Kurz nach dem Kirchenaustritt meiner Verlobten, die immer wieder mit dem Austrittsgedanken gespielt hatte, erfolgte nach 32 Jahren die tatsächliche Austrittserklärung. Mitursächlich war neben der Kirchensteuer auch der Umstand, bei einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht mehr unter dem "Dritten Weg" der Kirchen zu leiden. Auch der Wunsch, unsere Tochter humanistisch und nicht christlich zu erziehen, war ein Faktor. Kurz nach der Austrittserklärung kam die Reaktion des Pfarrers: er legte die "schrecklichen Konsequenzen" eines Kirchenaustritts dar. Von solchen erzürnten Reaktionen, in denen einem unmissverständlich dargelegt wird, welche Folgen das Abwenden von der Kirche nach sich zöge, hatte ich bereits gehört. Selbst ein solches Schreiben in die Finger bekommen hatte ich jedoch noch nicht. Insofern habe ich mich über den Brief der Kirche regelrecht gefreut: Eine willkommene Gelegenheit für einen Seitenhieb und eine Prise Spott. Das Schreiben stellte ich anschießend meiner Partnerin zur Verfügung.
Sehr geehrter Herr Pfarrer sowieso,
gerne nehme ich mir die Zeit, auf Ihr Schreiben vom 09.04.2021 bezüglich meines Kirchenaustritts vom 02.03.2021 zu antworten.
Sie fragen, was mich dazu bewogen hat, meinen Kirchenaustritt zu erklären. Das ist die grundlegend falsche Frage. Die Frage müsste lauten: Was hat mich – und nahezu jeden heute in Deutschland lebenden Christen! – bewogen, in die Kirche einzutreten? Die ehrliche Antwort auf diese Frage ist Ihnen sicher bekannt: Nichts. Denn in die Kirche treten die wenigsten durch eigene Willensbekundung ein; vielmehr ist der Kircheneintritt die Folge elterlichen Handelns. Es folgt die Kommunion – in der Regel in einem Alter, in dem man nach unserem weltlichen Recht nicht befähigt ist, ohne Einwilligung der Eltern nachteilige Rechtsgeschäfte einzugehen. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist dabei mit einer Vielzahl von rechtlichen Nachteilen verbunden.
Nach Kirchenrecht ist die Kommunion bereits im Alter von sechs Jahren möglich; wir sprechen von Geschäftsunfähigen. Auch die anschließende Firmung erfolgt vor dem Erreichen der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit. In anderen Worten: Die Kirche ist eine Organisation, deren Eintritte zu einem nicht unerheblichen Teil das Resultat frühzeitiger Indoktrination sind.
Die konsequente Folgefrage ist: Was hält einen Menschen in der Kirche? Die Antwort ist in aller Regel: beruflicher Zwang oder Bequemlichkeit. Es gibt den nicht unerheblichen Teil derer, die durch den Dritten Weg der Kirchen beruflich dazu forciert werden in der Kirche zu verweilen. Gerade im sozialen Bereich. Denn trotz des marginalen Anteils an Kirchengeldern erdreistet man sich mit dem Dritten Weg, erheblichen Teilen von Arbeitnehmern – gerade im Gesundheitssektor – das Leben denkbar schwer zu machen.
Und dann sind da die Bequemen: Wer früh in die Glaubensgemeinschaft findet, verharrt oft in dieser. Entweder er nimmt den Glauben als selbstverständlich hin oder hinterfragt diesen aus sonstigen Gründen nicht. Wie wichtig diese frühzeitige, im Kindesalter erfolgende Indoktrination für die katholische Kirche ist, zeigt sich auch in Ihren Worten: Dass ich, sollte ich katholisch heiraten wollen, versprechen muss, den Glauben zu bewahren und an meine Kinder weiterzugeben. Das ist das eigentlich Tragische an der katholischen Kirche: Es bedarf keinesfalls der sexuellen Missbrauchsskandale, um Kinder zu missbrauchen – denn der psychische Missbrauch ist essenzieller Bestandteil des Kirchendogmas.
