WARSCHAU. (hpd) Die überraschenden Ergebnisse der Parlamentswahlen in Polen sind bekannt und ausführlich auch in Deutschland kommentiert worden. Fachleute bewerteten sie bereits unter verschiedenen wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkten. Unser Polen-Korrespondent versucht zu klären, ob und was sich für die säkulare Szene des Landes ändern könnte.
Meiner Meinung nach ist die polnische Wirtschaft stark und autonom genug, um auch von der siegreichen nationalistisch-konservativen populistischen "Prawo i Sprawiedliwość" (PiS) nicht ruiniert werden kann. Auch die sehr starke (wenn nicht die stärkste innerhalb der EU) Anhänglichkeit der Polen zur europäischen Integration können die euroskeptischen Politiker von PiS nicht vernichten. Genauso wenig wird ihnen gelingen, die alten, antideutschen Phobien zu erwecken.
Eines aber kann sich ändern: Die Position und die Rolle der Kirche im Staat und in der Innenpolitik.
Die PiS-Ideologen sehen das neue polnische Staatssystem als "Theo-demokratie" oder "weichen Konfessionsstaat" an. Hinter der demokratischen Fassade wird die Rechte mit der katholischen Kirche regieren.
Die Identität der Bürger soll neugestaltet werden durch die Kontrolle über die Bildung, Kultur und ein erneutes Umschreiben einer einzig glorreichen und patriotischen Geschichte der Nation. Die PiS-Leute meinen, dass die Zeit der Nationalstaaten und Autoritarismus zurückkehrt, weil Autoritarismus das kleinere Übel ist gegenüber einem globalisierten freien Markt und gesellschaftlichem Liberalismus, der die nationale Identität zerstört. Die Religion wird dabei der patriotischen Erziehung der Bürger dienen. Die polnische Kirche soll unabhängig von der vatikanischer Zentrale und dem "revolutionären" Papst sein.
In den Unterlagen aus dem PiS-Parteikonvent im Juli 2015 im oberschlesischer Katowice steht zu lesen: "In unserer Geschichte hat die Kirche die spezifische Rolle gespielt und wird sie weiter spielen, anders als in der Geschichte sonstiger Nationen. Diese Rolle war nicht nur national- und zivilisationsschöpferisch sondern auch schützend. Die Kirche war Hort des Polentums und sie ist bis heute Bewahrerin und Verkünderin der allumfassenden moralischen Lehre, die im breiten gesellschaftlichen Umfang keine Konkurrenz hat. Deshalb kann in Polen der moralischen Lehre der Kirche nur der Nihilismus gegenüberstehen."
Wenn es so ist, dann ist "die Trennung der Angelegenheiten der Kirche und der Angelegenheiten des Staates falsch" sagte die Sprecherin der PiS. In Katowice wurden auch andere Punkte aus der geltenden Familienpolitik der Kirche besprochen: eine möglichst weitgehende Begrenzung der Kindererziehung von alleinstehenden Muttern, Reformen des Familienrechts und der Familiengerichte, Begünstigung der kinderreichen Familien etc. Diese Politik soll auch Staatspolitik werden.
Man kann auch die weitgehenden Zugeständnisse zugunsten der Kirche erwarten, wie das völlige Verbot der Abtreibung, die Ablehnung der Partnerbeziehungen anstatt formeller Ehen, der homosexuellen Ehen und Kinderadoption durch homosexuelle Paare. Auch eine Änderung oder Abschaffung des Gesetzes über in-vitro Befruchtung steht auf der Agenda.
Der Episkopatsvorsitzende, Bischof Stanisław Gądecki, sagte jüngst: "Die Kirche (also der Katholizismus) sei die Seele des Staates, und der anschauungsneutrale Staat könne wahrhaftig nirgendwo bestehen."
