Noch vor der Sommerpause könnte über eine Neuregelung der Sterbehilfe entschieden werden. Die Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci (SPD) spricht sich für eine neues Strafgesetz aus, das die Selbstbestimmung am Lebensende gravierend einschränken soll. Was ist davon zu halten?
Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das 2015 beschlossene "Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" (§ 217 StGB) aufgrund seiner "autonomiefeindlichen Wirkung" für verfassungswidrig erklärt. Vor diesem Hintergrund wird nun fraktionsübergreifend über eine Neuregelung der Suizidassistenz diskutiert. Doch die politische Debatte ist weiterhin von Missverständnissen geprägt, die den Zugang zu einer faktenbasierten, rationalen und weltanschaulich neutralen Auseinandersetzung versperren. So weist insbesondere der Gesetzentwurf von Lars Castellucci erhebliche Mängel auf, die zu massiver Kritik geführt haben. Denn für eine wissenschaftlich adäquate und juristisch tragfähige Regelung müssen folgende Punkte berücksichtigt werden:
1. Die Zulässigkeit der Suizidassistenz folgt einer bewährten Rechtstradition
Die Sterbehilfe-Debatte wird seit Jahren von einem grundlegenden Missverständnis begleitet: Oftmals wurde der Eindruck vermittelt, dass über die Freigabe des assistierten Suizids diskutiert werden müsse. Dabei kann nichts erlaubt werden, was nicht verboten ist. Die Zulässigkeit der Freitodhilfe folgt in einer bewährten Rechtstradition, die bis ins Jahr 1871 zurückreicht: Wenn der Suizid(-versuch) erlaubt ist, scheidet eine strafbare Beihilfe aus. Das 2015 beschlossene Verbot professioneller Sterbehilfe (§ 217 StGB) hat mit dieser Rechtstradition gebrochen, die 2020 durch das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts wiederhergestellt werden musste.
Grundsätzlich gilt: Nicht die individuelle Selbstbestimmung ist rechtfertigungspflichtig, sondern staatliche Eingriffe in die privaten Belange der Bürgerinnen und Bürger. Zurückhaltung ist im freiheitlichen Verfassungsstaat insbesondere beim Einsatz des Strafrechts geboten, das als "schärfstes Schwert" nur als Ultima Ratio gewählt werden darf. Wenn ein Gesetz nicht erforderlich ist, dann ist es erforderlich, kein Gesetz zu erlassen. Wenn ein Gesetz darüber hinaus potenziell schädliche Wirkungen entfaltet, dann darf es nicht erlassen werden. Die Regelung der Suizidassistenz in Form eines neu gefassten Paragrafen 217 StGB, wie es der von Lars Castellucci eingebrachte Gesetzentwurf vorsieht, ist daher schon allein aus strafrechtstheoretischen Gründen abzulehnen.
2. Bisher liegen keine Hinweise auf einen Dammbruch vor
Gegen die organisierte Sterbehilfe wird argumentiert, dass sie zu einer Normalisierung des Suizids und damit zu einem gesellschaftlichen Dammbruch führen könnte. Bislang gibt es jedoch keine empirischen Hinweise, welche diese Befürchtung belegen. 2021 verhalf der Verein Sterbehilfe nach eigenen Angaben 129 Menschen zum Suizid; 97 nahmen die Hilfe von Dignitas Deutschland in Anspruch, während 120 Menschen durch Vermittlung der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) beim Sterben begleitet worden sind. Bei 1.023.723 registrierten Todesfällen machen die Sterbehilfe-Fälle der genannten Organisationen gerade einmal 0,0338 Prozent der Gesamttodesfälle aus. Von einer "Normalisierung" kann also zumindest im statistisch-quantitativen Sinne nicht die Rede sein.