Sie sprechen indes von der Kirchensteuer und davon, dass es nicht um diese ginge: Das ist – bei allem gebührenden Respekt – aus zweierlei Gründen evident falsch:
1. Ginge es nicht um die Kirchensteuer, so wäre es obsolet, noch im selben Satz davon zu sprechen, wie sehr die Hilfe der Katholiken für die kirchlichen Aufgaben nötig sei. An dieser Stelle sei das 8. Gebot erwähnt und Ihnen – entsprechend den Maßgaben Ihres Glaubens – die Beichte angeraten.
2. Ein Austritt aus der katholischen Kirche ist nach Kirchenrecht unmöglich. Stattdessen zieht die Austrittserklärung die Exkommunikation nach sich. Effektiv bedient die Kirche sich des Staatsapparates, um die Steuern einzutreiben; sie ist Nutznießer der Situation, dass der Verfassungsauftrag, die altrechtlichen Staatsleistungen abzuschaffen (Art. 138 WRV) seit 100 Jahren ignoriert wird. Es wäre auch Aufgabe der Kirche, diesen weltlichen Rechtsbruch zu beenden. Eine Erhöhung der Kirchensteuer um 0,4 Prozent wäre ausreichend, die Staatsleistungen durch die Kirchenmitglieder zu kompensieren. Und das grundrechtskonform. Stattdessen nimmt sich die Kirche Geld, das ihr nicht zusteht von Menschen, die nichts von ihr wollen. In anderen Worten: Sie stiehlt.
Selbst dann, wenn ich interessiert wäre, Teil Ihrer religiösen Gemeinschaft zu sein: Ich würde mich dafür in Grund und Boden schämen, weil die religiösen Führer des Katholizismus Wasser predigen und sich am Wein laben. Sie sehen: Sehr wohl geht es zu erheblichen Teilen um die Kirchensteuer und die damit verbundenen Sünden der katholischen Kirche.
Überdies ist es wahrlich nicht so, als gäbe es lediglich den Katholizismus als objektive Sekte des Judentums. Selbst wenn man es für nötig erachtet, an eine höhere Entität zu glauben, anstatt davon auszugehen, der Mensch sei im Stande, sein eigenes Leben zu bewältigen: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Katholizismus die eine Sekte ist, welche den einzig wahren Glauben erwischt hat?
Alles, was die Kirche mir zu bieten hat: Drohungen. Wären Sie an das weltliche Recht gebunden, so wäre das wohl als Nötigung strafbar. Dass ich mich davon in aller Deutlichkeit distanziere, sollte, kann und darf kaum überraschen.
Mit bestem Gruß
Ihr ENDLICH ausgetretenes Ex-Mitglied
4 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Hervorragender Artikel ( Brief ) an die RKK und jedes Wort ist Wahrheit und nachvollziehbar, bessere kann man den Betrug der Kirche nicht beschreiben und deren hinterhältige Art sich an die Kinder heran zu machen und
Verdummung der Menschen und systematischer Ausbeutung derselben.
Jeder der dies einmal durchschaut hat kann sich nur mit Ekel von der Kirche verabschieden
und sein, von kirchlichen Zwängen befreites Leben geniessen.
Mir selbst ist dies vor über 60 Jahren schon gelungen und seitdem engagiere ich mich für Aufklärung der irregeleiteten Menschen um diese zu selbstbewusste und selbstbestimmte
Menschen in Freiheit von Indoktrination zu machen.
Auch literarisch habe ich mich mit dem Themenkreis Religionen beschäftigt.
Tobias Seyb am Permanenter Link
Als ich vor vielen Jahren aus der ev. Kirche ausgetreten bin, sprach ich meinen Ortspfarrer an, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu äußern.
Dann fügte er hinzu: Als Katholik hätte ich nicht das Recht gehabt, mein eigenes Gewissen zum Maßstab meines Handelns zu nehmen, wie es essentiell für evangelische Christen sei.
Da konnte ich ihm absolut zustimmen.
Ich war/bin dankbar, evangelisch gewesen zu sein und nicht katholisch.
(Gott scheint gut ohne mich auszukommen, denn ich hatte ihm gesagt, dass ich ihm zuhören wolle, falls er was dagegen hätte, dass ich auf ihn verzichte.
Er hat sich aber seither nicht gemeldet.)
David Z am Permanenter Link
Ein wirklich gelungener Antwortbrief. :)
Detlef Michler am Permanenter Link
Ich finde Ihren Brief sehr gut, alles wesentliche sehr gut zusammengefasst, danke.