Emmerich Kálmán – ein Operetten-Komponist, den man oft hört. "Die Faschingsfee" – ein Werk, das selbst Fans nicht unbedingt ein Begriff ist. Anlässlich des 100. Geburtstag dieser Operette lud das Münchner Gärtnerplatztheater am 16. Februar zur Premiere der "Faschingsfee" in die Alte Kongresshalle. Fans wie Kritikern bot sich die Gelegenheit, herauszufinden, ob jener Operette womöglich Unrecht getan wird, wenn die Spielpläne unserer Theaterbühnen sie regelmäßig übersehen.
Emmerich Kálmán und seine Librettisten Alfred Maria Willner und Rudolf Österreicher erzählen die Geschichte eines gewöhnlichen Faschings-Dienstag-Abend in einem Theatercafé in München. Im gar nicht gewöhnlichen Kriegsjahr 1917. Trotz eines Faschingsverbots, trotz Lebensmittelknappheit, trotz beengter ärmlicher Lebensumstände feiert die Münchener Bohème diesen Abend als ob es kein Morgen gäbe. Mitten im Krieg sitzt man fröhlich beisammen und trinkt "auf die Vergänglichkeit!"
Gründe zu feiern gibt es genügend – auch wenn sie sich im Laufe des Abends gelegentlich wandeln. Zunächst feiern Viktors Freunde, dass er mit einem seiner Bilder einen Preis gewonnen hat. Mit 10.000 Mark, die er sich am nächsten Morgen bei Graf Lothar Mereditt abholen darf, lädt er schon heute alle ein. Das feiern auch die Wirtinnen Leopoldine und Rosl – trotz Krieg steigt der Umsatz. Die Choristin Lori feiert, dass sie sich den reichen Baron Hubert ("Hubsi") von Mützelberg geangelt hat. Hubsi will mit seiner Cousine Fürstin Alexandra eigentlich deren Verlobung mit Herzog Ottokar von Grevelingen im Hotel Regina feiern. Beim kurzen Abstecher der beiden Aristokraten in die Theaterkneipe laufen sich Viktor und Alexandra (letztere inkognito) jedoch über den Weg bzw. in die Arme. Alexandra feiert dann lieber mit Viktor den Fasching als mit Ottokar die Verlobung. Und Viktor feiert, dass er jetzt nicht nur reich ist, sondern seine "Faschingsfee" gefunden hat und verliebt ist.
Bis ein unbekannter Herr auftritt, der sich so dermaßen selbst zu feiern hat, dass er Alexandra an die Wäsche will. Viktor rettet seine Faschingsfee und verabredet sich mit dem unbekannten Aufdringling zum Duell. Leider gibt sich jener dann als Graf Lothar Mereditt – den Spender der 10.000 Mark – zu erkennen. Viktors Geld ist dahin und die Feierlaune erstmal gedämpft. Auch die Faschingsfee ist auf einmal verschwunden. Bald aber kommt Hubsi mit einem Scheck und dann geht alles ganz schnell. Viktor feiert, dass er wieder reich ist, Graf Lothar feiert, dass er zum Ehrenmann wird und das Preisgeld doch noch herausrückt. Der plötzlich erschienene Verlobte Ottokar feiert, dass er seine Jungendliebe Rosl in der Wirtin erkennt. Die Faschingsfee Fürstin Alexandra feiert, dass Ottokar sie freigibt. Viktor feiert, dass seine Faschingsfee sich für eine Liebesheirat mit ihm entscheidet. Lori feiert, dass Alexandra nicht Hubsis Geliebte ist, wie sie es die ganze Zeit eifersüchtig vermutet hatte. Diverse Nebenrollen feiern pausenlos die Tatsache, dass es Alkohol und fleischliche Liebe gibt – trotz des Krieges. Im düster heraufziehenden Aschermittwochmorgen schließlich zieht die Bohème inmitten letzter Feierakkorde der ausklingenden Nacht in den Ersten Weltkrieg.
