschätzen, wie weit das nukleare Raketenprogramm des nordkoreanischen Regimes tatsächlich fortgeschritten ist? 

Nicht genau. Es gibt immer wieder Überraschungen wegen der permanenten Unterschätzung des Regimes. Auf der einen Seite wird heute immer noch häufig die Ernte mit Ochsenkarren eingebracht, auf der anderen Seite entwickelt man Interkontinentalraketen und hat auch schon einen Satelliten ins All gebracht, der allerdings nicht funktioniert. Nordkorea will sich natürlich nicht in die Karten schauen lassen und versucht den Rest der Welt im Unklaren zu lassen, welches militärische Potential man tatsächlich hat. So haben Experten immer wieder gesagt, dass Nordkorea frühestens in fünf bis zehn Jahren über Interkontinentalraketen verfügen könnte, bis das Regime dann vor kurzem eine solche erfolgreich getestet hat. 

Aber nicht nur die Atomwaffen sind eine Gefahr. Auch ganz konventionelle Artillerie, die in großer Zahl auf die Südkoreanische Hauptstadt Seoul ausgerichtet ist, würde bei einer militärischen Auseinandersetzung zum Einsatz kommen. Dabei gäbe es wohl in den ersten Stunden bereits hunderttausende Opfer, schließlich verfügt Nordkorea auch über chemische Waffen, die mit dieser Artillerie eingesetzt werden könnte. 

Einerseits hat Nordkorea, gemessen an der reinen Truppenstärke, die viertgrößte Armee der Welt. Auf der anderen Seite ist diese (bis auf die Elite-Truppen) extrem schlecht ausgerüstet – Stand der Technik ist Mitte 1900er Jahre. Diese Armee wird übrigens auch für Bauarbeiten und als Erntehelfer eingesetzt. Daher ist für das Regime die nukleare Abschreckung so wichtig. Man kann mit Sicherheit sagen, dass Nordkorea über mehr als 20 Nukleare Sprengköpfe verfügt, allerdings nicht, wie sie behaupten, über Wasserstoffbomben. Unklar ist dagegen, ob sie in der Lage sind, diese Bomben auf ihre Mittel- und Langstreckenraten zu montieren. Man geht eher davon aus, dass sie es nicht können. 

Eine wie auch immer geartete Auseinandersetzung hätte katastrophale Folgen, könnte aber von Nordkorea im Endeffekt niemals gewonnen werden – und das weiß man natürlich in Pjöngjang. Es wäre völlig unlogisch, bezogen auf das primäre Ziel des Selbsterhaltes, wenn Nordkorea es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen lassen würde. 

Vergessen wir aber eines nicht: Es handelt sich um Extremisten einer faschistoiden Ideologie, und diese neigen, wie wir aus der Geschichte wissen, zu extremen Reaktionen, wenn für sie nichts mehr zu gewinnen ist. Das ist das größte Gefahrenpotential bei dem ganzen Konflikt. Aber auf keinen Fall sollte man die Veröffentlichungen der Nordkoreanischen Nachrichtenagentur oder die Statements irgendwelcher Funktionäre ernst nehmen, was viele Journalisten leider immer wieder tun.

Wieso scheint die öffentliche Debatte hier so oft an der Realität vorbei zu gehen?

Nordkorea ist ein Thema, über das man sehr schwer konkrete Aussagen machen kann, wenn man sich nicht über einen längeren Zeitraum intensiv damit befasst hat. Man kann Nordkorea nur schwer mit anderen Regimen vergleichen. Die Ideologie und das politische System sind einzigartig. Selbst "renommierte Experten" begehen immer wieder die gleichen Fehler, so z.B. das Regime in Pjöngjang als kommunistische oder sozialistisch zu bezeichnen oder wegen eines Anwachsens des Wohlstandes der Oberschicht eine generelle sich verbessernde Situation in Nordkorea anzunehmen. Beides ist schlicht absurd. 

