Hamed Abdel-Samad beim Humanistischen Salon Nürnberg

"Der politische Islam versteckt sich hinter den Kirchen"

Hamed Abdel-Samad warnte am Sonntag im Humanistischen Salon Nürnberg, dass die historischen Privilegien der Religionen in Deutschland auch dem politischen Islam nützten und rief dazu auf, mehr Säkularisierung zu wagen.

In seinem Vortrag "Ist Religion Privatsache? - Religionsfreiheit und ihre Grenzen" warb Hamed Abdel-Samad am 14. Mai für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Atheisten, Christen und Muslimen - ohne Diskriminierung und ohne Sonderrechte. Wichtige Voraussetzung dafür ist aus seiner Sicht, den Einfluss von Religionen in Bildungswesen und Medien abzubauen.

Es war die Abschlussveranstaltung der ersten Staffel des Humanistischen Salons Nürnberg, einer Vortrags- und Diskussionsreihe mit musikalischem Rahmenprogramm und der Möglichkeit zum Brunchen, bei der es um wissenschaftliche, philosophische und weltlich-humanistische Themen geht.

Und etwa 200 Menschen war zusammengekommen, um Abdel-Samad zu hören, einen Religionskritiker, der "im doppelten Sinne frei spricht: ohne Manuskript und ohne Furcht", wie es Moderator Helmut Fink in seiner Ankündigung ausdrückte. Und das, obwohl er - wie immer - mit Personenschutz anreisen musste, weil sein Leben bedroht ist.

Dem bekannten islamkritischen Publizisten saß an diesem Sonntag ein weltanschaulich gemischtes Publikum gegenüber. Denn der Humanistische Salon fand diesmal im Caritas-Pirckheimer-Haus statt. Und Säkularisierungsaufrufe lösen an einem Veranstaltungsort der katholischen Stadtakademie Nürnbergs natürlich andere Reaktionen aus, als wenn die humanistische Szene unter sich diskutiert.

Als Abdel-Samad etwa Martin Luther mit den heutigen Salafisten verglich und auch noch sagte: "Heute nennen wir das Fundamentalismus", murmelte jemand neben mir erschrocken: "Nein, also DAS hat Luther nicht verdient..." Dabei war es dem Referenten nicht um eine Provokation gegangen. Jedenfalls nicht nur. Sein Punkt war vielmehr, dass die aktuelle muslimische Entwicklung nicht dem Muster des Christentums in der Reformation folgt.

Denn die Rückbesinnung auf den genauen Wortlaut der heiligen Schrift und eine engere Orientierung am eigenen Religionsstifter hatte im Christentum damals andere Auswirkungen als sie es derzeit im Islam hat. Und das liegt nach Abdel-Samads Ansicht auch an dem sehr viel politischeren und kriegerischen Vorbild des Propheten.

Der Deutsch-Ägypter wünscht sich für die Entwicklung des Islams daher eher die Rückbesinnung auf ein Religionsverständnis, wie es für ihn exemplarisch seine Großmutter vorlebte. Sie verstand ihren Glauben nicht politisch oder juristisch, sondern rein spirituell - als etwas Privates, was ihr Erfüllung, Trost und Hoffnung gab. Und dort gehört Religion für ihn auch hin - in die Herzen der Menschen und nicht in die Schule oder den Rundfunkrat.

Hamed Abdel-Samad, Foto: © Rudolf Pausenberger
Hamed Abdel-Samad, Foto: © Rudolf Pausenberger

Abdel-Samad erzählte über seine Sorge, dass der politische Islam hierzulande die unvollständige Säkularisierung ausnützen könne. Die Kombination von Kirchenprivilegien und Gleichberechtigung aller Religionen erlaube ihm den Aufbau von Machtstrukturen. Ein institutionalisierter politischer Islam bekomme das, was auch Kirchen bekämen: Steuergelder für soziale und kulturelle Einrichtungen und einen Einfluss auf Bildungssystem und öffentlich-rechtliche Medien.

Er plädierte stattdessen dafür, dass keine Religion solche Privilegien haben solle. Dass die Kirchen sie dem Staat und der Zivilgesellschaft zurückgeben. "Wir sollten endlich mehr Säkularisierung wagen!", forderte er und erntete viel Applaus.

Für Abdel-Samad ist klar, dass die Islamverbände ihre Mitsprachemöglichkeit beim muslimischen Religionsunterricht immer dazu nutzen werden, um eine liberalere Auslegung des Korans als unislamisch zu verhindern. Das zeigten die Konflikte um die Ausbildung muslimischer Religionslehrer für deutsche Schulen.