Ohnehin ist für den Nachweis eines möglichen Dammbruchs weder die absolute Zahl der Sterbehilfe-Fälle noch ihr prozentualer Anstieg entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, ob sich eine Kultur etabliert, in der Menschen fremdbestimmt und damit gegen ihre persönliche Würdevorstellung sterben müssen. Demnach wäre auch eine Zunahme an begleiteten Suiziden zu akzeptieren, sofern die dahinterstehenden Entscheidungen ernsthaft, dauerhaft und freiverantwortlich getroffen werden. Sollte sich entgegen der bisherigen (auch internationalen) Erfahrung abzeichnen, dass die organisierte Sterbehilfe zu sozialem und psychischem Druck führt, müsste effektiv gegengesteuert werden. In jedem Fall aber wäre ein Dammbruch- beziehungsweise Fehlentwicklungs-Risiko in seinen ethischen Voraussetzungen zu begründen und faktenbasiert zu belegen, was bisher nicht erfolgt ist. Stattdessen ist anzuerkennen, dass im Laufe des 150-jährigen Bestehens der liberalen Rechtslage in Deutschland kein Dammbruch eingetreten ist.
3. Bei mündigen Bürgern ist von Freiverantwortlichkeit auszugehen
Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Sterbehilfe betont, hat der Gesetzgeber "die Entscheidung des Einzelnen, entsprechend seinem Verständnis von der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz dem Leben ein Ende zu setzen, […] als Akt autonomer Selbstbestimmung anzuerkennen." Demnach stehen nicht Sterbewillige in der Pflicht, die Freiverantwortlichkeit ihrer Entscheidung zu beweisen; stattdessen müssen begründete Zweifel an der Einsichts- und Urteilsfähigkeit vorliegen, um eine Freiverantwortlichkeit auszuschließen. Wenngleich weitergehende Sorgfaltsbedingungen an die Suizidhilfe gestellt werden dürfen, ist nicht ersichtlich, warum bei einem assistierten Suizid grundsätzlich anders verfahren werden sollte als beim jährlich vieltausendfach praktizierten Abbruch oder Verzicht auf potenziell lebenserhaltende Therapien. In beiden Fällen stehen bereits hinreichende Mittel zur Verfügung, um strafwürdige Aktivitäten zu sanktionieren: Die Teilnahme an einem unfreien Suizid ist nach geltendem Recht ebenso verboten wie ein Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, in den die Betroffenen nicht eingewilligt haben. So macht sich wegen Totschlags (ggf. sogar Mords) strafbar, wer eine unfreie Selbsttötung veranlasst, ermöglicht oder fördert.
Gelegentlich wird angezweifelt, ob Suizide überhaupt freiverantwortlich sein können, da sich die dahinterstehenden Beweggründe auf eine psychische Erkrankung zurückführen ließen. Wissenschaftliche Studien weisen jedoch darauf hin, dass suizidales Verhalten nicht zwangsläufig mit einem psychiatrischen Störungsbild einhergehen muss: Zwar erhöhen psychische Erkrankungen das Risiko eines Suizids um das bis zu 30- bis 50-Fache gegenüber der Allgemeinbevölkerung; eine Reduzierung beziehungsweise Rückführung jedes Sterbewunsches auf eine (vermutete) Krankheit ist vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungslage jedoch unzulässig. Ebenso wäre es verfehlt, Suizidwünsche von psychisch erkrankten Personen pauschal als Ausdruck eingeschränkter Urteilsfähigkeit zu verstehen. Suizide gründen in der Regel auf einem komplexen Geflecht von Motiven und psychischen Konstellationen, die freiverantwortliche Entscheidungen nicht ausschließen müssen.
