TRIER. (hpd) Gestern hat sich der Bundestag in einer ersten Orientierungsdebatte mit dem Thema Sterbehilfe befasst. Mehr als vier Stunden lang wurde kontrovers debattiert. Dabei wurde auch klar, dass es vielen Abgeordneten an Sachkenntnis fehlt.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach von dem “vielleicht anspruchsvollsten Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode”. Knapp 50 Rednerinnen und Redner von CDU/CSU, SPD, Linkspartei und Grünen diskutierten intensiv und fraktionsübergreifend über eine mögliche gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe. Bislang liegen dazu Positionspapiere von fünf Parlamentariergruppen vor.
Einig waren sich die Redner bei einem Punkt: Sie alle forderten eine Verbesserung der palliativmedizinischen Versorgung und einen Ausbau der Hospizdienste. Künftig solle ein flächendeckendes Angebot ermöglicht werden.
Man hatte den Eindruck, dass einige Abgeordnete den Ausbau der Palliativmedizin sogar als Lösung aller Probleme einstuften, womit eine Suizidassistenz vollständig ersetzt werden könnte. Doch was ist mit Zuständen, die von den Betroffenen - trotz bester Betreuung – als würdelos empfunden werden? Auch die Palliativmedizin sieht sich vor Grenzen gestellt.
Ohnehin ist eine polarisierende Entgegensetzung zur Sterbehilfe nicht richtig. Vielmehr ergänzen sich die Palliativmedizin und die Suizidbegleitung.
Die meisten Parlamentarier plädierten für ein Verbot von Sterbehilfevereinen. Nur wenige Abgeordnete wie Renate Künast (Grüne) oder Petra Sitte (Linke) sprachen sich gegen die Kriminalisierung organisierter Suizidassistenz aus. Solche Institutionen hätten jedoch Transparenzregeln einzuhalten und dürften kein Kapital aus ihrer Arbeit schlagen.
Ein wichtiger Aspekt wurde dabei in der Debatte übersehen. Die vermeintliche Gefahr eines “Geschäftsmodells Sterbehilfe” könnte gebannt werden, indem die Freitodbegleitung als ärztliche Aufgabe anerkannt und nach dem Regeltarif vergütet wird. Durch ein solches ärztliches Angebot wären kommerzielle Sterbehilfevereine auf einen Schlag überflüssig.
Eine Kriminalisierung der Suizidbeihilfe hätte demgegenüber zur Folge, dass die Höhe des Kontostands darüber entscheidet, ob ein Mensch selbstbestimmt sterben darf oder nicht. Manche werden ihren Sterbewunsch dann versteckt in Deutschland oder legal in der Schweiz erfüllen. Insofern ist das Thema auch ein Thema der sozialen Gerechtigkeit.
Besorgte Einwände gab es auch in Bezug auf einen gesellschaftlichen Druck, der durch die Anerkennung des ärztlich assistierten Suizids möglicherweise entstehen könnte. “Wir dürfen den Verlust von Fähigkeiten nicht mit dem erleichterten Weg in den Tod beantworten”, warnte die behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Corinna Rüffer.
Doch sprechen nicht gerade die Erfahrungen der Länder, in denen die ärztliche Freitodbegleitung praktiziert wird, für die Enttaubisierung der Sterbehilfe? Die Möglichkeit Letzte Hilfe in Anspruch nehmen zu können, wirkt nachweislich suizidpräventiv. Viele Verzweiflungssuizide könnten durch die Etablierung eines am Selbstbestimmungsrecht des Patienten orientierten Systems der Letzten Hilfe verhindert werden.
Empirische Daten aus Oregon zeigen zudem, dass Sterbewillige meist mehrere Gründe für ihren Sterbewunsch angaben. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Sorge anderen zur Last zu fallen, einziger Grund für einen Suizid gewesen wäre.
In der Bundestagsdebatte wurden auch persönliche Erfahrungsberichte – zum Teil sehr emotional - geschildert. Sterbehilfe ist offenbar ein Thema, das unter den Parlamentariern Betroffenheit hervorruft und mit Achtsamkeit angegangen wird.
Die Diskussion zeigte jedoch, dass weiterhin Aufklärungsbedarf besteht. Viele Argumente, die gegen den ärztlich assistierten Suizid vorgebracht wurden, sind empirisch widerlegt. Es ist abzuwarten, wie sich die Diskussion in den nächsten Wochen entwickeln wird.
1 Kommentar
Kommentare
Monika Müller am Permanenter Link
natürlich, eine Verbesserung der palliativmedizinischen Versorgung und einen Ausbau der Hospizdienste zusätzlich !! zur ärztlich begleiteten Suizidhilfe.
Beim Ausbau der Hospizversorgung sehe ein aber noch ein Problem, das selten zur Sprache kommt, mir aber immer wieder Magenschmerzen bereitet, wenn ich mit Hospizen zu tun habe. Jedenfalls nach meiner bisherigen Erfahrung aus dem persönlichen Umfeld. Hospize sind mehrheitlich in kirchlicher Trägerschaft, daher wird dort von den Mitarbeitern Sterbebegleitung auch immer als seelsorgerischer Beistand im religiösen Sinn verstanden. Man wirkt auf die Sterbenden ein, das Sterben als einen "Gottesdienst" aufzufassen und sich auf die baldige Begegnung mit Gott vorzubereiten. Atheisten und Agnostiker haben in diesen Einrichtungen einen schweren Stand.
Auch das ist nötig: Sterbehilfe muss weltanschaulich neutral sein, gerade wenn sie von der Allgemeinheit finanziert wird. Wer einen religiösen Beistand wünscht, soll ihn natürlich bekommen, und selbstverständlich nicht nur einen christlichen. Aber auch für säkulare Menschen muss es Alternativen geben und die würdelosen Bekehrungsversuche in letzter Minute, auf die in Hospizen von Vertretern der Kirchen immer wieder hingewirkt wird, haben zu unterbleiben.
Man darf Religionen und ihren Vertretern nicht länger durchgehen lassen, Sterbebegleitung als ihr ureigenes Monopol zu sehen.