Debatte

Was meint ihr denn mit "Humanismus"? Sieben Sätze könnten Klarheit schaffen (Teil 4)

MARBURG. (hpd) Der "Humanismus" scheint Konjunktur zu haben. So könnte es scheinen, wenn man sich anschaut, wo, von wem und wie dieser Begriff heute verwendet wird. Christian Walther hat genauer hingeschaut und sieben Vorschläge erarbeitet, wie man Humanismus definieren könnte.

Siebtens: Wir haben nur ein Leben - mit dem Tode ist alles aus.

Behauptungen, es gebe ein "Jenseits", ein "jüngstes Gericht", "Wiedergeburt" o.ä. sind unbewiesen und entspringen einem Wunschdenken, einem Unterwerfungsbedürfnis oder einfach dem gedankenlosen Akzeptieren dessen, was einem irgendwann in der Kindheit gesagt wurde. Angebliche Beweise, dass es ein "Jenseits" gebe, lassen sich intellektuell zerpflücken und als Unsinn entlarven. Vor dem 20. Jahrhundert konnte man sich da noch nicht so sicher sein wie heute, wo uns zum menschlichen Bewusstsein Erkenntnisse von Medizin und Grundlagenforschung vorliegen und viele Indizien auch auf ein Bewusstsein bei höheren Tieren hinweisen. Das "Ich" erlischt im Tode, d.h. es lässt sich als ein zeitlich begrenzter Vorgang auffassen, für den z.B. die Flamme einer Kerze schon für jedes Kind ein nützliches Bild ist (sie verlischt irgendwann und verschwindet nicht irgendwohin wie eine "Seele"). Da man andererseits die Nicht-Existenz eines "Jenseits" nicht beweisen kann, mag man dies als Glaubenssache ansehen.

Auch bei manchen Konfessionslosen findet man heute noch Jenseitsvorstellungen; diese halten sich so hartnäckig wie der Volksglaube an die Astrologie ("die Deutung von astronomischen Ereignissen und Gestirnskonstellationen in Bezug auf irdische Verhältnisse und Vorgänge", wie uns Wikipedia weismachen will; natürlich findet man dort keinerlei Kritik). Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) tut sich seit Jahren unglaublich schwer damit, eine unmissverständliche Aussage zur Endgültigkeit des Todes in seinem "Humanistischen Selbstverständnis" (HSV) zu machen. In der Version des HSV von 2015 lesen wir lediglich: "Dennoch verzichten wir auf die verheißungsvollen Heilsbotschaften einer ausgleichenden Gerechtigkeit in einem unbekannten Jenseits sowie einer transzendenten, sinngebenden Instanz", was irgendwie grosszügig klingt. Ferner: "Religionen werden letztlich daran gemessen, welches Verhältnis sie zu den Menschenrechten formulieren und praktizieren." Dies wäre allerdings eine sehr kühne Einschränkung humanistischer Religionskritik. Zu Zeiten von Lessings "Nathan dem Weisen" war eine derartige Positionierung durchaus fortschrittlich, heute hingegen ist sie "rückschrittlich".

Im Rahmenlehrplan des HVD für die Humanistische Lebenskunde (HLK) steht zum obigen Thema lediglich: "Das Leben ist einmalig", - in schöner Harmonie mit der Aussage von R. Schöppner: "Humanismus ist in erster Linie ein Plädoyer für Lebensfreude". Man kann nur darüber spekulieren, ob dieses Lavieren bei der Frage, ob nach dem Tode wirklich nichts mehr kommt, einen vornehmen "Agnostizismus" massgeblicher HVD-Mitglieder widerspiegelt oder nur einem opportunem Pragmatismus entspringt, weil ja eine klare Aussage gewisse Leute vor den Kopf stossen würde.