4. Palliativmedizin und Freitodhilfe sind keine Gegensätze
Die moderne Palliativmedizin verfügt heute über beachtliche Möglichkeiten, schwerstkranken Patienten schmerz- und leidlindernd beizustehen. In der Sterbehilfe-Debatte wird sie daher regelmäßig als Alternative zum assistierten Suizid dargestellt. Doch selbst bei bestem Einsatz aller derzeit bestehenden Behandlungsangebote kann längst nicht allen Patienten geholfen werden, die in der Spätphase einer unheilbaren Krankheit einen Suizid in Betracht ziehen. Denn die meisten sterbewilligen Patienten wünschen sich den frühzeitigen Tod nicht deshalb herbei, weil sie unter Schmerzen, Übelkeit oder Luftnot leiden; im Vordergrund steht für sie vielmehr der als unerträglich empfundene Autonomie-, Partizipations- und Würdeverlust. Wohlwissend um die Potenziale der Palliativmedizin betrachten sie den assistierten Suizid als diejenige Option, welche am ehesten ihrer persönlichen Würdevorstellung entspricht. Ihr Selbstbestimmungsrecht umfasst nicht nur die Freiheit, medizinische Eingriffe abzulehnen, sondern auch die Entscheidung, das eigene Leben mit Hilfe Dritter zu beenden. Sie ist selbst dann zu respektieren, wenn sie von den allgemein in der Gesellschaft vorherrschenden Vorstellungen abweicht. Folglich darf es keine paternalistisch festgelegte Pflicht zur Inanspruchnahme palliativmedizinischer Behandlung geben.
Die Zulässigkeit der geschäftsmäßigen Sterbehilfe steht dem notwendigen und einhellig geforderten Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung keineswegs entgegen. Im Gegenteil: Eine Kriminalisierung des assistierten Suizids würde Ärzte und Pflegekräfte in Hospizen und Palliativstationen erheblichen Strafbarkeitsrisiken aussetzen. So lassen sich die regelmäßige Abgabe größerer, potenziell tödlicher Dosen von Schmerzmitteln im Rahmen einer ambulanten Palliativversorgung oder die Unterstützung des Sterbefastens als "geschäftsmäßig" und strafbar bewerten. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich verschiedene Formen der Sterbehilfe nicht immer trennscharf unterscheiden lassen und daher schwer zu bestimmen sind. Ein neues Strafgesetz ist kein geeignetes Instrument, um hierbei Rechtssicherheit zu schaffen.
5. Sterbehilfe sollte von Experten geleistet werden
Gerade bei sensiblen Entscheidungen über Leben und Tod sind Experten gefragt, die erstens über ausreichend psychosoziales und medizinisches Know-how verfügen und zweitens ihre Tätigkeiten und Entscheidungskriterien transparent offenlegen und dokumentieren. So wäre es zweifellos unvertretbar, wenn ein Schwangerschaftsabbruch zwar von Angehörigen ohne Fachwissen, nicht aber von ausgebildeten Ärzten durchgeführt werden dürfte. Mit einem neuen Paragrafen 217 StGB sollen jedoch ausgerechnet Laien das tun dürfen, was Ärzten und Sterbehilfe-Organisationen aufgrund ihrer geschäftsmäßigen (d. h. auf Wiederholung angelegten, professionellen) Tätigkeit untersagt wäre. Dadurch würde nicht nur das Risiko steigen, dass schwerstleidende Betroffene und ihre Angehörigen in existenzieller Not auf sich allein gestellt sind; es wäre auch zu befürchten, dass vermehrt dilettantische und gewaltsame Suizidmethoden zum Einsatz kommen, die vermeidbares Leid verursachen. Eine Kriminalisierung der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ist daher aus rechtsdogmatischer Perspektive inkohärent und verletzt zudem die Fürsorgepflicht des Staates.
Selbstverständlich dürfen Ärzte nicht dazu verpflichtet werden, Sterbehilfe zu leisten. Indessen darf ihnen nicht untersagt werden, Patienten nach eigenem Gewissen und gemäß berufsethischen Vorgaben bei der Umsetzung ihres Selbstbestimmungsrechts mit tauglichen Mitteln zu unterstützen. Insbesondere Hausärzte sind mit der Persönlichkeit und den Lebensumständen ihrer Patienten vertraut und somit geeignete Ansprechpartner bei Sterbewünschen. Wie Umfragen zeigen, besteht innerhalb der Ärzteschaft durchaus Bereitschaft, Hilfe beim Suizid zu leisten. Erfahrungen aus dem Ausland legen zudem nahe, dass die Akzeptanz des ärztlich assistierten Suizids keine Gefahr für das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten darstellt. Ärzte wurden eher abgelehnt, wenn sie sich offen gegen die Suizidhilfe aussprachen.
