Die diesjährige Bundestagswahl rückt näher. Übliche Abläufe der Wahlkämpfe sind längst präsent: Es findet eine thematische Zentrierung statt und Komplexitäten werden heruntergebrochen oder ganz ignoriert. Anstatt Sachgegenstände vernünftig anzusprechen und zur Diskussion zu stellen, fokussieren sich Debatten auf Emotionen.
Anstatt aber nun in einem weiteren Text allein darüber zu sinnieren, welche Partei aus welchen Gründen zu favorisieren ist oder nicht, ist es in Anbetracht vielfach fehlender grundlegender Orientierung nützlich, sich mit ausgewählten Fehlurteilen, Grundbedingungen und Folgen im Hinblick auf das Wählen auseinandersetzen.
Es ist sinnlos, ich gehe nicht wählen!
Politikverdruss ist nichts Neues. Aber er ist ein Phänomen, das eine Reflexion nötig macht, denn es verbergen sich eine Reihe von Fehlurteilen dahinter. Ein erstes Fehlurteil drückt sich in dem Gedanken aus: "Es ist egal, wen ich wähle. Meine Stimme hat ohnehin keine Bedeutung." Diese Fehleinschätzung liegt dem Gedanken zugrunde, dass eine Wählerstimme am besten so viel Gewichtung erhalten sollte, dass sie genügt, um etwa eine gewünschte Partei in ein Parlament zu wählen. Wäre das der Fall, ergebe sich ein Chaos: Entweder müssten alle gewählten Parteien in ein Parlament unabhängig ihres Stimmenanteils aufgenommen werden, oder es wäre unklar zu bestimmen, welcher Partei ein Vortritt vor einer anderen zu gewähren ist. Stattdessen sind Wahlen unter anderem nach dem Mehrheitsprinzip, das jenes Chaos verhindert, geregelt. Daraus folgt aber auch ein Grundsatz: Zwar ist eine Wählerstimme allein betrachtet nicht für eine Wahl ausschlaggebend, aber die Mehrheit von vielen Wählerstimmen ist es. Was alle etwas angeht, wird so durch Mehrheitsbildungen realisiert. In diesem Sinne ist jede Wählerstimme höchst bedeutend, denn jede einzelne Stimme trägt zu Stimmenanteilen bei, die einer Partei den Zutritt zu einem Parlament ermöglicht oder verwehrt.
Ein weiteres Fehlurteil schlägt sich in der Aussage "Die Parteien wollen ohnehin alle dasselbe" nieder. Dieses Urteil entsteht genau dann, wenn man sich nicht die Mühe macht, sich intensiver mit Parteiprogrammen zu beschäftigen. Am Beispiel des Bürgergeldes lässt sich das gut nachvollziehen: Die CDU und FDP sind etwa dafür, den Druck auf Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger durch mehr Forderungen zu erhöhen. Die FDP will den Bürgergeldsatz sogar reduzieren. SPD und Grüne wollen die aktuelle Konzeption des Bürgergeldes beibehalten. Die Linke strebt mit dem Bürgergeld eine sanktionsfreie Grundsicherung an. Anhand dessen wird deutlich, dass beträchtliche Unterschiede zwischen den Parteien hinsichtlich einiger Themen bestehen können, die aber erst durch nähere Betrachtungen und Vergleiche erkannt werden können. Möglich ist es dennoch, dass sich Parteien in Bezug auf bestimmte politische Aspekte einig sind oder Überschneidungen aufweisen. Dennoch besteht jederzeit die Chance, sinnvolle und ausreichend ausdifferenzierte Wahloptionen zu finden.
Daran knüpft auch folgende Aussage an, die man oft hört oder liest: "Es gibt doch keine sinnvollen demokratischen Alternativen zu den bestehenden Parteien." Das ist schlichtweg falsch und ignoriert den Umstand, dass Deutschland über eine lebendige und vielschichtige Parteienlandschaft verfügt. Es haben sich viele Parteien gegründet, die attraktive Wahlprogramme bereitstellen und sich zu demokratischen Werten bekennen. Wer beispielsweise von der Politik der Grünen enttäuscht ist, findet in der Tierschutzpartei, der V-Partei³ oder in der ÖDP sinnvolle Alternativen. Es lohnt sich daher sehr, sich jenseits der Großparteien mit anderen Parteien und deren Ideen auseinanderzusetzen.