Was aber hat das geneigte Publikum zu feiern? Da verhält es sich im Zuschauerraum ganz ähnlich wie auf der Bühne: Trotz Abwesenheit eines tragischen Konflikts, trotz Ausbleiben eines Spannungsbogens, trotz Fehlens einer wirklichen Handlung im Libretto, gibt es an diesem Abend vieles, was zum Feiern verführt. Da ist zunächst mal die großartige Musik von Kálmán in wunderbar facettenreicher Instrumentierung. Eine Best-Off-Platte wäre sicher der Renner auf jeder Faschingsfeier. Noch dazu musiziert vom Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter dem schmissigen Dirigat von Michael Brandstätter. Wie gewohnt wird hier die Operette musikalisch gefeiert wie es ihr gebührt.
Das optimal besetzte Ensemble brilliert stimmlich wie schauspielerisch und entlockt dem Abend immer wieder große und kleine feierliche Momente. Allen voran das zentrale Liebespaar Daniel Prohaska und Camille Schnoor als Viktor und Alexandra werden der wunderbaren Musik gerecht und überzeugen glaubhaft in der Rolle der Liebenden.
Das Highlight des Abends ist die Gesangseinlage von Gisela Ehrensperger, die als gealterte Wirtin Leopoldine im Hintergrund die Fäden zieht und mit ihrer Arie die Vergänglichkeit zu feiern weiß.
Das stimmungsvolle Bühnenbild von Karl Fehringer und Judith Leikauf sowie die individuell gestalteten Kostüme von Dagmar Morell feiern Mode und Stil der Entstehungszeit der Faschingsfee auf betörend ästhetische Weise. Die Bühne der Kongresshalle zeigt eine Straße in nächtlicher Laternenbeleuchtung im nicht enden wollenden Schneegestöber. Davor feiert das Ensemble in gemütlicher Kneipen-Atmosphäre an der Bar. Indendant Josef Köpplinger beweist einmal mehr sein Talent als Operetten-Regisseur, indem er aus einem eher fleischlosen Bühnenwerk eine durchaus unterhaltsame Revue kredenzt. Gelegentlich übertreibt er es jedoch mit den Feierlichkeiten. An der einen oder anderen Stelle wäre bezüglich des Klamauks weniger mehr gewesen.
Etwas aufgesetzt wirkt die Ballett-Choreografie von Alessio Attanasio. Die Tänzerinnen und Tänzer stehen als Symbol für den Krieg immer wieder neben, in oder über der Szene. Als zombie-artig geschminkte Soldaten und Krankenschwestern erinnern sie schattenhaft daran, dass es eigentlich gar keinen Grund zum feiern gäbe. Es gelingt ihnen jedoch erst am Ende, diese Botschaft glaubhaft zu vermitteln. Dann nämlich, wenn sie aus der Faschingsgesellschaft in den Krieg aufbrechen, verschmelzen die beiden Sphären zu einer Einheit und werfen einen Spot darauf, was diese Geschichte hätte sein können: Ein wahrhaftiges Porträt vom Feiern im Angesicht des Todes in der Nacht vor dem Aschermittwoch. Ein historischer Bericht über den Wandel der Gesellschaft, den Fall der Stände und nicht zuletzt über die Brotlosigkeit der Künste, die bis heute währt.
Fazit: Auch wenn das gesamte Gärtnerplatztheater-Team, auf und hinter der Bühne, alles gab zum Gelingen des Abends, muss man eingestehen, dass "Die Faschingsfee" wohl zu Recht keinen Eingang in den Kanon der Spielpläne gefunden hat. Diese sich selbst feiernde Gesellschaft ohne dramaturgischen Spannungsbogen ist durchaus keine Veranstaltung, die man ein zweites Mal besucht, sei die Musik auch noch so gut. Der geneigte Kálmán-Fan wird den Komponisten weiter feiern und über "Die Faschingsfee" feierlich hinwegsehen.
1 Kommentar
Kommentare
Wolfgang Graff am Permanenter Link
Hat der hpd jetzt eine Musikredakteurin? Würde mich sehr freuen.