Zur Koordination der einzelnen Verfahrensschritte (Beratung, Bewertung, Begleitung, Durchführung, Supervision) ist der Aufbau eines multiprofessionellen Netzwerks erforderlich, das interdisziplinäre Expertise bündelt und – analog zu den bestehenden Palliativ- und Hospiznetzen – eine niedrigschwellige Anlaufstelle für sterbewillige Menschen ermöglicht. Hierbei sind zur Unterstützung bereite Ärzte einzubeziehen. Sollten sie an einem freiverantwortlichen Suizid teilnehmen, darf ihnen daraus kein Nachteil erwachsen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Ärzte, die bei konfessionellen Trägern angestellt beziehungsweise tätig sind. Auch dort muss die Ausübung des Rechts auf Inanspruchnahme von Suizidhilfe garantiert sein.
6. Sterbehilfe-Organisationen sind Partner bei der Suizidprävention
Für viele Menschen wirkt allein die Gewissheit, im Notfall professionelle Hilfe erhalten zu können, derart beruhigend, dass sie dem Ende des Lebens gelassener entgegensehen. Sterbehilfe-Organisationen können an diesem Punkt ansetzen und eine suizidpräventive Wirkung entfalten: So weist der Verein Sterbehilfe darauf hin, dass sich 87 Mitglieder im Jahr 2021 für das Weiterleben entschieden haben, nachdem sie "Grünes Licht" erhalten hatten. Neben Suizidbegleitungen wird die Suizidprävention als zweiter Schwerpunkt der Vereinsarbeit angesehen. Darüber hinaus betreibt die DGHS eine niedrigschwellige Anlaufstelle für Menschen mit Suizidgedanken, um kurzschlüssige Verzweiflungssuizide zu verhindern und wohlerwogene Bilanzsuizide zu ermöglichen. Wer die Anzahl der unfreien Suizide und Suizidversuche reduzieren möchte, sollte professionelle Sterbehilfe-Organisationen daher als Partner bei der Prävention betrachten. Denn Betroffene wenden sich verständlicherweise eher an Institutionen, die eine enttabuisierte und ergebnisoffene Beratung anbieten, statt Suizidgedanken von vornherein zu pathologisieren.
7. Eine Beratungspflicht für Betroffene ist unzulässig
Alle derzeit vorliegenden Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Sterbehilfe sehen eine Beratungspflicht für Sterbewillige vor. Dies kollidiert allerdings mit geltenden Grundsätzen des Patientenschutzes: Gemäß Paragraf 630e Absatz 3 BGB können Patienten jederzeit auf eine Aufklärung verzichten. Sterbewillige stehen also nicht in der Pflicht, sich im Falle einer angestrebten Suizidhilfe beraten zu lassen; stattdessen sind professionelle Sterbehelfer dazu verpflichtet, medizinische Aufklärung zu gewährleisten, wenn ein Medikament verschrieben und zur Verfügung gestellt wird. Eine Beratungspflicht ist daher nicht an den Sterbewilligen, sondern an Ärzte beziehungsweise Sterbehelfer zu adressieren. Denn die eigenverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende bedarf, wie auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts klarstellt, keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung.
Persönliche Beratungsgespräche dürfen weder auf den assistierten Suizid noch auf das unbedingte Weiterleben abzielen, sondern müssen neutral und ergebnisoffen geführt werden. Hierbei sind bestehende (insbesondere palliativmedizinische) Alternativen zum assistierten Suizid aufzuzeigen, um die individuelle Entscheidungskompetenz der Betroffenen zu stärken.
8. Ein Verbot der Suizidassistenz steht in Konflikt mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates
Im Zuge der gesellschaftlichen Säkularisierung wurde das religiöse Dogma von der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens zunehmend abgelöst. An seine Stelle trat die Vorstellung eines autonomen Subjekts, das für sich in Anspruch nimmt, frei über den Zeitpunkt und die Art des eigenen Sterbens zu entscheiden. Entsprechend deutlich fallen Umfragen zu den Einstellungen der Bevölkerung zur Sterbehilfe aus: 2021 befürworteten 75 Prozent der deutschen Bevölkerung die Straffreiheit des assistierten Suizids; nur 15 Prozent sprachen sich für ein Verbot aus.
