Die Moskauer Prozesse

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Filmplakat, Foto: Real Fiction Filmverleih

Berlin. (hpd) “Die Moskauer Prozesse waren in keiner russischen Zeitung, in keinem Fernsehsender angekündigt worden, um nicht die Staatsmacht auf den Plan zu rufen. Denen, die davon wussten, kam es vor wie ein Wunder. An jenem Ort, an dem der Kampf zwischen Glauben und Kunst zehn Jahre zuvor begonnen hatte, sollten nun Menschen aufeinandertreffen, die sich so sehr hassten, dass sie sich geweigert hatten, auch nur zu einem Vorgespräch zu erscheinen.” Der Regisseur Milo Rau beschreibt so die Stimmung, mit der die Betroffenen – nicht Schauspieler – in sein Projekt, “Die Moskauer Prozesse”, gingen.

Seit inzwischen zehn Jahren befindet sich Russlands Öffentlichkeit in einem Disput um das Bündnis zwischen der orthodoxen russischen Kirche und Putins Regierung. Mehrere Gerichtsprozesse, die aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen Künstlern und orthodoxen Christen geführt wurden, hat der Regisseur mit den Betroffenen erneut stattfinden lassen. Der berühmteste Fall ist die Verhandlung über die 5 minütige “Aktionskunst” der Punk-Band “Pussy Riot” in der Moskauer Erlöserkathedrale, in dem drei der vier Künstlerinnen zu jeweils zwei Jahren Haft verurteilt wurden. Die Begründung: Verletzung der Gefühle Gläubiger, Gotteslästerung, Agitation gegen die russische Nation. Ein absurdes Urteil, das im Westen Entsetzen hervorrief.

Die anderen beiden Verhandlungen, die Milo Rau vor einer neutralen Jury erneut stattfinden lässt, betreffen die Kunstausstellungen “Vorsicht! Religion!” im Jahr 2003 und “Verbotene Kunst” im Jahr 2006. Bei den Gerichtsverhandlungen zu beiden Ausstellungen entgingen die Kuratoren und Aussteller knapp einer Verurteilung zur Zwangsarbeit wegen Gotteslästerung und Störung des öffentlichen Friedens. Auf eine der Angeklagten, Anna Altschuk, wurde laut Aussagen ihres Mannes so großer Druck ausgeübt, dass sie dadurch in den Suizid getrieben wurde. Ihr Mann, der Philosophieprofessor Michael Ryklin, nahm ebenfalls an den Moskauer Prozessen teil. Die Randalierer, die die Ausstellungen zerstört hatten, gingen straffrei aus den Prozessen.

“Der besondere Reiz an diesem Projekt liegt darin, dass es in Russland ja kein unabhängiges Gericht gibt. Deswegen findet heute eine gespielte Verhandlung statt, die für mich aber glaubwürdiger ist als eine echte.” (Ein Zuschauer der Moskauer Prozesse)

Ausgelöst wurde die öffentliche Debatte innerhalb der russischen Bevölkerung von den Reaktionen auf die Ausstellung “Vorsicht! Religion”; Gläubige, die sich in ihren Gefühlen verletzt fanden, stürmten gewaltsam diese Ausstellung und zertrümmerten viele der Exponate. Wladimir Sergejew, der sich (unter anderem) an diesem Vandalismus beteiligt hatte, ist Altardiener der Sankt Nikolai Kirche in Moskau, Vorsitzender der Kampfsport-Vereinigung orthodoxer Bürger und neigt dazu Andersdenkenden mit Gewalt zu drohen. Kunstwerke freier Künstler zu zerstören, sei sein gutes Recht als “freier Randalierer” soll er zur Gerichtszeichnerin im russischen Prozess damals gesagt haben.

Er nahm an den Moskauer Prozessen teil, weil er der Menschheit den Standpunkt derjenigen vermitteln möchte, “die diese blasphemische Ausstellung damals zerstört haben”. In weniger als einer Minute auf der Ausstellung wurde ihm klar, dass alle 40 Exponate sofort zerstört werden müssten – und machte sich ans Werk. “Ein orthodoxer Christ braucht nicht viel Zeit, um zu verstehen, dass diese Kunst sein Feind ist”, kommentierte er dies. Unter den Exponaten befand sich übrigens z. B. auch der Rahmen einer Reliquie.