Ein besonders merkwürdiges Beispiel ist dabei der immer wieder als "renommiertester Nordkorea-Kenner" betitelte Wiener Ökonom und Ostasienwissenschaftler Rüdiger Frank. Dieser ließ sich in der Vergangenheit von Vertretern des Regimes in Pjöngjang herumführen und leitete aus diesen Eindrücken Prognosen über Nordkorea ab. Dabei bekam er natürlich nur gezeigt, was dem Regime genehm war. Veröffentlicht hat er dies unter anderem in seinem Buch "Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates". Das führte zu sehr kuriosen Situationen. Nachdem er bei den Vorstellungen seines Werkes behauptete, in Pjöngjang wäre die Bevölkerung durch wachsenden Wohlstand nicht mehr auf Schwarzmärkte angewiesen, fotografierten NGOs die nächtlichen Schwarzmärkte in Pjöngjang, um nur ein Beispiel zu nennen. Heute führt Rüdiger Frank selbst Touristen durch Pjöngjang. Wer sein Buch lesen möchte, dem möchte ich begleitend die Rezension von Martin Hyun bei Deutschlandfunk Kultur ans Herz legen.

Wenn man etwas über Nordkorea wissen möchte, bleibt einem eigentlich nur die Option mit Nordkoreanern zu sprechen, die nicht im Auftrag des Regimes sprechen und frei von Angst vor Repressionen des Regimes reden können. Und die gibt es in Nordkorea nicht. Aber es gibt mehr als 30.000 davon in Südkorea. Die meisten sind in den letzten 15 Jahren aus Nordkorea geflohen und kommen aus allen Klassen und Berufsfeldern. Da findet man reale Informationen über Nordkorea und die widersprechen komplett dem, was viele der Experten so äußern. 

Dann gibt es noch ein weiteres Problem, und das ist die koreanische Sprache. Diese ist außerhalb von Korea nicht sehr verbreitet und daher kommt es doch oft zu Übersetzungsfehlern. Ein Beispiel zur aktuellen Krise hat z.B. 38 North an der John Hopkins Universität beschrieben: Demnach wurde von Medien ein Statement von Ri Yong Ho, dem Außenminister Nordkoreas, so übersetzt, dass Nordkorea auf keinen Fall über seine Atomwaffen verhandeln werde. Dabei hatte er klargestellt, dass man nur so lange nicht darüber verhandeln werde, bis die USA ihre Bedrohung Nordkoreas eingestellt haben (Wie real diese Bedrohung ist, darf diskutiert werden). Bei solchen Fehlern sollte man keinen Vorsatz vermuten, aber es macht bei der Beurteilung der Situation doch einen großen Unterschied.

Welche Optionen stehen den USA zur Verfügung, um auf die aktuelle Lage zu reagieren?

Genau genommen keine, das ist das Problem. Auf beiden Seiten, USA und Nordkorea, geht es um Reputation und Image. Beide Regierungen ziehen rote Linien und versuchen diese dann durchzusetzen. Wenn das nicht gelingt, ist es peinlich. Und das weiß die andere Seite natürlich. Momentan sind diese roten Linien beiderseits weit über den tolerablen Grenzen gezogen, aber eine militärische Durchsetzung der Einhaltung dieser roten Linien steht nicht zur Debatte.

Im Kern geht es um die Nuklearfrage. Nordkorea ist nicht bereit, völlig auf Atomwaffen zu verzichten, diese sieht man als die eigene Überlebensgarantie. Die USA dagegen halten ein nukleares Nordkorea für absolut indiskutabel. An dieser Stelle sind jetzt alle Gespräche festgefahren, bzw. ausgesetzt.

Dabei sollte unbedingt erwähnt werden, dass die Menschenrechtslage in Nordkorea aktuell die verheerendste überhaupt ist. Öffentliche Exekutionen, Sippenhaft über drei Generationen, Sklaverei, systematisches aushungern unliebsamer Bevölkerungsteile, Arbeits- und Konzentrationslager u.v.m., das alles unter einer faschistoiden Erbfolge-Diktatur. Doch das zu ändern, scheint für die USA keine besondere Priorität zu haben. Dabei haben die Vereinten Nationen bereits eindeutig gezeigt, dass gerade dies zu thematisieren ein sinnvoller Hebel sein kann. Als im März 2014 der Untersuchungsbericht der UN-Untersuchungskommission zu Nordkorea veröffentlicht wurde, hat Nordkorea extrem verunsichert reagiert, denn die eigene internationale Reputation ist Nordkorea sehr wichtig.