Das schon vor einigen Jahren von der PiS verfasste Projekt einer neuen polnischen Verfassung soll sich in der Präambel an den in "Heiliger Dreifaltigkeit Einzigen Gott" berufen und die Kirche als "Garant des Polentums" eine Sonderstellung im Staat genießen.
Die PiS, als der große Sieger der Wahlen, kann zwar allein regieren, aber für eine Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Es ist wenig wahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen, dass sich eine solche Mehrheit zusammenfindet.
Der PiS-Vorsitzende, Jarosław Kaczyński, hat schon bei der Siegesrede am Wahltag zur Kenntnis gegeben, dass in seiner Partei die Tür für alle offen steht, die das "Neue Polen" bauen möchten. Die Beobachter der politischen Szene haben das als Einladung für die neugewählten Abgeordneten verstanden, ihre Fraktionen zu verlassen und zu PiS überzutreten. Viele Parlamentarier der Gruppierung des Rocksängers Kukiz und des "ewigen Koalitionärs", der Volkspartei (PSL), werden sich diese Einladung bestimmt überlegen. Es gibt auch Gerüchte, dass die konservative Fraktion in der besiegten PO (Bürgerliche Plattform) die Partei verlassen könnte.
PiS hat einen eigenen Präsidenten, eine sichere Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments – Sejm und Senat. Man kann jedoch bisher nur darüber spekulieren, was Jarosław Kaczyński vor hat. Sämtliche Entscheidungen trifft nur er persönlich und seine politische Umgebung ist diszipliniert und ihm hörig.
Und was dürfen jetzt die Säkularen erwarten?
Zum ersten Mal seit der politischen Wende im Jahre 1989 gibt es keine Linkspartei im Parlament. Es gibt auch keine bedeutsame Säkulare Organisationen im Lande.
In der Suche nach Antworten für die obige Frage kann ich eine Aussage in einer der Gruppen auf Facebook zitieren: "Endlich haben wir starke Motivation, das Milieu der Humanisten, Rationalisten, Atheisten, Freidenkern … zu mobilisieren und zu organisieren".
Ich würde noch dazu hinzufügen: wir haben schon sogar eigene politische Vertretung; die Partei "Razem" (Gemeinsam). Die erst vor einigen Monaten gegründete Partei der Prekarier hat fast 4 Prozent der Stimmen bei dieser Parlamentswahlen gewonnen, obwohl die Medien sie "als unbedeutend" einschätzten und daher fast völlig ignorierten.
Die polnischen Prekarier sind meistens gut ausgebildete junge Leute, die sich als zeitgenössische "Sklaven in Großkonzernen" fühlen. Die Partei hat sich eindeutig links positioniert, Ihre Aktivisten bekennen sich als Säkulare.
Wir werden sehen… in 4 Jahre haben wir die nächsten Wahlen und bis dahin – wie eine Internetuserin scherzhaft schrieb – gehen wir in den Untergrund.
4 Kommentare
Kommentare
Rysiek am Permanenter Link
Wer braucht heutzutage noch sekuläre Weltanschauung? Klar, einen politischen Klerus der mehr um Macht und Geld besorgt ist als um Seelenheil kann man sich nicht rnsthaft wünschen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Sie predigen also den Kulturkampf, den Religionskrieg mitten in Europa? Mit Frauen als Wurfmaschinen zum Sieg über die demografische Entwicklung der bösen Muslime?
Lieber Rysiek, was ist so gut an vielen Kinder in einer deutlich überbevölkerten Welt? Ist das Problem mit der Scharia nicht viel eher durch weniger Religion als durch mehr Religion zu lösen? In einer säkularen Welt hat die Scharia keinen Platz. Das werden irgendwann auch die Zuwanderer aus muslimischen Ländern begreifen, wenn wir ihnen nur deutlich und freundlich genug die Unsinnigkeit jeglicher Religion vor Augen führen. Im Kleinen klappt das schon ganz gut.
Außerdem sinkt mit steigendem Lebensstandard die Lust auf hemmungslos religiöse Fortpflanzung. Diese haben wir nur noch in Ländern mit geringer Bildung, niedrigem Lebensstandard und überproportional ausgeprägter Religiosität.