Die Zurückweisung von Jenseitsvorstellungen ist Religionskritik, aber keine Absage an Religion

Warum ist das Zurückweisen von Jenseitsvorstellungen so wichtig? Weil die Verheissungen (z.B. für muslimische Selbstmordattentäter die umgehende Aufnahme ins Paradies) oder Drohungen mit Strafe (ist es nicht teuflisch, Kindern mit dem "Teufel" zu drohen?) zum Problematischsten gehören, was nicht-humanistische Weltanschauungen zu bieten haben. In der siebten Aussage wird lediglich eine Abgrenzung gegen eine Behauptung vollzogen, die heutzutage so abwegig ist, wie die Idee, der Mensch stehe im Mittelpunkt einer "Schöpfung". Damit war seinerzeit auch ein geozentrisches Weltbild verbunden. Nach der "Kopernikanischen Wende" (also den astronomischen Erkenntnissen von Kopernikus, Kepler und Galilei) war diese uralte Vorstellung nicht mehr zu halten, doch sie wurde bekanntlich von der Katholischen Kirche noch einige Zeit mit grausamem Eifer verteidigt.

Religiosität kann es auch ohne Jenseitsglauben geben. Die Phase des Judentums, die sich in den Psalmen äußert, ist dafür ein Beispiel, das übrigens gerne ignoriert wird. In der frühen abendländischen Antike glaubten wohl die meisten Menschen an Götter, sahen in der als "Hades" bezeichnete Unterwelt jedoch eher ein Symbol dafür, dass nach dem Tode nur die Erinnerung an jemanden bleibt. Von den antiken Philosophen haben zumindest Epikur und der von ihm beeinflusste Lukrez die Vorstellung eines Jenseits und die Angst vor dort drohenden Dingen als unbegründet zurückgewiesen. Auch so manche der heutigen Kirchenmitglieder glauben nicht mehr an "Auferstehung", "jüngstes Gericht", "Paradies" und "Hölle", sondern fassen diese Vorstellungen rein symbolisch auf. Wir dürfen also gemeinsam mit diesen Christen auf eine "ewige Ruhe" hoffen. So heisst es ja auch in der katholischen Totenmesse (nicht so recht passend zur Androhung von Fegefeuer und jüngstem Gericht): "Requiem aeternam dona eis, Domine" ("Gib ihnen ewige Ruhe, Herr"), und ähnliches war bereits auf manchen frühchristlichen römischen Gräbern zu lesen.

Im übrigen kann, wer die siebte Aussage bejaht, darauf verzichten, zwischen einem christlichen (oder buddhistischen, islamischen etc.) und einem weltlichen (vergl. den Buchtitel "Weltlicher Humanismus"; Joachim Kahl, LIT-Verlag, 2008) oder säkularen Humanismus zu unterscheiden. Religiosität allein soll und kann kein Grund sein, jemanden als nicht-humanistisch einzustufen. Vorstellungen von etwas Höherem, oft nebulös, finden sich auch bei manchen, die höchste intellektuelle Leistungen hervorgebracht, sich als Weltbürger geäußert oder beeindruckende Beweise von Humanität geliefert haben. Doch gibt es auch z.B. erfolgreiche Wissenschaftler, die über ein „Schubladen-Denken“ nicht hinausgekommen sind und an christlichen (oder anderen religiösen) Dogmen festgehalten haben oder noch festhalten.

Schlussbemerkung

Die hier vorgeschlagenen sieben Sätze sollen nur notwendige, nicht hinreichende Bedingungen für ein aktuelles Verständnis von Humanismus sein. Viele Fragen bleiben offen. So wurden z.B. die Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft nicht genauer betrachtet. Das liegt vor allem an den schwierigen Abgrenzungs- oder Überlappungsproblemen zum Bereich Politik, die sich bei diesem Thema ergeben würden. Immerhin läßt sich aus den obigen Thesen wohl eine grundsätzliche Verpflichtung des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft ableiten. Von den vielen weiteren Themen, die man noch anführen könnte, sei hier nur auf die Frage verwiesen, ob Krieg ein Mittel der Politik sein darf. Hiermit tut sich fast jede Weltanschauung schwer, nicht nur der Humanismus. Überhaupt sollte man sich auf seinen Humanismus nicht zuviel zugute halten - Humanisten sind auch nur Menschen, und auch bei den Humanisten "menschelt es" immer mal wieder. Dennoch sollte man anderen Weltanschauungen den Humanismus immer wieder, defensiv oder offensiv, entgegenhalten.

Teil 1
Teil 2
Teil 3

Zur Frage, ob man heutzutage bestimmte historische Persönlichkeiten als Humanisten betrachten kann, sei auf Anhang 2 verwiesen, in dem es um Kant, Goethe, Steiner, Marx und Epikur geht.