Eine gute Wahl im Kontext mangelnder Zeit
Um eine gute Wahl treffen zu können, ist eine umfassende Informationsbeschaffung nötig. Man wird nun schnell einwenden, dass dafür keine Zeit besteht. In einem Alltag, der von Vollzeitarbeit nebst Überstunden und Familienleben gekennzeichnet ist, ist es nahezu unmöglich, ein umfassendes Parteiprogramm zu studieren. Daher ist eine Selektion des Informationsangebotes empfehlenswert. Grundsätzlich ist es gut, sich zunächst über Parteien zu erkundigen, denen man üblicherweise zugeneigt ist. Das setzt aber zumindest eine Reflexion darüber voraus, in welcher Lebenssituation man sich selbst und sich das private und öffentliche Umfeld befindet, was man jetzt und in Zukunft für sich und andere will sowie welche Partei diesen Vorstellungen am nächsten kommt.
Gut ist es ferner, sich wenigstens mit einer entgegengesetzten Partei auseinanderzusetzen, um kritisches Reflektieren zu ermöglichen. Schließlich ist das Befassen mit zumindest einer Kleinstpartei sinnvoll. All das kann auf verschiedenen Wegen vonstatten gehen. Zu denken ist beispielsweise an das Führen von Gesprächen. Stände mit Parteimitgliedern sind nun häufig anzutreffen, sodass die Chance zu einem überschaubaren und gezielten Dialog besteht. Angebote wie Informationsbroschüren, Werbevideos, Wahlkampfreden, Auszüge aus Parteiprogrammen oder der Wahl-O-Mat können darüber hinaus genutzt werden.
Wichtig ist dabei, beständig über das Informationsangebot nachzudenken und es nicht einfach nur zu konsumieren. Zu überlegen ist: Wer sagte was und wie aus welchem Grund? Ferner ist zu beachten, dass verkürzte Informationen der Komplexität eines Wahlprogrammes genauso wenig nachkommen wie derjenigen von aktuellen und langfristigen Problemstellungen. Zudem ist darauf zu achten, sich nicht einer Emotionalisierung von Debatten hinzugeben, sondern stets bemüht zu sein, die Sachlage so gut es geht aus verschiedenen Perspektiven vernünftig zu betrachten. Diese Form der kritischen Reflexion sollte zudem die Möglichkeit einschließen, Falschinformationen erhalten zu haben. Es gilt daher, dass eine Quelle nicht genug ist, um dann von sich behaupten zu können, man wisse über etwas Bescheid und könne nun genau bestimmen, wen oder was man wählt. Das sind alles Prozesse, die zwar zeitintensiv sind, aber zumindest zeitsparender sein können, als sich täglich durch unzählige Seiten eines vollständigen Parteiprogrammes zu lesen.
Folgen der Wahl
Es bestehen immer verschiedene Motivationen, eine Partei zu wählen oder überhaupt zur Wahl zu gehen. Im Falle des Nichtwählens treten zwei augenfällige Folgen auf. Erstens verschwendet man nicht nur seine Stimme, sondern auch eine Chance, am demokratischen Prozess über Reflexionen, Gespräche und die abschließende Wahl teilzunehmen. Zweitens erhöht man den prozentualen Stimmenanteil von denjenigen Parteien, die man auch als Nichtwählender lieber nicht in Machtpositionen sehen möchte.