Was müsste am ehesten getan werden, um eine Eskalation zu verhindern?

Wie schon gesagt, es ist ja nicht so, dass man plötzlich kurz vor einem Krieg stehen würde. Aber um die angespannte Lage wieder etwas zu deeskalieren, müsste zuerst einmal wieder etwas mehr Rationalität in die außenpolitische Argumentation der USA gegenüber Nordkorea zurückkehren. Dann wäre nach einer Langzeitstrategie gefragt, mit der man eine stabile Situation in der Region erreichen könnte. Dabei spielt natürlich China eine bedeutende Rolle. Was dabei aber unweigerlich auf der Strecke bleiben wird, sind die Menschenrechte der Nordkoreaner. Ein stabiles Regime in Nordkorea wird hier keine erheblichen Verbesserungen aufkommen lassen. 

Aber es gibt noch weitere Interessen an der Zukunft der koreanischen Halbinsel. Südkorea formuliert den Wunsch nach einer Wiedervereinigung, was übrigens auch Nordkorea immer wieder, zumindest verbal, fordert. Leider scheint in absehbarer Zeit kein Schritt in Richtung Wiedervereinigung zu passieren, denn die Situation der bilateralen Gespräche zwischen der Südkorea und der Nordkorea ist in jeder Hinsicht festgefahren. Daran konnte auch der neu gewählte Südkoreanische Präsident Moon Jae In bisher nichts ändern, obwohl er das Ziel einer Rückkehr zum Dialog mit Nordkorea verfolgt.

Man sollte hier etwas Vertrauen zur Rolle der Volksrepublik China haben. Diese ist nicht, wie so oft behauptet, der "engste Verbündete" von Nordkorea. Im Gegenteil, man wäre das Problem der unkooperativen Führung in Pjöngjang eigentlich gerne los. Allerdings nur so, dass keine amerikanischen Truppen in Nordkorea stehen, also an Chinas Grenze. Während also die USA momentan durch ihre Statements den Konflikt unnötig anheizen, versucht China deeskalierend auf alle Beteiligte einzuwirken.

Ansonsten ist es für eine Deeskalation unbedingt nötig, Ruhe zu bewahren. Dass Nordkorea die angekündigte "Test-Bombardierung" von Guam (wo die USA einen Militärstützpunkt unterhalten) nicht durchziehen würde, war zu erwarten. Das hätte ein zu hohes Risiko mit sich gebracht, dass die USA militärisch reagieren. Die Nordkoreaner wollen keinen Krieg, auch wenn sie das nicht so gut vermitteln.

Kann man abschätzen was passieren würde, wenn es zur militärischen Eskalation käme?

Teilweise sogar sehr genau. Wie schon erwähnt, hat Nordkorea eine Unmenge an Artillerie auf Südkoreas Hauptstadt Seoul gerichtet, die auch chemische Waffen abfeuern können. Was das ist einer so dicht besiedelten Stadt wie Seoul auslösen würde, ist ein absolutes Horrorszenario. Nordkorea dann generell zu besiegen und zu besetzen, wäre wohl noch machbar, aber es ist unklar, wie viele Teile der nordkoreanischen Armee bereit wären, erbittert gegen eine amerikanische oder internationale Armee zu kämpfen. Falls die sich zu einem erbitterten Guerilla-Kampf entschließen, wäre das Land für die USA wohl unmöglich besetzt zu halten. Und dann kommt das eigentliche Problem: China wird wohl kaum gelassen zusehen, wie die USA eine gigantische Armee direkt an ihrer Grenze einsetzen. Das war schon im Koreakrieg eine fatale Fehleinschätzung der Amerikaner. In dem Moment, wo ihre Truppen die chinesisch-koreanische Grenze erreicht hatten, warf China rund eine halbe Million sogenannter "Freiwilliger" in den Kampf. Für die US-Army war das, was dann folgte, der kopfloseste Rückzug in ihrer gesamten Militärgeschichte. Nun hat sich zwar seitdem viel in den internationalen Beziehungen geändert, aber China wird weiterhin auf keinen Fall Amerikanische Truppen an seiner Grenze akzeptieren. Alles Weitere wäre jetzt natürlich reine Spekulation, aber das Gefahrenpotential ist damit wohl beschrieben. 