Der Staat muss die Pluralität der Würdedefinitionen seiner Bürgerinnen und Bürger hinreichend berücksichtigen. Gesetze dürfen daher nicht auf partikularen Vorstellungen vom "Guten" gründen, sondern müssen den Geboten der Unparteilichkeit und der Begründungsneutralität folgen. Andernfalls würde sich der Gesetzgeber zum Anwalt einer spezifischen Weltanschauung machen und deren Werte zur allgemeinverbindlichen Norm erheben. Dies wäre jedoch unweigerlich mit einem Verstoß gegen das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität und das Diskriminierungsverbot der Verfassung (Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 1, Art. 140 GG) verbunden.
Einem Katholiken muss es möglich sein, den "natürlichen Tod" vorzuziehen und auf die Möglichkeit der Sterbehilfe zu verzichten. Zugleich darf ein Atheist nicht daran gehindert werden, sein Leben mit Hilfe Dritter vorzeitig zu beenden. Eine Neukriminalisierung der geschäftsmäßigen Sterbehilfe würde gegen diese Vorgabe unzulässig verstoßen. Denn Sterbehilfe-Befürwortern würde abverlangt, ihr Selbstbestimmungsrecht zugunsten fremder Würdevorstellungen aufzugeben. Die Freiheit der Sterbehilfe-Gegner wird durch die Zulässigkeit des assistierten Suizids hingegen nicht tangiert. Von einem neuen Paragraf 217 StGB ist daher nicht zuletzt auch aus demokratie- und gerechtigkeitstheoretischer Perspektive abzusehen.
Der Text basiert auf der Stellungnahme "Den letzten Weg selbst bestimmen", die als Broschüre des Hans-Albert-Instituts (HAI) im Februar 2023 veröffentlicht wurde.
10 Kommentare
Kommentare
G.B. am Permanenter Link
Meines Erachtens wird Sterbehilfe nur deswegen verhindert, weil die Kirchen in ihren
Eine längst überfällige Freigabe der Sterbehilfe würde den Kirchen eine sprudelnde Einnahmequelle versiegen lassen.
Da es den Kirchen noch nie um Erleichterungen oder freie Entscheidungsmöglichkeit der Menschen gegangen ist, sondern einzig um Macht über und Menschen und Geld von den Menschen immer das Ziel war.
Ludwig A. Minelli am Permanenter Link
Es wäre zu begrüssen, wenn alle Mitglieder des Bundestages diese kristallklaren Ausführungen zur Kenntnis nehmen würden. Dies nicht zuletzt, um dem Ansehen des deutschen Parlamentes keinen Schaden zuzufügen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020, mit welchem § 217 des deutschen Strafgesetzbuches - Geschäftsmässige Förderung der Selbsttötung - als grundgesetzwidrig und von Anfang an nichtig erklärt worden ist, ist dermasssen klar, dass unverständlich erscheint, wieso ein Bundestagsabgeordneter, der an einer Hochschule lehrt, auf die Idee kommen kann, diesen nichtigen Paragraphen nur leicht verändert neu vorzuschlagen: Kann der Mann nicht lesen, oder ist er urteilsunfähig?
Für mich als Juristen ist es sehr klar: Würde der Bundestag den Vorschlag der Gruppe um Prof. Castellucci als Gesetz beschliessen, dürfte der Gang nach Karlsruhe mit grosser Wahrscheinlichkeit schon auf dem kurzen Wege zum Erfolg, das heisst zur Verwerfung des wiederholten § 217 StGB führen. Das würde gleichzeitig bedeuten, dass das deutsche Parlament offensichtlich in dieser Hinsicht nicht lernfähig, sondern geistig beschränkt wäre.
wolfgang am Permanenter Link
Sterben heißt zu der Ruhe zurückzukehren, aus der man hervorgegangen ist.
Gebt dem Tod seine Würde zurück!
G. Hantke am Permanenter Link
„Warum Sterbehilfe nicht verboten werden sollte“
„Sollte“?
