Ketzereien für kleine Atheisten und Philosophen

Doktorspiele im Paradies?

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Michelangelo: Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies in der Sixtinischen Kapelle, 1508–12
Michelangelo: Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies in der Sixtinischen Kapelle, 1508–12

BERLIN. (hpd) Viele Kulturschaffende haben in der Vergangenheit in der Bibel bedeutsame Erzählungen der Menschheit gesehen, obwohl sie keine gläubigen Juden oder Christen waren. Die Wissenschaft lehrt uns, dass diese Geschichten nicht in fertiger Form vom Himmel gefallen sind, sondern aus Vorstufen und früheren Versionen durch Bearbeitung seitens der damaligen Theologen in die uns überlieferte Form gebracht wurden. Seither gelten sie als "sakrosankt" für gläubige Juden und Christen, und wer daran "herumfummelt", ist ein "Ketzer" – somit vielleicht etwas Schlimmeres als ein Atheist - und macht sich bei den Gralshütern dieser Religionsgemeinschaften sicherlich nicht beliebt.

Wie soll man Kindern solche Geschichten heute vermitteln? Zum Thema "Sintflut" findet man eine Flut von kindgerechten Bearbeitungen mit mehr oder minder hübschen Bildern.

"Kain und Abel" wird im christlichen Religionsunterricht – wie ich durch Nachforschungen feststellte – nicht oder nur in einer zur Unkenntnis "weichgespülten" Version angeboten.

Ich habe mir nun die Freiheit genommen, den Schöpfungsmythos für heutige Kinder (im Alter von etwa 6 bis 8 Jahren), zumindest für kleine Atheisten oder Philosophen, umzuschreiben. Das Wort "Mythos" ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig, zumal es sich auch als Kampfbegriff in der Auseinandersetzung mit orthodoxen Vorstellungen zur Bibel eignet.


Die andere Geschichte vom Paradies

Gott hatte sechs Tage schwer gearbeitet, um die Welt zu erschaffen. Nun, am siebten Tage, und ruhte er sich aus. Er bekam Lust, für sich und auch für Eva und Adam - das waren die ersten Menschen - einen wunderbaren Garten einzurichten. Hier wuchsen nur Blumen, Getreide, Obst und schöne Bäume. Und nur solche Tiere liefen da herum, die andere Tiere und den Menschen in Frieden ließen – also zum Beispiel keine Löwen! Gott hatte nämlich nach der Erschaffung der Pflanzen und Tiere gemerkt, dass in der Natur bald überall die größeren oder listigeren Tiere lernten, die kleineren oder einfältigeren zu überfallen und zu fressen. Wir sagen dazu ja kurz und mitleidslos: "Fressen und Gefressen-Werden - so ist das eben in der Natur!" Das war natürlich ein Nachteil der Schöpfung, aber wie hätte man den wohl verhindern können.

Der Garten hieß "Eden", was dasselbe bedeutet wie "Paradies". Er war von einer hohen Mauer aus schönen weißen und braunen Steinen umgeben; da konnte wohl kein Tier von draussen hineinkommen. Dann kam Gott noch auf die Idee, zwei besondere Bäume in den Garten zu setzen. Der eine sah unscheinbar aus und stand in einem Versteck. Das war der Baum des Lebens; wenn etwa ein Hirsch oder ein Mensch davon äßen, dann würden sie unsterblich. Der andere Baum stand genau in der Mitte des Paradieses; er hatte prächtige Äpfel und hieß "Baum der Erkenntnis". Gott wollte, dass Adam und Eva nicht davon essen. Denn so lange die Menschen davon nicht gegessen hatten, machten sie im Leben alles von selber richtig, stellten keine besonderen Ansprüche und lebten friedlich vor sich hin. Insgeheim dachte Gott aber: "Wie lange das wohl gut geht?", und er entschied sich, zu Eva und Adam zu sagen: "Ihr könnt von allem, was hier wächst, nehmen und essen, nur nicht von diesem Baum." Doch warum sie das nicht sollten, das verstanden sie nicht.

Die beiden Menschen und die Tiere lebten zufrieden miteinander im Paradies. Anders als draussen in der Natur konnten alle einander verstehen. Man sagte zu einander mindestens "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen", obwohl das eigentlich nicht nötig war, denn man lief sich täglich mehrmals über den Weg. Es kam auch einmal vor, dass ein "kleines Malheur", also ein kleiner Unfall oder etwas Dummes passierte. So hatte neulich ein Vogel die Schwanzfedern eines anderen angefasst und sie ihm – natürlich aus Versehen – ausgezogen. Und Adam war in einem Birnbaum zu weit hinausgeklettert, so dass der Ast abbrach und er sich beim Herunterfallen einen Fuß verstauchte. Aber was war das schon gegen all das Schlimme, das im richtigen Leben passieren kann!

Gott kam fast täglich einmal von seinem Sitz im Himmel herunter und spazierte in Menschengestalt im Paradies herum. Adam und Eva liebten ihn, den Vater, sehr. Wenn er kam, wurden sie immer von einem besonderen Glücksgefühl erfasst, so ähnlich, wie wenn auf einmal die Sonne aus den Wolken herauskommt und man ihre Wärme verspürt. Die Menschen durften Gott begleiten, und man schaute sich gemeinsam alles an, was gerade am Weg so passierte.

Weil es im Paradies angenehm warm war, brauchten die Menschen keine Kleider; und da sie überall zu Essen und zu Trinken fanden, gab es auch keinen Haushalt, um den sie sich kümmern mussten Eva und Adam verbrachten somit die meiste Zeit mit Spielen - wie kleine Kinder. Noch taten sie nicht das, was Erwachsene mit einander tun, wenn sie Lust auf einander haben. Denn davon hatten sie keine Ahnung, und so bekamen sie auch keine Kinder, doch das sollte nicht so bleiben.