Man könnte generell sagen: Selbst wenn man den denkbar "positivsten Ausgang" einer militärischen Eskalation annimmt, würde es eine gigantische Opferzahl auf allen Seiten geben. Im schlimmsten Fall würde die ganze Region inklusive China, Japan und den USA in eine Auseinandersetzung geraten. 

Ist ein Dialog mit dem Regime in Nordkorea überhaupt möglich? 

Natürlich. Nordkorea möchte unbedingt einen Dialog führen, aber dabei werden sie – zu Recht – nicht als die ultra-starke Supermacht behandelt, als die man gerne wahrgenommen werden würde, worauf dann wieder kontraproduktiv reagiert wird. Auf der anderen Seite sind die USA aber auch nicht der geeignetste Dialogpartner, da sie per nordkoreanischer Ideologie als das ultimative Böse und Staatsfeind Nr. 1 angesehen werden. Nordkorea hat ganz konkrete Wünsche an die USA, dazu gehören an allererster Stelle Verhandlungen über einen Friedensvertrag. Dazu wiederum müssten allerdings die USA die Führung in Pjöngjang und Nordkorea als Atommacht anerkennen, und das wird wohl in absehbarer Zeit nicht passieren. 

Ein weiteres Problem auf Seiten Nordkoreas ist das generelle und systematische Nicht-Einhalten von Verträgen und Vereinbarungen. Das macht den Dialog natürlich sehr schwierig. 

Stattfindender Dialog mit anderen Ländern, die aufgrund ihrer Entfernung eine relativ neutrale Rolle haben, wie z.B. England, Schweden, Deutschland, Schweiz u.a., verläuft etwas produktiver und hat, meiner Meinung nach, auch noch Luft nach oben.

Welche Rolle spielen Russland und China in diesem Konflikt?

Was Russland betrifft, vermag ich das nicht genau zu sagen. Russland teilt sich ein paar Kilometer Grenze mit Nordkorea und es gibt ein wenig Handel zwischen den beiden Ländern. Dazu sind in den letzten Jahren ein paar weitere Vereinbarungen getroffen worden, zum Beispiel über das Ausliefern von Flüchtlingen aus Nordkorea.

Aber Chinas Rolle ist da relativ klar. China ist nicht der "einzige Verbündete Nordkoreas". Überhaupt nicht. Nordkorea ist für China einfach nur lästig, da es so viel Unruhe in die internationale Politik der Region bringt. Andererseits stellt Nordkorea aber, wie schon erwähnt, eine Pufferzone zwischen China und den Streitkräften der USA dar – denn in Südkorea sind 28.000 GIs stationiert. 

In den letzten Jahren hat China seine Position zu Nordkorea mehr und mehr geändert. Zuerst blieben befürchtete Vetos im Weltsicherheitsrat aus, dann wurde Nordkorea von China immer mehr kritisiert, worauf Pjöngjang dann mit lauter Kritik an China begann. In dem momentanen gegenseitigen Drohungen zwischen Nordkorea und Donald Trump hat China sich um Deeskalation gegenüber beiden Seiten bemüht und vor zwei Tagen sogar die UN Sanktionen umgesetzt, was bedeutet, dass man den Handel mit Nordkorea eingestellt hat. Zwischen 80 und 90 % des gesamten Handels Nordkoreas findet, bzw. fand, mit China statt. Daher ist Chinas Einfluss auf die DVRK nicht zu unterschätzen. Auch wenn Menschenrechte in Nordkorea für China keine Priorität haben (Flüchtlinge werden beispielsweise nach Nordkorea zurückdeportiert), muss man ganz klar sagen: wie auch immer man auf Nordkorea politisch einzuwirken versucht, ohne Kooperation mit China hat es wenig Aussicht auf Erfolg.