Vorpremiere in Berlin

Das Interesse am Film “Die Moskauer Prozesse” ist hoch; nach einer Vorführung für die Teilnehmer an dem Projekt im Sacharow-Zentrum Moskau am 12. März, einer Retrospektive in Leipzig und Vorpremieren in München und Köln stand gestern Berlin auf dem Plan. In der Schaubühne standen Regisseur Milo Rau und Olga Schakina, die als Richterin bei dem Projekt fungierte, dem Publikum für eine Diskussion zur Verfügung. Beide berichteten von den spannenden Dreharbeiten und der Angespanntheit im Regie-Raum: Olga Schakina berichtete, dass sie als Journalistin bei einem unabhängigen Fernsehsender kaum über ausreichende juristische Kenntnisse verfüge, trotz intensiver Vorbereitung, um einen dreitägigen Prozess zu leiten. Funktioniert hat es trotzdem.

Auch die Frage einer Züricher Wochenzeitung “warum Kosaken gut für Dein Stück sind” kam zur Sprache; gerade dem Widerstand gegen die Moskauer Prozesse verdanken sie einen großen Teil der Aufmerksamkeit, gerade in Russland.

Florian Borchmeyer und Milo Rau; Foto: © Evelin Frerk Olga Scharkina; Foto: © Evelin Frerk

Florian Borchmeyer und Milo Rau
Foto: © Evelin Frerk

Olga Scharkina und die Dolmetscherin (r); Foto: © Evelin Frerk

 

Der Titel, den Milo Rau sich ausgesucht hat, lehnt sich an die berühmten Moskauer Prozesse von 1936 bis 1938 an, in denen hohe russische Staatsfunktionäre wegen angeblicher terroristischer, staatsfeindlicher Aktivitäten angeklagt wurden und mit denen die stalinistischen Säuberungen begannen.

Der Ausgang der Moskauer Prozesse von 2013 – wie also die unabhängige Jury in diesen drei Fällen entscheidet – soll hier natürlich nicht verraten werden. Aber auf die Frage an Milo Rau “Hätten Sie den Ausgang der theatralischen Inszenierung gekannt, hätten Sie das Projekt auch genau so inszeniert?” antwortete der Regisseur schlicht mit “Ja!”.

Orthodoxe und Neonazis vor der Kamera

Die Theater-artige Neuverhandlung mit den tatsächlichen Beteiligten an den drei Fällen, zieht den Zuschauer unmittelbar in ihren Bann und zeigt mit welchem emotionalen Eifer beide Seiten um ihren Standpunkt kämpfen. Wladimir Sergejew ist übrigens nicht der einzige Vertreter der orthodoxen Seite, der mit seiner erschreckend offen gewaltbereiten Einstellung den Zuschauer ernsthaft in Besorgnis bringen dürfte. Andere orthodoxe Gegner der freien Kunst gehören dem Lager der russischen Neonazi-Szene an, machen aus ihrer antisemitischen Haltung selbst vor laufenden Kameras keinen Hehl und haben auch keine Hemmungen anderen Beteiligten direkt während der Verhandlung zu drohen.

Die Verteidigung, Foto: Real Fiction Filmverleih Unterbrechung der Inszenierung durch Personenkontrolle, Foto: Real Fiction Filmverleih
Fotos: Real Fiction Filmverleih  

 

Die Moskauer Prozesse dauerten, wie geplant, drei Tage; trotz Störungen durch die Einwanderungsbehörde oder durch Einheiten der “Kosaken”, einer ultraorthodoxen Vereinigung in Moskau. Diese befürchtete “antireligiöse Propaganda” hinter dem Spektakel und sah sich zum Eingreifen genötigt. Interessanterweise konnten diese von den orthodoxen Teilnehmern der Verhandlung dazu bewegt werden nicht weiter zu stören.

Durch diese Störversuche gelangte das Projekt von Milo Rau schnell in die russischen Medien – und heizten die öffentliche Debatte weiter an. Kurze Zeit nach den Moskauer Prozessen wurden Gesetze, die die Freiheit von Künstlern und Oppositionellen bereits einschränken, weiter verschärft. Als Milo Rau sich im Herbst 2013 noch einmal mit den Teilnehmern der Moskauer Prozesse zu einem Gespräch in Russland treffen wollte, wurde ihm die Einreise verweigert.

Der Film erscheint morgen in deutschen Kinos.

 


Die Mitwirkenden an den Moskauer Prozessen waren: Maxim Schwetschenko, Anna Stavickaja, Katja Samuzewitsch, Dmitri Gutow, Anton Nikolaew, Jekaterina Degot, Alexander Schaburow, Tatjana Antoschina, Wladimir Sergejew, Michail Ryklin, Jelena Wolkowa, Viktoria Lomasko, Andrej Jerofejew, Andrej Kowalenko, Waleri Korowin, Dmitri Enteo, Wladimir Chomjakow, Gleb Jakunin, Wsewolod Tschaplin, Alexei Kurajev, Marat Gelman, Alexej Beljaew-Gintowt u. a.