Wer aus Protest, aus Traditionsgründen und aufgrund einer Themenfokussierung wählt, riskiert unliebsame Nebenwirkungen. Ein anschauliches Beispiel stellt eine Protestwahl der AfD dar. Aufgrund emotionalisierter und themenzentrierter Debatten nebst Falschinformationen zu aktuellen Problemlagen kann es sein, dass sich etwa Geringverdienende zur Wahl der AfD verpflichtet fühlen. Sie meinen, die AfD sage Richtiges und Wahres zur Migrationsdebatte, ohne über deren Aussagen reflektiert zu haben und ohne zu bedenken, für was die AfD des Weiteren steht. Das Ergebnis ist, dass sie eine Partei wählen, die alles andere als daran interessiert ist, Geringverdienende zu unterstützen. Stattdessen plädiert sie für mehr Unterstützung von Spitzenverdienenden bei gleichzeitiger Beibehaltung von Niedriglöhnen und Kürzungen von Sozialleistungen. Das zeigt: Verkürzte Wahlmotivationen, die allesamt mit mangelnder oder sogar ausbleibender kritischer Reflexion einhergehen, haben nur zur Folge, dass man genau das wählt, was einem letztendlich selbst schadet.
Je nachdem wie man wählt, sorgt man für eine Unterbringung von Positionen, Themen und demokratischen Bedingungen in und außerhalb eines Parlamentes. Wer beispielsweise möchte, dass im Bundestag die Positionen des Mittelstandes wieder mehr Gehör finden, kommt nicht umhin, tendenziell linke Parteien zu wählen. Wer möchte, dass der Klimawandel nicht nur als Stichwort vorgebracht wird, sondern dass tatsächliche Maßnahmen verabschiedet werden, um dieses Problem nachhaltig anzugehen, wird keine Partei wie die AfD wählen können, die den Klimawandel leugnet. Wer an sich daran interessiert ist, wieder mehr demokratische und faktenbasierte Debatten im Bundestag zu haben, ist gut beraten, Parteien zu wählen, die beispielsweise Mitglieder stellen können, die sich mit Sachproblemen inhaltlich auseinandersetzen. Auch das Wählen von Kleinstparteien kann sinnvoll sein, egal ob sie es ins Parlament schaffen oder nicht. Entweder können sie für ihre weitere Arbeit bessere Unterstützung für ihr außerparlamentarisches Schaffen erhalten oder sie bekommen die Chance, innerparlamentarische Arbeit zu leisten. Ausschlaggebend für die Wahl oder Nichtwahl von Kleinstparteien sollte daher nicht die Kalkulation von möglichen Sitzverteilungen im Bundestag sein, sondern allein deren Parteiprogramm und deren Akteurinnen und Akteure. Am Ende entscheiden, wie bereits gesagt, Mehrheiten, die auch von Kleinstparteien erlangt werden können.
Wählen ist eine Bürgerpflicht, aber Demokratie ist viel mehr
Am 23. Februar 2025 findet eine bedeutende Wahl statt. Sie wird richtungsweisend sein und aktuelle Problematiken in Deutschland, in der Welt und in demokratischen Prozessen hervorheben oder aufdecken. Aber sie ist eben auch nur eine Wahl. Bloß einmal seine Erst- und Zweistimme abzugeben, bedeutet nicht, vollständig Demokratie zu leben. Um sie leben zu können, sollte man sich folgenden Umstand beständig vor Augen führen: Demokratie findet nicht nur in Wahlkämpfen, an Wahltagen oder im Zuge von schnell vergessenen Demonstrationen statt. Sie ist etwas, das täglich zu leben ist, sei es im privaten Haushalt, sei es auf der Arbeit, sei es in Vereinen, in Einrichtungen oder sei es in Parteien. Das heißt, die Informationsbeschaffung ist beispielsweise etwas, das kontinuierlich zu erfolgen hat. Gleiches gilt für beständige Dialoge, auch mit unliebsamen Gesprächspartnerinnen und -partnern und Ansichten. Gleiches gilt für eine fortwährende Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit Informations- und Debattenangeboten. Diesen Umstand zu missachten und Demokratie nur auf einen Wahlkampf nebst abschließender Wahl zu reduzieren, unterminiert nachhaltig die Demokratie, in der wir leben. Doch dagegen können wir täglich angehen, indem wir uns selbst wieder mehr darauf besinnen, eine demokratische Lebensführung zu verwirklichen, anstatt sie nur von anderen fortwährend zu fordern.
