Der Rot-Rot-Grüne Koalitionsvertrag in Berlin aus säkularer Sicht

Nicht das Gelbe vom Ei

Die säkularen Erwartungen an den doppelrot-einfachgrünen Koalitionsvertrag waren zwar nicht allzu hoch, aber durchaus getragen von einer Art solider Erwartung.

Die Rahmenbedingungen für eine säkulare Politik in der Bundeshauptstadt sind – eigentlich - gut. Während einige Flächenstaaten im Westen noch immer bis zwei Drittel Kirchenmitglieder unter ihren Bürgerinnen und Bürgern zählen, ist Berlin ein Schlusslicht. Nur noch gut jeder Vierte ist römisch-Katholischen oder evangelisch. Das ist eine gute Voraussetzung für säkulare Politik, sollte man meinen.

Hinzu kommt, dass die SPD als stärkste der drei links ausgerichteten Koalitionsparteien zwar keineswegs kirchenfern ist, aber auch nicht als klerikale Dienststelle bezeichnet werden kann. Die LINKE ist ebenfalls eher als distanziert gegenüber den Kirchen einzuschätzen, jedenfalls nach außen gegenüber der Öffentlichkeit. Allerdings haben es die säkularen Kräfte in beiden Parteien nie geschafft, entsprechende Beschlüsse auf den Weg zu bringen oder gar durchzusetzen. Etwas anders ist die Lage bei Bündnis 90/Die Grünen. Hier wirken die Erfahrungen der DDR-Bürgerbewegung noch nach. Trotzdem gelangten durch das eindringliche Wirken der Grünen Säkularen einige kritische Forderungen in das grüne Wahlprogramm.

Waren die Voraussetzungen für eine aus säkularer Sicht ordentliche Vereinbarung aufgrund der politischen Kultur in der Stadt und der Ausrichtung der jetzt regierenden Senatsparteien insgesamt eher günstig, so überrascht das Ergebnis ihrer Koalitionsvereinbarung doch aufgrund seiner ambitionslosen Unerbindlichkeit. Wenigstens wird kein Unfug vereinbart, so dass es sich lohnt, hier weiter zu arbeiten und für ein säkulares Profil dieses Senats zu arbeiten.

Im Einzelnen

Angst hat der neue Senat wohl vor der eigenen Courage. Das Areal um das Kulturforum Berlin und der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe soll endlich aus seinem städtebaulichen Dornröschenschlaf aufgeweckt werden. Beschlossen ist aber, die Bebauung nicht allzu nahe an die St. Matthäus-Kirche zu schieben. Die ist architektonisch wahrlich kein Highlight. Sollte aber womöglich im neu geplanten Kunstmuseum Obszönes zu sehen sein, ist räumlicher Abstand angesagt. Die Koalition hat dies in weiser Voraussicht erkannt.

Sinnvoller wäre es aber gewesen, die bedeutsame St. Hedwigs-Kathedrale als das zentrale katholische Kirchengebäude in der Stadtmitte zu schützen.

"Nach gründlicher Überlegung und Erwägung im Gebet bin ich entschlossen, die Umgestaltung unserer Kathedrale auf der Grundlage des Entwurfs der Preisträger mit Freude und Tatkraft in Angriff zu nehmen." (Erzbischof Dr. Heiner Koch, Auszug aus dem Hirtenwort zu Allerheiligen 2016)

Der Kirchenfürst von gerade einmal 9 Prozent katholischer Berliner will seinen Dom für 60 Millionen Euro in einen Staatstempel für politische Gedenkevents umwandeln. Ein Teil seiner Kirchengemeinde steht aus Protest schon Kopf, weil die Sinnhaftigkeit des Umbaus und der Kahlschlag der denkmalgeschützten Baukunst der 60er Jahre höchst umstritten sind. Mal sehen wer das bezahlt: Laut Zeitungsberichten geht Erzbischof Koch mit erfahrungsgemäß begründeter Zuversicht davon aus, dass hilfreiche öffentliche und private Hände sich erbarmen und 20 Millionen Euro locker machen. Nichts von alldem im Koalitionsvertrag. Mal sehen, was da kommt.

