Die Fronten in Kenia verhärten sich von Tag zu Tag, die Gefahr der Eskalation steigt. Wie konnte es dazu kommen? Gibt es Aussichten auf Versöhnung? Eine Analyse von Elena Gadjanova vom Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen.
In einer der am heißesten umkämpften Wahlen in der Geschichte Kenias sind die Bürgerinnen und Bürger des Landes am 8. August zu den Urnen gegangen. Amtsinhaber Uhuru Kenyatta von der "Jubilee"-Partei trat zum zweiten Mal gegen Raila Odinga an von der oppositionellen "National Super Alliance" (NASA), der sich zum vierten und letzten Mal um das Amt des Präsidenten beworben hat. Es stand sehr viel auf dem Spiel, da der Verlierer im kenianischen System leer ausgeht, die beiden Präsidentschaftskandidaten miteinander ein für alle Mal abrechnen wollten und sich bereits Kämpfe um die künftige Nachfolge abzeichnen. Die Wahl wurde auch deswegen genau beobachtet, weil erwartet wurde, dass sich die neue Verfassung, die für mehr Dezentralisierung sorgt, erstmals in der Politik niederschlagen würde.
Nach jetzigem Stand hat die Wahlkommission Uhuru Kenyatta zum Sieger erklärt, da er 54 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Doch die Opposition weigert sich, dieses Ergebnis anzuerkennen. Sie spricht von zahlreichen Unregelmäßigkeiten und erklärt, Raila Odinga sei seines Sieges beraubt worden. Allerdings konnte sie bislang kaum Beweise für diese Behauptungen erbringen. Die meisten internationalen Beobachtermissionen und ein Bündnis kenianischer NGOs haben unterdessen erklärt, die Wahlen seien weitgehend frei und fair verlaufen. Dennoch sind in den Hochburgen der NASA Proteste ausgebrochen, auch in der Hauptstadt Nairobi und im Westen des Landes. Eine Reihe von Demonstranten wurden bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften getötet. Raila Odinga hatte daraufhin seine Anhänger dazu aufgerufen, am Montag, den 14. August, nicht zur Arbeit zu gehen. Die Fronten verhärten sich von Tag zu Tag, die Gefahr der Eskalation steigt. Wie konnte es dazu kommen? Gibt es Aussichten auf Versöhnung?
Hart geführte Wahlkämpfe wirken immer polarisierend – besonders in heterogenen Gesellschaften, die in denen es tiefe Gräben zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen gibt. Kenia steckt zur Zeit in einer gefährlichen Sackgasse, weil verschiedene Faktoren zusammenkommen: die Wahlen sind stärker umkämpft als früher, der Verlierer geht vollkommen leer aus, die Institutionen sind nicht in der Lage, die Transparenz und Legitimität des Wahlvorgangs zu garantieren.
Vor sechs Monaten rechneten die meisten Beobachter noch mit einem komfortablen Sieg Uhuru Kenyattas und seines Vizepräsidenten William Ruto. Doch im Lauf des Wahlkampfs zeigten die Umfragen, dass das Rennen enger wurde. Anfang August schließlich war der Vorsprung zu knapp, um eindeutig zu sein. Beide Seiten gingen aufs Ganze: Der jüngste Wahlkampf war der bislang teuerste in der Geschichte Kenias. Die beiden Präsidentschaftskandidaten hatten einen übervollen Terminkalender (Kenyatta und Ruto absolvierten allein im Juni 200 Kundgebungen), beide Seiten wurden von Beratern aus dem Ausland unterstützt, die Logistik wurde hochgerüstet, brandneue Hubschrauber und Lautsprecheranlagen kamen zum Einsatz, eine umfassende Medienkampagne wurde gestartet mit einer ausgeklügelten koordinierten Social-Media-Strategie. Am Vorabend der Wahlen gaben sich sowohl der Amtsinhaber als auch die Opposition gegenüber ihren Anhängern siegessicher.
Solche Erklärungen sind wichtig, weil die meisten Kenianer politische Macht in Verbindung bringen mit Chancen in allen möglichen Bereichen – ob Infrastruktur, Entwicklung, Bildung, Arbeitsplätze oder Wohnen. In Kenia sagt man, wer die Präsidentschaft gewinnt, ist derjenige, der in den nächsten fünf Jahren "mit dem Essen an der Reihe ist", während die anderen danebenstehen und zuschauen. Diese Wahrnehmung sollte durch das Prinzip der Dezentralisierung korrigiert werden, doch die meisten politischen Akteure, mit denen ich im Juni in Kenia sprach, sahen die Macht des Präsidenten als den ultimativen Hauptgewinn. Das Problem besteht darin, dass es nicht viele Machtwechsel gab, obwohl seit einigen Jahrzehnten mehrere Parteien gegeneinander antreten. In Kenia leben mehr als 40 verschiedene ethnische Gruppen, doch drei von vier Präsidenten waren Kikuyu, so auch Uhuru Kenyatta.
Was die Sache noch schlimmer macht: Die meisten Wahlen waren bislang weder frei noch fair. 2007, als Raila Odinga, der der ethnischen Gruppe der Luo angehört, gegen einen weiteren Amtsinhaber der Kikuyu, Mwai Kibaki, antrat, wurde der Urnengang durch Wahlmanipulationen gestört. Die meisten Beobachter betrachteten Raila Odinga als Sieger. Dennoch wurde Kibaki Präsident, was im ganzen Land zu Protesten und blutigen Zusammenstößen führte. 1000 Menschen starben, 600.000 verloren ihre Heimat. Im Jahr 2013 trat Raila Odinga zum ersten Mal gegen Uhuru Kenyatta an. Damals gab es Probleme mit dem elektronischen Wahlsystem. Dies und unnatürlich hohe Stimmzahlen in Hochburgen des Amtsinhabers führten dazu, dass Beobachter den knappen Sieg Kenyattas im ersten Wahlgang stark anzweifelten. Odinga zog vor den Obersten Gerichtshof, doch der bestätigte Kenyattas Sieg.
Angesichts dieser Vorgeschichte kann man besser verstehen, weshalb sich die Opposition weigerte, das jüngste Wahlergebnis anzuerkennen oder sich an die bestehenden Institutionen zu wenden. Es gibt kein Vertrauen in die Fähigkeit der Institutionen, die Integrität des Wahlvorgangs sicherzustellen. Ob dieses Misstrauen aktuell tatsächlich gerechtfertigt ist, spielt kaum eine Rolle angesichts des überwältigenden Mangels an Vertrauen aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit. Das Vertrauen bröckelte noch mehr, als nur eine Woche vor dem Urnengang ein führender Wahlleiter, der für die Überwachung der wichtigsten Datenbanken verantwortlich war, brutal ermordet wurde. Was vielleicht am meisten Besorgnis erregt, ist die Tatsache, dass ein großer Teil der Bevölkerung jetzt glaubt, dass ein Wandel nicht durch Wahlen vollzogen werden kann. Damit bleiben nur wenige andere Optionen, von denen keine Gutes verheißt. Es wird schwierig sein, das verlorengegangene Vertrauen der Menschen in Kenias Institutionen wiederherzustellen. Doch es ist der einzige Ausweg, der bleibt, um langfristig für Stabilität zu sorgen.
Übersetzung: Eva Völker, Göttingen / Max-Planck-Gesellschaft