3 Kommentare
Kommentare
Gerhard B. am Permanenter Link
Dieser Artikel ist ein guter Berater vor den Wahlen und sollte beherzigt werden, denn nur alle 4 Jahre haben wir die Macht in der Hand, (ausser bei dieser Wahl welche nach 3 Jahren Regierung, auf Grund eines Eklat vor
Das Kreuz auf dem Wahlzettel sollte wohl überlegt und und geprüft gemacht werden, denn es entscheidet wie es in der BRD weitergeht.
Als Abschreckendes Beispiel sollte man die Wahl in den USA erkennen, welcher jetzt ein
Regiedes Zeitalter bevorsteht mit einer Kehrtwende in die finsterste Vergangenheit,
gewählt ist gewählt die Folgen können für viele Menschen verheerend sein.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Keine Frage, Wahlen sind wichtig und können schon etwas bewirken, auch vielleicht Schädliches verhindern. Im gegenwärtigen Wahlkampf fällt vielen Bürgern die Wahlentscheidung schwer, eigentlich mangels Informationen.
Es wäre gut, wenn hier eine systematische Vorgehensweise erfolgte wie z.B. mit folgenden Fragen:
1. Wie wollen die Parteien den bezahlbaren sozialen Wohnungsbau bzw. der Zurverfügungstellung bezahlbarer Wohnungen voranbringen? (mit preiswerten Wohnungen kann man den Fachkräfte-Mangel auch bekämpfen).
2. Welche Maßnahmen werden für die Mobilität in den nächsten Jahren ergriffen?
3. Wie können Länder und Kommunen die Schulbildung, Berufspraktische Ausbildung und Hochschulbildung verstärkt sicherstellen?
4. Ganz wichtig ist es, auch eine funktionierende Justiz weiterhin zu betreiben, und nicht mit einer unter Personalmangel ächzenden Strafverfolgung zu versuchen, den Kriminellen das Handwerk zu legen. Bei schwerkriminell gewordenen Migranten ist die Abschiebung keine Lösung, nein, sie müssen bei uns nach einem ordentlichen Gerichtsurteil hinter Schloss und Riegel kommen. Bei einer Abschiebung kommen solche für die Allgemeinheit gefährlichen Personen hinten rum wieder in die EU, meistens in die BRD.
5. Thema Bürgergeld, Sozialhilfe etc., da müssen sich die Kandidaten (dies Thema betrifft die Politiker und Fernsehleute allerdings nicht im Entferntesten), aber darüber im Klaren sein, dass jeder EURO nur kurz beim Bedürftigen bleiben kann und sofort bei LIDL, ALDI und/oder bei den Vermietern landet, also bei einer Klientel, die eher die FDP wählt. Warum die FDP gegen das Bürgergeld ist, verstehe ich daher nicht.
Kurzum, wir müssen eine Fernsehsteuer bezahlen, aber jetzt in diesem Wahljahr, kümmern sich die Medien nicht um den verpflichteten Bildungsauftrag und pflegen nur Manipulation, aber nicht ihre Informationspflicht. Ständig tagaus, tagein uns mit den hohen Zustimmungswerten der Rechten zu bombardieren, überhaupt die nichtssagenden Umfragen zu zeigen, genügt nicht; ich muss nicht wissen, was die anderen wählen, gehe einfach den oben angegebenen Fragenkatalog nach, dann ist mir klar, wen ich wähle.
In Amerika wird jetzt gerade die Demokratie umgekrempelt, und beim zdf ist der einzige der darüber berichtet, Elmar Tevissen, gibt es da nicht noch ein paar weitere Journalisten (m/w/d), die vielleicht ein paar andere Blickwinkel zu dem Thema präsentieren können?
Gerhard B. am Permanenter Link
Aber man kennt die Parteien und deren Agenda doch schon seit geraumer Zeit und müsste
eigentlich beurteilen können welcher Weg für uns alle der bessere ist.
Restriktionen sondern mit den Blicken in eine vernünftige und sinnvolle Gestaltung der wichtigsten Dinge des Lebens.