Eines Tages tauchte nämlich eine grüne Schlange mit blauen und roten Tupfen auf, die noch niemand vorher gesehen hatte. Als Eva wieder einmal am Baum der Erkenntnis vorbeikam, da ringelte sich das hübsche Tier auffällig um einen niedrigen Ast und sprach zu ihr: "Guten Tag, liebe Eva, ich bin die Schlange und bin gestern durch eine kleine Spalte der Mauer in den Garten gekommen. Hübsch habt ihr es hier!" "Guten Tag Schlange", antwortete Eva, "warum bist du denn auf diesen Baum geklettert?" "Er gefiel mir besonders; schmecken denn seine Äpfel so gut, wie sie aussehen?" "Gott hat uns verboten, davon zu essen; ich kann es dir also nicht sagen." "Gott hat das wohl nur so im Spaß gesagt." antwortete die Schlange, "Er wollte euch sicher nur ein bisschen ärgern. Komm, probier doch einfach mal einen Apfel." "Wenn du meinst." antwortete Eva, pflückte sich einen ab und biss hinein. Die Schlange lachte; hinter Eva knisterte etwas; sie erschrak und drehte sich um, aber es war nur ihr Mann. Der wollte auch etwas von dem Apfel abhaben, und so setzten sie sich beide unter den Baum und aßen gleich noch einen zweiten Apfel, denn es war gerade Mittagessenszeit.

Sie schliefen ein und hatten wohl eine Stunde geruht, als sie wieder munter wurden. Wahrscheinlich waren sie aufgewacht, weil gerade eine Affenfamilie vorbeikam und die Kinder Lärm machten. Sie merkten zum ersten Mal, dass Affen ja wie kleine Menschen aussahen und eigentlich ihre Brüder und Schwestern waren. Wie nett! Und was für ein hübsches Fell die hatten! Nun sahen Eva und Adam sich selber aufmerksam an und erkannten, dass sie ja nackt waren. Außerdem gab es zwischen ihnen einen kleinen und einen größeren Unterschied: Oben trug Eva zwei hübsche Brüste, etwa wie zwei halbe Äpfel, unten aber hatte Adam so etwas wie einen kleinen, weichen Schwanz hängen; den brauchte er, um Pipi zu machen. Doch der konnte sich auch aufrichten und stark werden, und wenn man bei Eva unten genauer nachsah, fand man einen Eingang, wo er hineinpasste. Wieso hatten sie das bisher nur nicht bemerkt! Heute Abend wollten sie das im Schutze der Dämmerung ausprobieren. Jetzt hatten sie aber erst einmal Lust, sich mit Blumen, Ranken und Feigenblättern zu schmücken; auch das hatten sie bisher noch nie versucht. Die Schlange war übrigens verschwunden.

Es kam aber, wie es kommen musste: Als es Abend und angenehm kühl geworden war, wandelte Gott wieder einmal durch seinen Garten. Natürlich liefen ihm Eva und Adam auch gleich in die Arme. Sie wurden rot, denn sie waren nun ineinander verliebt und wollten nicht, dass er es merkte, aber er sah ja ihren Blumenschmuck. Er sprach zu ihnen: "Was ist denn in euch gefahren, dass ihr euch so herausgeputzt habt?" Da mussten sie lachen und erzählten ihm einfach alles. Gott aber musste sich sehr beherrschen, denn die beiden hatten durch ihren Ungehorsam ja seine Würde verletzt.

"Meine Kinder," sprach er – denn bisher waren sie für ihn ja seine lieben Kinder gewesen – "da ihr nun das getan habt, möchte ich euch von jetzt an nicht mehr in meiner Nähe sehen. Dort hinten ist eine Pforte in der Mauer, die ihr bisher nicht bemerkt habt. Wenn ihr daran klopft, macht euch ein Engel auf. Ihr braucht Euch nicht zu erschrecken, obwohl der Engel ein brennendes Schwert hält. Mit dem will er nur verhindern, dass ihr irgendwann noch einmal ins Paradies zurückkehrt. Also geht weg, aber zieht euch erst noch diese Röcke aus Fell an, die ich Euch mitgebracht habe. Denn da draußen gibt es Dornen und Disteln. Euer Brot werdet ihr künftig im Schweiße eures Angesichts essen, denn ab jetzt müsst ihr hart arbeiten. Euer gemeinsames Leben wird nicht nur von Lust bestimmt sein; und du, Eva, wirst große Schmerzen haben, wenn Du ein Kind auf die Welt bringst. Nun geht aber, geht endlich!"

Gott wandte sich um und entschwand. So konnten Adam und Eva unten herum ungeniert ihren Blumenschmuck ablegen und die Röcke anziehen. Die waren sicher praktisch, aber nicht besonders schön, obwohl sie ja ein wenig an die netten Affen erinnerten. Oben aber behielten Eva und Adam ihren Blumenschmuck, denn sie waren nicht nur traurig, sondern auch ein wenig trotzig, als sie das Paradies verließen. Der Engel flößte ihnen ganz schön Angst ein, aber bald war er nicht mehr zu sehen.

Und so begann für die beiden das richtige Leben. Alles war neu und vieles gefährlich, aber sie hatten nun ja den Verstand, und mit dem lernten sie, Gefahren zu bestehen und mit allen Dingen und Lebewesen so umzugehen, dass sie von ihnen einen Nutzen hatten. Gott aber war trotz allen Ärgers auch etwas erleichtert, dass Adam und Eva fort waren. Denn was wäre passiert, wenn die beiden womöglich auch noch vom Baum des Lebens gegessen hätten!