"Les Troyens" von Berlioz feiern am Staatstheater Nürnberg eine vielbeachtete Premiere

Das Heil des Besiegten ist es, nichts mehr zu erwarten

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Chor, Mirko Roschkowski (Énée), Katrin Adel (Didon), Statist, Irina Maltseva (Anna)
Chor, Mirko Roschkowski (Énée), Katrin Adel (Didon), Statist, Irina Maltseva (Anna)

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Chor, Mirko Roschkowski (Énée)
Chor, Mirko Roschkowski (Énée)

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Chor
Chor

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Ensemble & Chor
Ensemble & Chor

Das Staatstheater Nürnberg bringt in der Sparte Musiktheater zum Saison-Auftakt ein selten gespieltes Werk aus dem Genre der Grand opéra. Hector Berlioz‘ 5-aktiges Drama über Teile aus der Ilias dauert inklusives Pause gerade einmal 3,5 Stunden, die so manches zu Tage fördern und gleichzeitig Wesentliches verschweigen.

Zunächst kann man sagen, dass Calixto Bieito in jedem Fall das liefert, was man von ihm kennt und erwartet: Ein Spektakel opulenter Bilder. Das ist erstmal recht passend für den Stoff, geht es doch um nichts Geringeres als den Kampf um Troja und den Aufbruch der Trojaner via Karthago und einiger gebrochenen Herzen gen Italien zur Gründung Roms. In einer Aneinanderreihung aufwühlender Bilder mit viel Blut, Gewalt und nackter Haut sucht man indes vergebens nach Sinn und Motor der Handlung.

Dabei hätte das Bühnenbild von Susanne Gschwender so einiges gekonnt. Zunächst wird das trojanische Pferd auf eine Tapete gemalt und prangt als Ursache aller Auseinandersetzungen des ersten Teils drohend im Hintergrund. Am Ende fährt diese Leinwand schnell nach vorne an die Rampe, die Tapete wird heruntergerissen und der Blick wird frei auf einen großen hölzernen Würfel aus schweren Balken, der über zwei Etagen eine neue Szenerie eröffnet. Der erste Teil der Tragödie gebiert so den zweiten indem das Innere des trojanischen Pferdes Karthago zeigt. Dieser Kubus dreht beständig um sich selbst und wird mehr durchwandert als bespielt. Für den fünften Akt wird das Drama dann in seine Einzelteile zerlegt: Lautstark schraubt der Chor im Gebälk und zieht vier Teile des Gebäudes ein Stück weit auseinander, um sie dann stehen zu lassen. Das bisher fest gefügte Karthago wird in seinen Grundfesten auseinandergerissen. Warum es die Karthager selbst sind, die diese Destruktion vornehmen bleibt nur eine der unzähligen Fragen über den Sinn vieler Details der Inszenierung, die offen bleiben.

Lange Opern muss man kürzen. Das ist schön, denn es lässt Raum, als Dirigent, als Dramaturg, als Regisseur, eigene Schwerpunkte zu setzen und der Frage nachzuspüren, welche Facetten eines so reichhaltigen und großen Werkes dem zeitgenössischen Publikum etwas zu erzählen wissen. Neben dramaturgisch tatsächlich oft überflüssigen ausgedehnten Balletten der Grand opéra fallen in dieser Fassung jedoch auch zahlreiche handlungstragende Teile der Partitur einer radikalen Streichung zum Opfer. So etwa das große Duett von Anna und Narbal über die Zukunft Karthagos im IV. oder der lautstarke Ruf nach "Italien", der die trojanischen Soldaten plagt, im V. Akt.

Der von Tarmo Vaask vortrefflich einstudierte Chor gibt musikalisch alles und verleiht der Partitur Wucht und dem Libretto Gewicht. Er ist der entscheidende Part in dieser Geschichte, der jedoch als gesichtslose Masse im Halbschatten stehen gelassen wird. Zwischen Hinterbühne und Rampe geparkt führen die Choristen brav und engagiert alle Choreografien sauber aus, wedeln abwechselnd synchron mit Geldscheinen oder Blumen Sie gehen in die Knie, stehen wieder auf und stützen gleichsam die Findung der großen Bilder. Eine Unterscheidung in verschiedene Personengruppen wie beispielsweise in die zögernden und die zum Selbstmord entschlossenen Trojanerinnen, wie Berlioz sie sinnigerweise vorsieht, entfällt gänzlich, was die Vorstellung streckenweise zur konzertante Aufführung stilisiert. In uniformierter Tracht (Kostüme: Ingo Krügler) sind Chor und Statisterie als Trojaner wie kämpfende Soldaten, als Karthager dann als eine Art Spurensicherung oder Labor-Arbeiter in Schutzkleidung, gewandet.

Das Dirigat von Marcus Bosch ist stringent, zuweilen martialisch, Das geschieht auf Kosten von Weichheit und Eleganz, die zentraler Bestandteil einer französischen Grand opéra wären. Die Staatsphilharmonie Nürnberg musiziert dabei meisterhaft in perfektionistischer Intonation. Hier widerfährt Berlioz, dem Meister der Instrumentierung, wahre Gerechtigkeit. Besonderer Hochgenuss für jedes Ohr sind Harfen, Hörner und Klarinetten.

Darüber hinaus ist es ein Abend der starken Frauen. Roswitha Christina Müller gestaltet den ersten Teil – Der Fall von Troja – als Cassandre. Sie ist stimmlich und darstellerisch eine absolute Powerfrau, die gegen den Untergang eines großen Reiches kämpft. Unermüdlich versucht sie bis zuletzt, ihre Landsleute davon zu überzeugen, das Pferd zu zerstören und wählt am Ende selbstbewusst und selbstbestimmt den Freitod um nicht zur Sklavin der hereinstürmenden Griechen zu werden.

Jochen Kupfer (Chorèbe), Roswitha Christina Müller (Cassandre), Foto: © Ludwig Olah
Jochen Kupfer (Chorèbe), Roswitha Christina Müller (Cassandre), Foto: © Ludwig Olah

Im Zweite Teil – Die Trojaner in Karthago – ist Katrin Adel als Didon der zentrale Dreh- und Angelpunkt. Die Königin von Karthago verführt glänzend technisch versiert mit durchschlagkräftigem Sopran. Mirko Roschkowski meistert die Partie des Enée herausragend heldenhaft. Aus seinem Gesang strahlen Feldherr und Liebhaber wie sie im Buche stehen.

Das große Liebesduett "Nuit d’ivresse et d’extase" zwischen Enée und Didon ist mit diesen beiden Sängergrößen in selten dagewesener Schönheit und Intensität zu hören. Während die beiden sich zu emotional-erotischen Höhen aufschwingen, übergießen sie einen nackten Statisten mit Teer. Da sich das Publikum an derlei Bilder bis zum vierten Akt jedoch bereits gewöhnt hat, bleibt die Musik hier eindeutig im Vordergrund.

Wo Licht ist, da darf auch Schatten sein. Und so wäre nicht zuletzt die Lichtregie von Carl Wiedermann hervorzuheben. Die Schatten, von denen das Libretto immer wieder spricht, die aus dem Totenreich erscheinen und Anteil sowie Einfluss nehmen, geistern tatsächlich an der Mauer entlang oder spiegeln sich auf den Gesichtern der Figuren. Die Lichtstimmungen unterscheiden sinnig zwischen Krieg und Frieden, zwischen Liebe und Hass, zwischen Wirklichkeit und Träumen.