Wahlen in der Türkei

HDP – eine säkulare Perspektive für die Türkei?

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Wahlwerbung der HDP im Wahlkampf 2015
Wahlwerbung der HDP im Wahlkampf 2015

TRIER. (hpd) Das Ergebnis der Parlamentswahlen in der Türkei zeigt, dass sich eine politische Bewegung etabliert hat, die sich nicht nur progressiv ausrichtet, sondern auch ein klares Bekenntnis zum Säkularismus ausspricht. Doch welche Perspektiven hat diese Bewegung angesichts der scheinbaren Übermacht Erdogans und eines Staatsapparates, der mit großem Eifer nicht nur Oppositionelle unterdrückt, sondern auch mit allen Mitteln die gesamte Gesellschaft ausschließlich nach religiösen Wertevorstellungen erziehen will?

Selahattin Demirtas, der Spitzenkandidat der Demokratischen Partei der Völker (HDP), ist Muslim, erklärt jedoch, dass Religion Privatsache ist und bildet damit einen deutlichen Kontrast zum regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dieser pilgerte zuvor von Veranstaltung zu Veranstaltung, warnte in missionarischem Übereifer vor "gottlosen Politikern" und setzte alles daran, demokratische Grundsätze, Menschenrechte und Religionsfreiheit einzuschränken. Doch der deutliche Verlust der AKP offenbart nun, dass dieser Kurs nicht zwangsläufig auf Gegenliebe stößt. Vielmehr wurden Erdogans religiösen und nationalistischen Großmachtsphantasien relative Grenzen gesetzt durch den erstmaligen Einzug der HDP ins türkische Parlament. Doch welche Pionierarbeit  kann die HDP in Sachen säkularer und demokratischer Inhalte leisten, die sich für zahlreiche andere Bewegungen in Europa empfehlen kann?

HDP-Logo

Die HDP ist eine pluralistische Partei, die nicht nur verschiedene Ethnien sondern auch mehrere Glaubensrichtungen in sich vereinigt, seien es Jesiden, Kurden, Aleviten oder Türken. Sie setzt insoweit positive Akzente, dass dabei religiöse Orientierungen vollkommen in den Hintergrund treten und eine strikte Trennung von Staat und Kirche als Ziel gesetzt wird. Allerdings ist die relative Nähe zur PKK ein Problem, sodass ein öffentlicher Diskurs über die Rolle von Religion in einer modernen Gesellschaft verhindert werden könnte. Ganz unabhängig davon, ob von Seiten progressiver Bewegungen die Zielsetzungen der PKK positiv bewertet werden oder nicht, sind die mit ihr verbundenen Gewalterfahrungen ein Faktor, die die politische Gesellschaft spalten könnten. 

Der HDP steht ein anspruchsvoller Drahtseilakt bevor, sowohl sich als sachlich kompetente Fraktion zu profilieren als auch Bindeglied für soziale Bewegungen und gesellschaftliche Minderheiten zu sein. Allerdings bietet der gegenwärtige Kurs der AKP genug Spielräume, sich eindeutig abzugrenzen, zahlreichen Andersdenkenden eine politische Alternative zu bieten und gegen wachsenden Repressionen und Fanatismen Druck aufzubauen. Wenn auf der einen Seite der Präsident eines scheinbar modernen Staates proklamiert: "Eroberung heißt, in Jerusalem wieder die Fahnen des Islams wehen zu lassen!", so stellt der Einzug einer pluralistischen und säkularen Bewegung einen Hoffnungsschimmer dar und zeigt, dass religiösem Fanatismus klare Grenzen gesetzt werden können. Erdogans Projekt "Präsidialrepublik" ist jedenfalls vorerst gescheitert.