"Die Islamverbände konnten einen Professor aus Münster verjagen, weil er sich kritisch zu Mohammed geäußert hat. Und den nächsten Professor, Mohamad Khorchide, mit dem ich das neue Buch geschrieben habe (Ist der Islam noch zu retten?) haben sie auch versucht mit einem Gutachten die Lehrerlaubnis zu entziehen", so Abdel-Samad. "Und warum? Weil er gesagt hatte, der Islam ist Barmherzigkeit. Und weil er auch Juden und Christen darin eingeschlossen sieht."

Abdel-Samad wünscht sich stattdessen die Abschaffung jedes konfessionell gebundenen Religionsunterrichts. Als Ersatz könnte ein neues Fach Religionskunde geschaffen werden, in dem neutral über alle Religionen informiert werde - mit einer für die Schule angemessenen kritischen Distanz. "Die Schule sollte ein Ort sein, wo Kinder Wissen vermittelt kriegen und nicht religiöse Wahrheiten", meinte der Politikwissenschaftler.

Er griff in seinem Vortrag auch die Kontroversen um den türkischen Islam-Dachverband Ditib auf, dessen Imamen erst jüngst vorgeworfen wurde in Deutschland Spionage für die Türkei zu betreiben. "Wie kann ein Verein, der den Erdogan-Kult pflegt und aufrecht erhält, Fördermittel für Integration aus deutschen Steuergeldern bekommen?", fragte Abdel-Samad. Die zunehmende Institutionaliserung und damit Macht dieses Vereins sieht er als eine wichtige Ursache für das Abstimmungsverhalten deutscher Türken bei der Entscheidung über das Präsidialsystem.

Auch dass vor kurzem erstmals ein Vertreter von Ditib in den hessischen Rundfunkrat entsandt wurde, ist für Abdel-Samad schwer verständlich. Denn Islamverbände sollten seiner Ansicht nach keinen Einfluss haben, mit denen sie versuchen könnten zu verhindern, dass Religionskritiker wie er selbst in Talkshows des hessischen Fernsehens eingeladen werden.

Aber liegt das Problem darin, dass die muslimischen Glaubensgemeinschaften hierzulande vor allem ethnisch-national organisiert sind und ihren Heimatländern verbunden bleiben? Dass Türken, Marokkaner oder Bosnier jeweils unter sich bleiben?

Bei deutschen Politikern gäbe es den Wunsch, erklärte Abdel-Samad, dass in den Moscheen auf Deutsch gepredigt werde, um die Einbindung in die Gesellschaft zu verbessern. Doch dieser Hoffnung erteilte der Islamkritiker eine klare Absage: "Die einzigen, bei denen Ethnie und Nationalität keine Rolle spielen und deren Predigten auf Deutsch sind, das sind die Salafisten."

Überhaupt würde oft auf die falschen Sachen geachtet. Nicht ob jemand deutsch spreche, einen guten Beruf habe oder Anderen die Hand gebe sei entscheidend, sondern die Geisteshaltung. Und die einzige Leitkultur, die dabei zähle, sei die von Freiheit, Aufklärung und Humanismus, meinte Abdel-Samad.

Seiner Meinung nach ist es aber durchaus möglich, auch mit Salafisten friedlich zusammenzuleben - genauso wie mit Scientologen oder Zeugen Jehovas. Aber eben nur dann, wenn diese Gruppen keine Macht hätten, wenn Religion reine Privatsache sei und wenn es für sie keine Ausnahmen gäbe bei unverhandelbaren Werten der Verfassung wie der Würde des Menschen, der Meinungsfreiheit oder der freien Entfaltung der Persönlichkeit.

"Mein Traum ist es, dass der Staat die gleiche Distanz zu uns allen bewahrt", sagte Abdel-Samad. Das sei die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben aller - von Christen, Muslimen und Atheisten, von Religiösen und Nicht-Religiösen. Doch dafür sei es notwendig, dass die Kirchen ihre historischen Privilegien aufgäben, meinte der Religionskritiker. "Wir dürfen nicht zulassen, dass sich der politische Islam hinter den Kirchen versteckt!"


Der Humanistische Salon Nürnberg geht nun in die Sommerpause. Wer sich für die neuen Termine ab Herbst interessiert, findet in der Seitenleiste der Webseite die Möglichkeit, die Veranstaltungsankündigungen per E-Mail abonnieren oder dem Humanistischen Salon in den Sozialen Medien zu folgen.

Im Youtube-Kanal des Humanistischen Salons sind einige der vergangenen Veranstaltungen als Videos veröffentlicht, genauso wie ein Ausschnitt aus den Klavierimprovisationen von Claus Gebert, mit denen er die Veranstaltungen musikalisch begleitet. Auch der Vortrag von Hamed Abdel-Samad wird nach einer Aufbereitungszeit bei Youtube zur Verfügung stehen.