Russland brandmarkt LGBTQI-Gruppe als "ausländischen Agenten", Polen erwägt Verbot queerer Demonstationen

Der Feldzug gegen die Diversität in Osteuropa geht weiter

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Aufnahmen von einer Demonstration in Tschetschenien gegen die Entführung Homosexueller (2017)
Demo in Tschetschenien gegen die Entführung Homosexueller

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Solidaritätskundgebung für queere Menschen in Krakau (2019)
Solidaritätskundgebung für queere Menschen in Krakau

Es ist kein Geheimnis, dass die russische Regierung ein Problem mit Menschen hat, die nicht heterosexuell sind. Selbst eine LGBTQI-freundliche Meinung in der Öffentlichkeit zu äußern steht seit 2013 unter Strafe. Nun hat das Justizministerium die Vereinigung LGBT Network als "ausländischen Agenten" eingestuft – ein Stigma, das der Gruppe ihre aktivistische Arbeit beinahe verunmöglichen wird. Das polnische Parlament arbeitet derweil an einem Gesetz, das geschlechtliche und sexuelle Diversität unsichtbar machen soll.

Im Jahr 2017 brachten investigative Recherchen des LGBT Network und der Zeitung Novaya Gazeta erschreckende Details zur Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien ans Tageslicht. In einer mehrmonatigen Kampagne, die von Menschenrechtsorganisationen als "Säuberungsaktion gegen Homosexuelle" ("gay purge") bezeichnet wird, wurden vermeintlich Homosexuelle entführt und gefoltert, mindestens 27 wurden hingerichtet.

Aus dieser Zeit stammt auch das berüchtigte Zitat des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, demzufolge in Tschetschenien überhaupt keine Homosexuellen leben würden. Was nicht existiere, könne man nicht unterdrücken, so Kadyrow wörtlich.

"LGBT Network hat grauenvolle Verbrechen gegen homosexuelle Männer in Tschetschenien aufgedeckt und gefährdeten Personen bei der Flucht geholfen, sodass diese in Sicherheit über diese Menschenrechtsverletzungen sprechen können. Nun ist das LGBT Network selbst ein Opfer politischer Verfolgung geworden, die zunehmend alle Verfechter von Menschenrechten in Russland zum Ziel hat – offen, gnadenlos und zynisch", schreibt Natalia Zviagana, Direktorin von Amnesty Internationals Büro in Moskau. Die Entscheidung des Justizministeriums bezeuge, so Zviagana weiter, dass diejenigen, die die Rechte der LGBTQI-Community verteidigen wollen, in Putins Russland als "Fremdkörper" gelten.

Das Gespenst der ausländischen Einflussnahme

Bereits seit Monaten wirft das Justizministerium mit der Bezeichnung "ausländischer Agent" um sich. Im Vorfeld der Parlamentswahlen dieses Jahr wurden zahlreiche Journalist*innen und Wahlbeobachter*innen mit diesem Stigma belegt. Wer als "ausländischer Agent" gilt, muss sämtliche Geldflüsse dem Justizministerium melden. Außerdem ist jeder Artikel, jeder Brief und jede sonstige Veröffentlichung bis hin zu einem Tweet mit einer Art Warnhinweis zu versehen:

"Dieser Inhalt wurde erstellt und/oder verbreitet von einem ausländischen Massenmedium, das die Funktion eines ausländischen Agenten ausfüllt, und/oder von einer russischen juristischen Person in der Funktion eines ausländischen Agenten."

Es bedarf keines großen Hangs zur Fantasterei, um zu umreißen, was ein solcher Disclaimer für die Betroffenen bedeutet. Geschäftspartner*innen und Werbekunden sollen abgeschreckt und die Finanzierung der politischen Querulanten damit trockengelegt werden.

Der Journalist Roman Schlejnow, der mitsamt seiner Redaktion iStories bereits vor einigen Monaten auf der schwarzen Liste des Justizministeriums landete, erklärt die dahinterstehende, auf fast schon naive Weise binäre Ideologie des Ministeriums: "Ach, Sie arbeiten nicht bei russischen Massenmedien, die wir von allen Seiten bedrängt haben, um sie zu kontrollieren? Das heißt, es kontrolliert Sie jemand anderes, wenn nicht wir."

(Un-)Sichtbarkeit

Das polnische Parlament hat derweil vor einigen Tagen seine Unterstützung für ein überaus umstrittenes Anti-LGBTQI-Gesetz bekundet, welches die ultrakonservative katholische Stiftung Leben und Familie eingebracht hatte. Das treffenderweise "Stop LGBT" genannte Gesetz würde Demonstationen für die Rechte homosexueller und transgeschlechtlicher Personen quasi vollständig verbieten. Krysztof Kasprzak, Co-Autor des Entwurfs, verglich bei der Parlamentsdiskussion die LGBTQI-Bewegung mit der NSDAP der frühen 1930er Jahre und deutete unverholen angebliche Parallelen zwischen friedlichen Demonstrationen für Menschenrechte und den Verbrechen der SA an.

Die regierende Partei PiS stellt sich mit diesem Entwurf voll und ganz in die ideologische Linie von Ramsan Kadyrow. Das Ziel dieses Entwurfs ist die Stärkung und Etablierung der bereits existierenden, wenngleich juristisch bedeutungslosen, "LGBT-freien Zonen" und, schlussendlich, die vollständige Verdrängung geschlechtlich und sexuell diverser Personen aus der polnischen Öffentlichkeit. Damit auch die PiS guten Gewissens sagen kann: "Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller? Unmöglich – die gibt es doch in Polen gar nicht."

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