Das Christentum und alle anderen Monotheismen kranken an ihrem Alleinvertretungsanspruch, den ich gerade aus Ihrem Kommentar herauslese: "Christen ja (möglichst viele), Muslime nein (möglichst wenige)." Dies ist eine Haltung, die in einer globalen Welt keinen Platz mehr hat. Wenn sich Religionen in Zukunft weiterhin so anstellen, wie Sie es sich wünschen, dann wird sie sich eine friedfertige Welt nicht mehr leisten können.
Und Menschen mit psychischen Probleme gehen in der realen Welt heute zum Psychologen oder Therapeuten - und nicht mehr zum lebensfremden Pfarrer, der früher die "Seelsorge" eher laienhaft (bei katholischen Geistlichen sogar ohne echte Lebenserfahrung - siehe Sexualität) durchführte.
Andrzej Wendryc... am Permanenter Link
@ Rysiek - wir haben schon das Regieren von beiden Brüder Kaczyński erlebt und der Jarosław, Vorstand von PiS, ist kein Objekt der Begierde von meisten Polen. Diktatur haben wir auch geübt.
W.Ż. am Permanenter Link
Die PiS ist in der Tat populistisch, aber die PO ist es auch, sie wenden sich nur an verschiedene Segmente des "populus"...
Aber jetzt mal ernst: Der Verfasser macht sich lustig ueber solche Aussagen wie "...[d]eshalb kann in Polen der moralischen Lehre der Kirche nur der Nihilismus gegenüberstehen", aber ich moechte gerne wissen, welche Ethik der werte Herr Wendrychowicz uns Polen anstatt der muffigen anachronistischen laengst ueberholten Katholen-Ethik vorschlagen moechte.... Das ist ein ernstes Problem.... eine junge Dame /in PL/wollte mir mal etwas "aus der Sicht der Ethik" darstellen, und als ich sie fragte, welche Ethik sie wohl meine, wohl wissend, dass sie keine "Katholin" sei /die stoische, die Kantsche etwa, oder gar die Sartre'sche aus den stinklangweiligen, nichtssagenden "Cahiers sur la morale"/ war sie mir um eine Anwort ganz schoen verlegen. "Die pragmatische", murmelte sie am Ende, worauf ich "ah, William James also", sie: "doch wohl nicht" /langes Schweigen/... am Ende einigten wir uns darauf, dass das einzige Prinzip ihrer "pragmatischen Ethik" dieses sei: "es ist alles erlaubt, alter Wichser, solange du dich daran nicht erwischen laesst"....
Ja, lieber Andrzej, wie wir beide wissen, sind die lieben aufgeklaerten Deutschen 1939 zu uns gekommen, und bald nach ihnen ihre Freunde die Sowjezkijs, um bei uns JEDWEDE Ethik, katholo, evangelo, judeo, saekulareo, humanisto, was auch immmero, mit brutalsten Mitteln theoretisch wie praktisch auszurotten.... jetzt haben sie gut, uns Predigten ueber die Ethik anhoeren zu lassen.... dieses Volk tut mir wirklich leid, trotz all seines Wohlstands... und, wenn Tusks Diktatur ueberlebt hat, wird auch Szydłos ueberleben...
Partia Razem --- ich hab mal eine Unterschrift fuer sie geleistet --- sympathisch in der Tat, "Spottet ja nicht des Kinds, wenn es mit Peitsch' und Sporn/ Auf dem Rosse von Holz mutig und gross sich duenkt", wie euer Hoelderlin's mal formuliert hat. Ihr Manko: keine philosophische Grundlage. Ich als verstockter erzkonservativer muffiger Kathole koennte mich ihr genauso wohl anschliessen, wie eine Schar von, wie es oben heisst, "Humanisten, Rationalisten, Atheisten, Freidenkern"....