Das klingt alles so, als bräuchte man eine ganz andere Langzeitstrategie, um die Situation bezüglich Nordkoreas in den Griff zu bekommen? 

Solange man nur versucht einzelne Zuspitzungen der Dauerkrise Nordkorea zu entschärfen, verschiebt man das Problem immer nur um ein halbes oder ganzes Jahr. Bis letztes Jahr war da sogar ein regelmäßiger Eskalationsrhythmus. Da ließ sich genau vorhersagen, wann sich der Ton verschärfen würde und wann das Säbelrasseln wieder vorbei ist. Das folgte festen Ereignissen, wie Truppenübungen und Führergeburtstage. Und jedes Jahr wurde dann in vielen Medien von einer möglichen Eskalation und Kriegsgefahr berichtet. Nun hat sich dieser Rhythmus aber verschoben, da die Interessenlage eine andere ist und die USA einen neuen Präsidententypus haben.

Generell gilt es langfristig sowohl für einen stabilen Frieden in der Region als auch für die Durchsetzung von Menschenrechten für die Nordkoreanische Bevölkerung zu sorgen. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Nordkorea sind wirklich einzigartig. Die Schwierigkeit besteht darin, dass das mit dem aktuellen Regime nicht zu erreichen sein wird. Eine vielversprechende Langzeitstrategie fehlt bisher, allerdings gibt es international verschiedene Ansätze, die bereits aktiv genutzt werden. Einer der vielversprechendsten ist es, Informationen in das isolierte Nordkorea zu bringen, um die Bevölkerung einerseits über den Rest der Welt zu informieren und sie andererseits von Ihrem Glauben an das Regime abzubringen. Ein zweiter Ansatz ist es, die Devisenbeschaffungsmaßnahmen Nordkoreas anzugreifen. Hierbei geht es um Tourismus und um Zwangsarbeiter, die das Regime in alle Welt verschickt – auch nach Europa. Nordkorea ist sehr bemüht Touristen anzuziehen, und es gibt genug Menschen, die sich hier im doppelten Sinne zu Helfershelfern machen. Einerseits organisieren und werben sie für die Reisen nach Nordkorea, wodurch das Regime an Devisen gelangt, andererseits streuen sie so viele offensichtliche Fehlinformationen, das wir begonnen haben zu prüfen, ob man sie rechtlich zur Mitverantwortung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit ziehen kann. 

Mit dem Angriff auf die Devisenbeschaffungsmaßnahmen nimmt man dem Regime selbst eine wesentliche Stütze, ohne, dass es Auswirkungen auf die Bevölkerung hat.

Welchen Einfluss hat die deutsche Politik auf den Konflikt?

Ich denke, einen sehr viel größeren, als sich so mancher gerne eingestehen würde. Das liegt vor allem daran, wie Deutschland in Nordkorea betrachtet wird. Allerdings bleibt der mögliche Einfluss bisher in Teilen völlig ungenutzt. Die historischen und kulturellen Parallelen haben ein gewisses Vertrauensverhältnis geschaffen. Die DDR hatte damals beim Wiederaufbau Nordkoreas massiv geholfen, was heute noch eine gewisse Sympathie mit sich bringt. Dazu gab es unter anderem Austauschreisen und Wirtschaftshilfe, woraus natürlich eine gewisse Freundschaft entstand. 

Dann ist es in Deutschland zu einer erfolgreichen Wiedervereinigung gekommen, was sich die Nordkoreaner ja eigentlich auch wünschen, und die BRD gilt hier als ein Symbol der Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft, auch wenn im Fall BRD / DDR aus Sicht Nordkoreas "die falsche Seite" gewonnen hat. Dazu hat die BRD Nordkorea als Staat anerkannt, unterhält eine Botschaft in Pjöngjang, leistet humanitäre Hilfe und Aufforstungshilfe, hat Studenten- und andere Austauschprogramme, schickt NGOs nach Nordkorea und vieles mehr.