Die Überschrift des Artikels suggeriert, daß Sterbehilfe durchaus auch verboten werden könnte (dürfte).
Das ist zwar richtig. Natürlich kann sie (erneut) verboten werden. Das Parlament kann jeden Mist beschließen. Das wäre halt nur verfassungswidrig, was spätestens seit dem Urteil des BVerfG zu § 217 auch der letzte Dödel begriffen haben müßte.
Doch wen kümmert dies außer den Betroffenen? Was haben Parlamentarier zu befürchten, wenn sie erneut gegen die Verfassung abstimmen? Natürlich nicht aus Vorsatz - aus vorgeschobener Blödheit gewissemaßen.
Es war und ist meine feste Überzeugung, daß schon der § 217 im Bewußtsein seiner (in meinen Augen offensichtlichen) Verfassungswidrigkeit beschlossen wurde. Und in der Erwartung, daß er vom BVerfG aufgehoben würde. Nur eben weder morgen noch übermorgen, sondern erst nach mehreren Jahren. Und bis dahin (mindestens) laufen die einträglichen Geschäfte der Sterbehilfeverhinderungsindustrie munter weiter.
Und genau darum geht es – damals wie heute – zu retten, was zu retten ist. Entgegen übrigens auch der Meinung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung.
Erneut wird versucht, mit juristischen Klimmzügen dem Sterbewilligen Steine und Balken in den Weg zu legen und gar mit dem Strafrecht zu drohen.
Wir werden im Kreis gedreht.
Willi Meinert am Permanenter Link
wenn sich Castellucci durchsetzt, werde ich diese Partei nach 54 Jahren Mitgliedschaft und vielerlei Funktionen in der Partei, definitiv verlassen....
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Siehe dazu auch meinen hpd-Artikel
"Neue Regelung von Suizidbeihilfe im Strafrecht – ein rechtssystematischer Irrweg?"
Zur Historie der Straffreiheit von Suizid und damit auch einer Beihilfe mein eigener ergänzender Kommentar dazu:
"Es ist unbestreitbar, dass die moralische Verurteilung des Suizids religiös konnotiert ist, und zwar nicht nur im Islam. Dafür spricht schon die einfache Tatsache, dass - im Gegensatz zu langen Jahrhunderten der Antike und Spätantike - die Pönalisierung des Suizids überhaupt erst mit dem Christentum entstand. Und eben bis heute fortwirkt. Wobei nicht uninteressant ist, dass die Kriminalrechtsregelungen insbesondere der frühen Neuzeit gar bestrebt waren, dem Suzidanten sozusagen noch post mortem Sanktionen aufzuerlegen - von der Konfiskation des Vermögens (also einer Bestrafung der Erbberechtigten) bis zu Vorschriften zu einer entwürdigenden Behandlung des Leichnams ("Vergraben unter em Galgen").
Von gewaltigem Einfluss war die Verurteilung des Suizids durch Thomas von Aquin in seiner "Summa theologica" (13. Jh.), gegen die dann - mit unvergleichbar geringerem Einfluss - Thomas Morus' Aufgreifen des antiken Stoizismus in seiner "Utopia" stand (16. Jh.), flankiert von seinem Zeitgenossen Francis Bacon, der als erster die Selbstbestimmung als entscheidendes Kriterium für die Beurteilung des Suizids klar benannte. Nicht umsonst konnte Morus dies nur in Form einer "Science Fiction" erscheinen lassen. Und seit der Renaissance und den Anfängen des Humanismus gelingt es nicht wirklich, die religiös-moralische Konnotation aus den Köpfen zu bekommen - erstaunlicherweise ersichtlich weit weniger aus den Köpfen von Politikern als aus denen der allgemeinen Bevölkerung.
Der Hintergrund in den monotheistischen Religionen ist immer der gleiche: es gelte, die Infragestellung göttlicher Allmacht um jeden Preis zu verhindern. Dafür ist man bereit, auch hier und heute menschliche Selbstbestimmung im humanistischen Sinne zu verhindern, zumindest zu beschneiden.