Von wenig Engagement und Gestaltungswille getragen ist das eigentliche Religionskapitel unter der Überschrift "Tolerant zusammenleben in religiöser Vielfalt". Zu lesen ist nur Allgemeines sowie ein höchst unverbindliches Bekenntnis zur Vielfalt und Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Doch was bedeutet diese Aussage konkret beispielsweise für die Förderung kleiner Religionsgemeinschaften oder der "Langen Nacht der Religionen"? Hier herrscht in der Koalitionsvereinbarung politische Sendepause. Einzig ein Satz könnte bei wohlwollender Auslegung als eine Art politische Aussage verstanden werden. Die Koalition verlangt auch von den Religionen und Weltanschauungen die wechselseitige Anerkennung dieser Freiheiten. Leider ist die Formulierung missglückt und der Gedanke, dass der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft keine Nachteile haben darf, geht in der Spree unter. Dabei bieten wüste Drohungen gegen Ex-Muslime aus ihrer früheren Gemeinschaft genügend Anlässe zur klaren Kante. Auch von der Übernahme der Verwaltungskosten für einen Kirchenaustritt durch die Kirchen selbst ist nirgendwo die Rede. Schade, eine vertane Chance!

Müssen kleine Religionsgemeinschaften auch weiterhin vergeblich auf Beachtung warten, konzentriert sich die Koalitionsvereinbarung in gewohnter Manier auf den Islam. Ohne jede Differenzierung zwischen reaktionären und liberalen Gemeinschaften sollen der "Runde Tisch Islam" und das "Berliner Islamforum" exhumiert werden. Die Verankerung islamischer Feiertrag im Bewusstsein der Bevölkerung haben sich die Koalitionspartner in ihre Agenda geschrieben. Auch im Kapitel Hochschulen steht der Islam im Zentrum der Sorge. Das Institut für Islamische Theologie soll im Hochschulvertrag abgesichert werden. Nichts zu finden ist von einem Humanistik-Lehrstuhl. Das allgemeine Bekenntnis zur Verankerung der Weltanschauungen in der Berliner Hochschullandschaft bleibt folgenlos und unverbindlich.

Licht und Schatten beinhaltet der Umgang mit der Stellung der Kirchen in der sozialen Infrastruktur. Den Mut, das Osnabrücker Modell zu übernehmen und die Übertragung solcher Projekte an die Kirchen an deren Verzicht auf ihr hausgebackenes Arbeitsrecht zu binden, hatten die Partner nicht. Das war auch nicht zu erwarten. Immerhin sollen die Kita-Eigenbetriebe des Landes (25 Prozent) gestärkt werden. Das ist wenig, aber mehr als nichts.

Eine große Leerstelle in der Vereinbarung ist die Ablösung der Staatsleistungen. Das Thema ist bewusst unter den Tisch gefallen. Das zeigt aber auch, wie sehr sich die Koalitionspartner um das Thema Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gedrückt haben. Nicht einmal zum Dank an das persönliche Engagement vieler Mitglieder der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften hat es gereicht.

Durch die bedauerliche Unverbindlichkeit der getroffenen Absprachen und deren große Lücken wurde eine Chance vertan, die guten politischen Rahmenbedingungen zu nutzen, um Religionsfreie anzusprechen und den kleinen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu helfen, sich aus der dominanten Umklammerung der immer kleiner und zugleich immer reicher werdenden christlichen Großkirchen zu befreien.

Allerdings lassen die Absprachen Raum für politisches Nacharbeiten. Sie enttäuschen, verschütten aber auch nicht die Entwicklung einer modernen säkularen Metropole Berlin.