Kolumne

Drei Lügen über die Meinungsfreiheit

BERLIN. (hpd) Deutschland sei nicht frei und wer das sagt, wird schnell als Verschwörungstheoretiker abgestempelt. "Eine kleine Medienelite gibt den Takt vor, unerwünschte Subjekte werden entfernt" – das hat hpd-Kolumnist Carsten Pilger "in diesem Internet" immer öfter gehört. Eine Replik.

1. "Es gibt Zensur in Deutschland!"

Schauen Sie doch mal in unser Grundgesetz. Artikel 5: "(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."

Was ist daran schwer verständlich? Der Staat und seine Bediensteten dürfen Sie nicht im Vorfeld davon abhalten, etwas zu äußern oder publizieren. Egal was! Aber:

"(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."

Sprich: Sie dürfen alles sagen, sollten aber doch noch in der Lage sein, die geltenden Gesetze zu respektieren. So lange Sie sich an die Gesetze halten, dürfen Sie kritisieren, polemisieren, wie sie wollen. Sie dürfen sogar kompletten Unsinn behaupten, den sie nicht belegen können, wenn es nicht in Konflikt zum Gesetz steht. Sollten Sie aber nicht dazu in der Lage sein, eine Meinung zu artikulieren, die ohne Beleidigungen, Drohungen oder Anstiftung zum Rassenhass auskommt, ist vielleicht ja irgendwas mit Ihrer Meinung nicht wirklich verträglich mit dem Land, in dem Sie leben. Und dann ist die Frage: Wo Sie sich doch als tollen Hecht sehen, der die Freiheit verteidigt – warum achten Sie dann nicht die Freiheit Ihrer Mitbürger? Die haben nämlich auch ein Recht darauf, nicht von Ihnen eingeschränkt zu werden.

2. "Man darf heute gar nichts mehr sagen."

Der "gesellschaftliche Rufmord", ein beliebtes Thema. Wer mit Schmuddelkindern spielt, wird zur Strafe an den Pranger gestellt, geächtet und darf – sofern als Autor tätig – seiner Tätigkeit nicht mehr nachgehen.

Aber ist das so? Thilo Sarrazin, dessen letztes Werk den leider nicht ironisch gemeinten Titel "Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland" trug, schrieb mit seinen Büchern zum Millionär und führte mehrfach die Bestsellerlisten an. Auch Werke von anderen Autoren wie Udo Ulfkotte oder Akif Pirinçci verkauften sich gut. Dass letzterer nach einem Ausfall bei einer Pegida-Demonstration den Vertrag mit seinem Verlag verlor, ist ebenfalls nicht Zensur (die bekanntlich nur der Staat ausüben kann). Jeder Verlag hat das Recht, sich seine Autoren auszusuchen, so wie Pirinçci sich einen anderen Verlag suchen kann.

Gehen wir aber ein paar Stufen tiefer: Online-Kommentarspalten von Zeitungen. Dort, wo irgendwann gelöscht wird oder die Redaktion einfach den Schlüssel nimmt und absperrt, weil es ihr zu bunt wird. Ist das nun Zensur? Nein, denn oben haben Sie bereits gelernt, dass Zensur vom Staat ausgeübt wird. Wenn eine Zeitung nicht Ihren Kommentar veröffentlichen will, haben Sie immer noch die Möglichkeit, Ihre Kommentare an hunderten anderer Stellen des Internets loszuwerden. Sollte Sie das nicht befriedigen, mal eine Gegenfrage: Wenn Sie einen persönlichen Blog eröffnen und Ihnen unter jedem Artikel vorgeworfen wird, eine Marionette zu sein: Würden Sie sich dazu bereit erklären, auch die größten Unwahrheiten über sich stehen zu lassen?

Der Satz "Man darf heute gar nichts mehr sagen" sollte eher heißen: "Wenn ich etwas sage, habe ich keinen Anspruch darauf, dass es unwidersprochen bleiben muss." Und das ist auch gut so.

3. "Echte Nachrichten gibt es nur noch auf wenigen Internetseiten!"

Auch beliebt ist der Verweis auf die angebliche "linksgrüne Meinungselite", die alle zentralen Medien und Journalisten an den Eiern haben soll und einen bestimmten Kurs vorgibt. Diese manipuliere den Leser politisch, verdrehe die Fakten und zeichne ein Bild, das den "Oberen" diene.

Dieser Vorwurf vernachlässigt zunächst einmal durchaus berechtigte Kritik am bestehenden Mediensystem. Journalisten tanzen einen Tango zwischen Qualität und Wirtschaftlichkeit und sind in ihrer Arbeit natürlich oft Zwängen unterworfen. Anderseits wissen auch Journalisten und Leser um diesen Zustand und suchen stets nach neuen Wegen für guten Journalismus. Zudem gibt es auch Metajournalistische Formate wie den Presserat, Sendungen wie Zapp oder Watchblogs wie BILDblog, die als eine Art Indikator für guten, wahrheitsgetreuen Journalismus funktionieren.

Stattdessen werden dann etwa Medien wie RT Deutsch verlinkt und deren Nachrichten als glaubwürdigere Alternative gepriesen. Auf den Witz, "westlichen" Medien eine Einflussnahme vorzuwerfen, dann aber auf ein Staatsfernsehen zu verweisen, muss ich hoffentlich nicht extra eingehen. Falls doch, können Sie ja gerne die Einschätzung der Reporter ohne Grenzen zu Russland lesen.

Zum Abschluss: Glauben Sie nicht, dass ich denke, dass in Mediendeutschland immer eitel Sonnenschein herrscht. Es gibt Probleme, über die geredet werden muss, was Qualitätsstandards in der Berichterstattung, die Trennung von Werbung und Nachricht und und und angeht. Also lassen Sie uns darüber reden – schließlich garantiert das Grundgesetz uns dieses Recht! Seien Sie medienkritisch, aber behalten Sie einen für Argumente offenen Kopf! Das wäre viel spannender, als ständig auf die gleichen Lügen reinzufallen.