Der große Mediziner Hufeland sah sich in einem Konflikt zwischen ärztlicher Sichtweise (die ihm eigentlich nahelegte, Sterbenden eine hilfreiche Hand zu reichen) und dem Absolutheitsanspruch religiöser Gebote - gegen seine persönliche Auffassung wurde er zum Begründer des Postulats, der Arzt habe allein Leben zu erhalten und forderte gar vom Staat, dies zu garantieren. Diese scharfe Ausprägung wirkt bis heute in die ärztliche Profession hinein, wobei die wenigsten wissen dürften, dass sie auf eine einzelne Person - Hufeland - zurückzuführen ist.
Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 sowie das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 (das dann später zum Reichsstrafgesetzbuch wurde) ließen dann sang- und klanglos die Vorschriften zur Pönalisierung von Suzid fallen. Der Einfluss der Kirchen schwand - und humanistisches Gedankengut begann sich durchzusetzen. Nicht zuletzt durch David Humes Schrift "On suicide".
Ob sich die eifrigen Betreiber einer de facto-Kriminalisierung des Suizids wohl einmal über diese Dinge informiert haben und wissen, auf was für einem Boden sie stehen?"
Manchmal kann man angesichts des Unwissens und der (v.a. historischen) Unbildung bei Leuten, die gesamtgesellschaftliche Entscheidungen konzipieren, vorbereiten und durchsetzen wollen, verzweifeln. Oder ist es ein Nicht-Wissen-Wollen?
Gerfried Pongratz am Permanenter Link
Sehr erhellend - DANKE!
pi am Permanenter Link
Sehr gut: Die Punkte 3 und 7 stellen die Beratungspflicht vom Kopf auf die Füße. Es geht um die juristische Absicherung des Helfenden und darum, eine freie Entscheidung sicher zu stellen.
Betonen sollte man nochmal, dass eine Beratung, wo sie denn stattfindet, frei von finanziellen, persönlichen oder ideologischen Interessen sein muss. Das schießt alle kirchlichen und sozialen Träger und Tendenzbetriebe aus, die im Bereich der Pflege, Hospize usw. tätig sind. Auch Lebenschützerinnen, Satanisten oder Erbschleicherinnen sind dafür ungeeignet.
Anna am Permanenter Link
eine starke Einschränkung nach dem bahnbrechenden Grundsatzurteil von 2021 wäre furchtbar.
mein Hintergrund: habe mit meinem multipel-morbiden Vater, 83 J, der vor über 25 Jahren Krebs überwunden hat, damals schon die Freitod-Option verbreitet hat, die letzten Wochen über seinen Freitod geredet, versucht zu organisieren. Sein Hausarzt, älter, einer von der Sorte, der Tod als Versagen der Medizin wahrnimmt, hatte Hilfe verneint: er würde sich strafbar machen (und denn noch schlecht informiert...)
Warum soll so ein alter Kämpfe - mein Vater- mit einem unglaublichen, anachronistische Buckel, einer halben Lunge, gravierenden Verdauungsstörungen, davon abgehalten werden, in Würde und mit kompetenter Hilfe aus dem Leben zu gehen.
Schon seit letztem Jahr hat er betont, er "sei des Lebens müde". Meine größte Furcht war, dass ich ihm irgendwas Zusammenstümpern müsste, etwas schiefging usw. dann kam ein Sturz dazwischen - zum Glück würde ich sagen, nach 3 Tagen im Krankenhaus war er frei. Ich weiß nicht, ob der Bodensatz des Dritten Reiches und die damaligen Euthanasie ein Faktor sind, der eine sachliche Debatte verunmöglicht.
Aber solange die Medizin immer mehr Lebensdauer schafft, müssen wir unbedingt über die Qualität reden. Zum Leben ist niemand verdammt, selbständige Menschen sollten wirklich entscheiden dürfen, wann sie gehen (es versteht sich, dass Leitplanken und Regeln notwendig sind, um Missbrauch zu erschweren)
wolfgang am Permanenter Link
Das Foto zu dem Artikel ist einfach Klasse! Göttlich!