Pussy Riot

"Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht täglich für sie kämpft"

Die russische Protestgruppe "Pussy Riot" wurde durch eine Guerilla-Performance in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau weltberühmt. Derzeit ist sie mit ihrem Bühnenprogramm "Pussy Riot Theatre" auf Tournee. Der hpd war in München vor Ort und sprach mit der Aktivistin Marija Aljochina über Putin, Religion und Feminismus.

Es waren nur 41 Sekunden, die das Leben der Pussy-Riot-Aktivistinnen schlagartig verändert haben. So lange dauerte nämlich das legendäre "Punk-Gebet" in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche, das gegen den damaligen Ministerpräsidenten Wladimir Putin und dessen enge Verbindungen zum russischen Klerus gerichtet war. Kurz danach wurden drei Gruppenmitglieder von Pussy Riot verhaftet und wegen "Hooliganismus motiviert durch religiösen Hass" zu je zwei Jahren Straflager verurteilt.

In dem Buch "Tage des Aufstands" hat die damals inhaftierte Aktivistin Marija Aljochina ihre Erlebnisse in einer Art Manifest verarbeitet und in eine multimediale Performance unter dem Titel "Pussy Riot Theatre" übertragen. Entstanden ist daraus eine wilde, einstündige Komposition aus Lesung, Choreografie, politischer Ansprache, Video-Installation und Punk-Konzert. Unterstützt wird Aljochina dabei von Nastya Awott am Saxofon und dem Keyboarder Maxim Awott, die die Inszenierung mit rohem Elektro-Punk unterlegen, während Kiryl Masheka ekstatisch auf der Bühne tanzt und zwischendurch zahlreiche Wasserflaschen über dem Publikum entleert. 

Auf russisch und mit deutschen Untertiteln auf der Videoleinwand erzählen sie gemeinsam von der Gründung der Protestgruppe, dem (Schau-)Prozess wegen des "Punk-Gebets", den Haftbedingungen im Straflager, Polizeiwillkür und dem anhaltenden Kampf für Menschenrechte in Russland. Mit anarchistischem Pathos klagen sie dazwischen immer wieder Putin an und rufen zur Rebellion gegen das patriarchale System auf. Am Ende der mitreißenden Performance wendet sich Marija Aljochina schließlich mit einer Mahnung an die Zuschauer: "Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht täglich für sie kämpft."

"In Russland gibt es keine echten Wahlen"

Nach dem Aufrtitt erklärt Aljochina gegenüber dem hpd, worin sie die Botschaft hinter dem "Pussy Riot Theatre" sieht: "Die Hauptbotschaft ist Aufruhr. Das beste Ergebnis für uns wären eigene Aktionen von Menschen, weil wir glauben, dass das sehr wichtig ist", erklärt sie. Und welche Rolle spielt dabei der Femismus? "Beim Feminismus geht es nicht nur um das Geschlecht, sondern um dein Leben. Es ist so einfach, das zu benutzen, was man hat, aber wenn man sich nur die Geschichte vor einem Jahrhundert ansieht, dann hatten wir nicht einmal das Wahlrecht. Und wenn wir vergessen, was vor uns und für uns getan wurde, werden wir die gleichen Fehler machen und die Geschichte wird nur ein verdammter Kreislauf sein", so Aljochina.

Auf die Frage, warum sie sich gegen die Regierung unter Wladimir Putin auflehnt und weshalb sie ihre Haltung auf die Bühne bringt, erklärt die Pussy-Riot-Aktivistin: "Putin hat echte Wahlen verhindert und damit die Option der politischen Entscheidung in Russland gestohlen. Er ist ein Dieb und auch ein Mörder. Ich glaube, dass diese Person nicht der Präsident Russlands sein sollte." Auch die anstehenden Präsidentschaftswahlen im März sieht sie skeptisch: "Es ist keine echte Wahl. Und ich denke, dass die wesentlichen Dinge auf der Straße passieren und nicht an den sogenannten Wahlpunkten. So sind all diese Proteste, die jetzt in Russland stattfinden, wichtig, weil es die Stimme der Menschen ist."

Die Repression durch die russische Regierung erschwere jedoch eine kritische Auseinandersetzung: "Fälle wie der um Pussy-Riot wurden zur alltäglichen Realität. Es ist keine Überraschung mehr, sondern ein Skandal. Man kann wegen eines Facebook-Beitrags ins Gefängnis kommen", so Aljochina. Insgesamt sei damit die Möglichkeit erschwert, Protestbewegungen zu unterstützen: "Ich würde zwar nicht von Gefahr sprechen, denn Gefahr ist nur eine Bedingung, mit der man arbeiten kann. Aber ja, die Situation hat sich durchaus verschlechtert."

Keine religionskritische Aktivistin

In dem Gespräch weist Aljochina, selbst gläubige Christin, ausdrücklich darauf hin, dass sie ihren politischen Aktivismus nicht gegen die Religion richtet. Der Vorwurf, dass sie einen "religiösen Hass" vertrete, sei vielmehr Propaganda der putinfreundlichen Medien. Sie habe in den vergangenen sechs Jahren mit vielen gläubigen Menschen gesprochen, von denen sich niemand in seinen "religiösen Gefühlen" verletzt gesehen habe. 

Auf die kritische Nachfrage, wie sie denn zum problematischen Verhältnis von Christentum und Feminismus stehe, erklärt Aljochina: "Ich denke, die christliche Philosophie ist die Grundlage für die westliche Zivilisation. Ob wir es wollen oder nicht, es ist die Realität." Auch wenn viele Momente der Geschichte der Religion zu einem echten Albtraum wurden, gehe es im Christentum um Freiheit. So sei das Neue Testament einer der besten Texte, die sie je gelesen habe, meint Aljochina. Eine religionskritische Aktivistin, wie es manche vielleicht erwartet hätten, ist die rebellische Menschenrechtlerin demnach also sicher nicht.